„Ich hab mir zu Weihnachten nichts gewünscht – außer Harmonie“. (Hazel Brugger)
Chapeau, tieffliegender Erzengel! 10 Jahre Tangoplauderei: Das muss Dir erst einmal jemand nachmachen – selbst wenn Du zuletzt Ermüdungserscheinungen gezeigt und nur noch selten Texte veröffentlicht hast. Ich mag zum Geburtstag nicht in das beliebte Genre Stilblüten klaubender Polemik verfallen. Dafür sind andere zuständig. (**) Mir geht es in aller Kürze um Dein Erfolgsgeheimnis – jenseits des lange währenden Fleißes und einer im Wortsinn: Engelsgeduld mit Deiner LeserInnenschaft (speziell den KommentatorInnen).
Ich glaube, Du hast schlicht den rechten Ton gefunden, um die „Corporate Identity“ eines gewichtigen Teils der Tango-Community zu bespielen. Für sie bildet der Tango die Grundlage einer Gemeinschaft – rund, ohne böse Ecken, Kanten und nicht zuletzt: Überraschungen. Alle sind nett und höflich zu einander. Sie halten die aus Mekka entlehnten „Codigos“ ein, heben die Füße höchstens knapp über die Pista und tanzen friedlich gegen den Uhrzeigersinn, als sei die Ronda ein bewegter Stuhlkreis. Wenn ich nicht irre, hast Du den Gegensatz von umarmungs- und bewegungsorientiertem Tango kanonisiert. Das alles aus tiefer Überzeugung, schonungslos gegen Dich selbst und mit hohem Argumentationsaufwand für Dein Publikum – ohne je einen Fuß in die Mutterstadt des Tango gesetzt zu haben.
Manche TänzerInnen greifen in Deinem Geiste weit über die Milonga hinaus und sehen in dieser „prästabilierten Harmonie“ , wie der alte Milonguero Gottfried Wilhelm L. bei anderer Gelegenheit formuliert hat, ein Vorbild zur Verbesserung der Welt. Die, nun ja, ein wenig anrüchigen Ursprünge unseres Tanzes sind davon so weit entfernt wie Helene Fischer von Josephine Baker. Die Mamas von Buenos Aires, die ihre Töchter in den Milongas noch bis zum Beginn der goldigen Zeiten des Tango bewachten, hätten ihre Freude daran. Die Verteidigung des kuschelige Idylls gegen Angriffe von außen (und innen) erstarrte über die Jahre allerdings nach meiner Wahrnehmung) zum Ritual der Rechtgläubigkeit.
Gern habe ich Deine Reihe „Tacheles mit Tanguros/as“ gelesen – interessante Gespräche, auch oder gerade wenn sie meinen Widerspruch anregten. Erst spät bin ich beim Zurückblättern auf einen Teil Deines Schaffen gestoßen, der vor meiner zeitgenössischen Lektüre lag. In der Rubrik „Für die neue Woche…“ hast du musikalische Entdeckungen präsentiert und bist dabei auch vor Künstlern wie Horacio Salgan, Astor Piazzolla und Carlos Libedinsky nicht zurückgeschreckt. Damals. Deshalb garniere ich meinen Glückwunsch nostalgisch mit einem Deiner Funde von früher und einer kleinen Anregung in Sachen harmoniesüchtiger Regelbeflissenheit für die Zukunft…
(*) https://tangoplauderei.blogspot.com, Eintrag am 8. 2. 2009
(**) Dein teuflischer Antipode Gerhard Riedl kann gar nicht genug davon bekommen. https://milongafuehrer.blogspot.com
3 Comments
Hallo Thomas, vielen Dank für die virtuellen Blumen; ich habe mich aufrichtig gefreut. Darf ich hier eine Anmerkung hinterlassen?
In den – teilweise sehr leidenschaftlichen – Diskussionen (online wie offline) wird regelmäßig vergessen, dass auch ich aus dem Tango-Verständnis vom Beginn des Jahrtausends stamme. Ich habe auch Figuren lernen müssen (wie so viele andere auch): Media Luna, Sandwich usw. und die Musik war abenteuerlich (auf der CD, die wir nach unserem Anfängerkurs bekamen, war kein einziges klassisches Tangostück). Ich erinnere mich noch gut an die Situation in der ich das erste Mal die Musik hinterfragt habe. Wir waren in einem lokalen Workshop und übten eine neue „Figur“ im CD-Spieler lag eine selbstgebrannte CD mit Musik zum üben. Plötzlich wechselte der Titel und ein modernes Stück (sollte wohl als Milonga-Ersatz dienen) ertönte. Der Kommentar vom Lehrer: „Macht einfach weiter, die Musik ist nicht so wichtig“. Damals fing ich an, mich auf die Suche nach dem „echten“ Tango zu begeben. Ich fuhr monatelang (oder waren es Jahre?) zweimal die Woche knapp 200 km in die nächste Großstadt und besuchte die dortigen Milongas. Klar! Ich saß erst einmal ziemlich lange.
Irgendwann wurde es dann mit dem Tango besser und ich besuchte mein erstes Encuentro (das war 2011). Seit der Zeit versuche ich zwischen 6 und 8 Encuentros pro Jahr zu besuchen und das hat mich wirklich weiter gebracht.
Auch wenn es heute möglicherweise unpopulär klingt: Ich denke, es gibt Musik die für den Tango (genauer gesagt: meinen Tango) geeignet ist und es gibt Musik, bei der ich mich langweile (und in der Folge dann irgendwann auch meine Tanzpartnerin langweile). Da ist zum Einen das weite Feld unter dem Begriff Alternative, aber auch fast alle zeitgenössischen Orchester. Zum Anderen fallen in diese Gruppe auch Einspielungen der Spätphasen der berühmten Otchester (z.B. später d’Arienzo, später Caló u.a.). Diese Musik tanze ich nicht (mehr). In der Folge ist es dann nur logisch, dass ich Veranstaltungen meide, bei denen diese Musik gespielt wird.
Ich begreife den Tango zunächst als etwas, was im Paar passiert. Deswegen ist er auch so persönlich. Erst in einem zweiten Schritt passiert der Tango im Kontext eines Sozialgefüges einer Milonga.
Ich weiß nicht so ganz, ob Du meinen verbindlichen Ton beim Bloggen schätzt (oder Dich etwas lustig darüber machst). Ich denke, ein Mindestmaß an Höflichkeit („gute Kinderstube“) ist im Tango notwendig. Deswegen versuche ich eine „geduldige“ Umgebung im Blog zu etablieren. Und im „echten Leben“ tanze ich auch gerne mit Tänzerinnen, die noch sehr jung an Tango-Jahren sind (um diesen unpassenden Begriff „Anfänger“ zu vermeiden). Einen Bogen mache ich um Tangueras, die m.E. mit einer Anspruchshaltung zum Tango kommen („Ich habe jetzt Anspruch auf eine Tanda mit xy.“), oder andere soziale Auffälligkeiten haben. Da kann ich dann sehr schnell sehr stur werden.
Du warst etwas zu früh mit Deinem Glückwunsch, nach meiner Erinnerung ist erst heute der 10. Geburtstag. Aber so genau nehmen wir es ja nicht 🙂
Viele Grüße (und bis zu Deinem 10-jährigen)
c.
Vielen Dank für Deinen netten Dank, Cassiel. Zunächst kurz zu den Daten: Ich hatte meine Laudatio frühzeitig geschrieben. Mir war nicht klar, dass WordPress die “privat”-Fertigstellung als Veröffentlichungsdatum festhält. Ich war technisch nicht in der Lage, das für die tatsächliche Veröffentlichung zu ändern. Grrrhhh… Meine Teaser auf Facebook weisen auf den richtigen Geburtstag hin.
Und nun zur “Kinderstube”. Meine Bewunderung für deine “Engelsgeduld mit Deiner LeserInnenschaft (speziell den KommentatorInnen)” war ausnahmsweise völlig unironisch gemeint. Denn da gab es (und gibt es zum Teil immer noch) bei Dir, aber auch in anderen Blogs, eine Reihe von Dauer-Dazu-Schreibern, die eine Selbstverliebtheit zelebrieren, dass jedenfalls ich alle Selbstbeherrschung mobilisieren muss, um nicht auszurasten.
Über den Musikgeschmack werden wir uns sicher nie verständigen können. Ich frage allerdings trotzdem, ob Du in nicht wenigstens für Stücke wie “Qué falta que me hacés!”von Caló mit Alberto Podestá aus den 1960ern eine Ausnahme machst? Und was ist mit dem “reifen” Pugliese? Oder: Gerade bin ich auf Aufnahmen des “Sexteto Tango”1968ff. gestoßen. Auf das meiste davon würde ich gern tanzen. Aber lassen wir das…
Ich habe meine goldige Phase hinter mir. Gerade erst hab ich eine EdO-Only-Milonga frühzeitig verlassen, die ich früher regelmäßig besucht habe… Langeweile! Klassischer Tango, gerne! Aber bitte nicht ausschließlich. In meinem Text “Goldene Zeiten – aber bitte richtig!” http://kroestango.de/aktuelles/991/ hab ich mich ausführlich dazu verbreitet. Elio Astors Definition, Neotango sei es, in enger Umarmung zu zeitgenössischer Musik zu tanzen, empfinde ich allerdings eher als Drohung. Zeitgenössischer Tango, damit meine ich nicht die erfolgreichen Coverbands, ist hierzulande leider eine Rarität. Wenn ich doch noch mal nach Buenos Aires fahren sollte – dann wegen der großartigen aktuellen, jungen Tango-Musik, die es dort gibt. Zum Hören. Zum Tanzen.
Deine Unzufriedenheit mit gewissem Sozialverhalten auf unseren Milongas teile ich. Wie es sich auf Encuentros verhält, weiß ich nicht. Ich hab den Tango lieber als Vergnügen IN meinem Leben, nicht irgendwo in Sonderveranstaltungen 100e von Kilometern weg separiert. Ich finde “soziale Auffälligkeiten” übrigens am wenigsten in Veranstaltungen, wo zum Teil Musik zu hören ist, wie Du sie nicht magst .
So lets agree to disagree. Politely. And some times with a big smile. Eins kann ich übrigens versprechen: Zehn Jahr lang wird mein tangotanzender flaneur nicht um die Pistas schleichen.
Schöne Grüße aus Schöneberg
Thomas
Eine gelungene Laudatio, Thomas!
Ich hatte vor meinem ersten Tangokurs gut einen Monat Zeit um Cassiels Blog komplett durchzulesen, also soweit mir das thematisch möglich war, und das hat mich sicher mit geprägt. Die zentrale Frage für mich war: was wird von einer Zielgruppe, die ganz überwiegend erst in der 2. Lebenshälfte “ernsthaft” mit dem Tanzen begonnen hat und die keineswegs frei von persönlichen Befindlichkeiten ist, wohl praktisch umgesetzt werden können? Und ich möchte konstatieren: im Mittel natürlich nur Durchschnittliches.