Eine neue Milonga. Jedenfalls für mich. Eine andere Welt. Jedenfalls für mich. Sie zu betreten, hab’ ich zunächst gezögert. „Kann ich denn da allein hinkommen – als Hetero?“ hab ich eine der Veranstalterinnen gefragt. Ich kenne sie schon lange. Vor Jahren haben wir als AnfängerInnen in derselben Tangoschule gelernt. „Aber klar doch“, lautete umgehend die Antwort. „Wir freuen uns immer über neue führende Männer. Deshalb haben wir’s auch nicht im Netz als „Queer“-Veranstaltung angekündigt.“ Ich will die Geschichte hier nicht exotisieren. Schwule und Lesben gehören zu unserem Alltag im aufgeklärten Teil Berlins. Und dennoch. Selbst in unserem gebildeten, des Englischen kundigen Bevölkerungssegment finde ich immer wieder Menschen, die deutsch „quer“ sagen und nicht die korrekte englische Aussprache verwenden. Eine gewisse Fremdheit lauert da eben doch…
Was für ein Quatsch. Die Gesichter der meisten Frauen kannte ich. Mit einigen tanze ich halbwegs regelmäßig, wenn wir einander in einer Milonga begegnen. Es sind nicht die schlechtesten Tänzerinnen. Vorsichtig formuliert. „Anderswo hab ich kaum eine Chance, aufgefordert zu werden“, sagt mir eine von ihnen an diesem Abend und schiebt nicht ohne leicht bitteren Unterton hinterher: „An meinem Tanzen kann’s nicht liegen.“ Stimmt. In meinen Worten: Sie ist niemand, die dem Schönheitsideal älterer nicht sehr schöner Männer entspräche. Nein, das ist hier keine Versammlung verbitterter hässlicher „Kampflesben“. Der Attraktivitätslevel entspricht etwa der Gauß’schen Normalverteilung – also jenem in den anderen Milongas. Wer ist welcher sexuellen Orientierung? Keine Ahnung. Muss ich auch nicht haben.
Was ich erlebe, ist eine Gruppe von Frauen (und einigen Männern), die gekommen sind, um zu tanzen und Spaß zu haben. Täusche ich mich, oder sind hier die Mienen weniger ernst, pardon: konzentriert als anderswo? Was ich nicht sehe oder erheblich weniger: Alberne Aufbrezelei. Die schrecklicheen bunten „Tangouniform“-Fähnchen, von denen jüngst im Berliner Drei-Mädel-Blog die Rede war. (*) Kaum waffenscheinpflichtige Highheels – obgleich auch hier eine Marketenderin ihren kleinen Stand aufgebaut hat. Nach meiner Wahrnehmung überwiegen Sneakers oder andere Schuhe mit Absätzen unterhalb der Acht-Zentimeter-Marke. Die meisten führenden Frauen tanzen lieber etwas tiefer gelegt. Mangels Übung lässt meine Fähigkeit zu folgen, leider immer noch zu wünschen übrig.
Wie sehr das Prinzip „Wir wollen nur Spielen“ (**) im Vordergrund steht, signalisiert eine weitere Gepflogenheit: Die berühmten „Codigos“ sind geläufig. Aber sie werden ohne Dogmatismus gehandhabt. Zu hören ist überwiegend klassischer Tango, organisiert in Tandas mit Cortinas. Aber wenn genügend Menschen auf dem Parkett bleiben, um den „Vorhang“ durchzutanzen, spielt die Djane das Stück selbstverständlich bis zum Ende. Dann kommen manchmal sogar noch Tänzerinnen dazu. Ballroom, Swing, Freestyle – alles ist zu sehen. Hauptsache, es macht Spaß. Hier kann ich zu meinem Lieblingsstück „Fever“ und ähnlicher Musik auch mal mit einer „fremden“ Frau loshotten, statt meine Freude auf Tangoschritte herunter dimmen zu müssen. Und ich bin nicht – wie meist – der einzige der/dem danach ist. Mehr als Tango tanzen zu können, gilt hier nicht als Makel.
Selbstverständlich gibt es auch in dieser Szene eine soziale Hierarchie. Alle sind gleich. Aber manche sind gleicher. Mittendrin: Eine Queen Bee. Doch sie hält gemeinschaftstauglich Hof. Derlei Ansätze von Hierarchie stören die Stimmung keineswegs. Körbe nehme ich nicht wahr – außer einem, aber davon später. Mag sein, ich bin – mit der Erfahrungsgrundlage nur eines Abends – nicht hinreichend sensibel für die feinen Zwischentöne. Außerdem bin ich als Tänzer hier, nicht als sozialpsychologisch interessierter Voyeur (höchstens ein bisschen). Aber die weitgehende Abwesenheit Testosteron gesteuerter Tänzer verändert in meinen Augen auch das Verhalten der Frauen unter einander.
Dass sie nicht im Wettbewerb stehen (oder sitzen) um das knappe Gut namens Mann, macht sie erheblich entspannter. Ich sehe nicht die abschätzend abschätzigen oder neidischen Blicke auf die „Konkurrenz“; auch keine Scheu, durch „downdancing“ womöglich die eigene Attraktivität in den Augen der „high level“ Tangueros zu schmälern. Hier wissen alle, wie es sich anfühlt, zur „Wallflower“ verurteilt zu sein. Hier gibt es keinen „Frauenüberschuss“ – nur eine große Zahl von Frauen, die bei Bedarf und Laune in jene Tanzrolle wechseln, die gerade gebraucht wird. Wenn obendrein die Mehrheit der Paare Frauenpaare sind, taucht auch die missgünstige Frage nicht auf: Tanzt die jetzt bloß mit einer „Sie“, weil sie keinen Kerl abbekommen hat?
Ich bin übrigens nicht allein gewesen da gewesen, sondern mit meiner Liebsten. Sie kennt nicht weniger Frauen aus dieser Szene als ich. Ihr hat es nicht schlechter gefallen als mir – auch wenn sie weniger zum Tanzen gekommen ist. Sie war zu müde, um selbst initiativ zu werden. Aber sie hat sich amüsiert, gequatscht und die entspannte Atmosphäre genossen. „Fordere doch mal die da drüben auf!“, hat sie mir nach einer Tanda empfohlen. „Die tanzt toll und will nicht nur führen“. Da musste ich ihr von meinem einzigen Korb dieses Abends berichten: „Die mag mich nicht“. Wofür ich ein gewisses Verständnis habe.
Denn nach einigen Tänzen vor längerer Zeit, die nicht so gut liefen, hatte ich diese Frau fortan ignoriert. Auch wenn sie lange allein da saß und niemand sie aufforderte. Sie tat dann, was viele Frauen (nicht nur die an diesem Abend anwesenden) tun: Sie begann zu führen – mit sichtbarem und für die Meinige fühlbarem Erfolg. Nun dachte ich, es sei an der Zeit für ein „Friedensangebot“. Sie war anderer Meinung. Ich kann’s ja verstehen. Denn hier brauchte sie den arroganten Schnösel nicht, der sie so lange geschnitten hat. Sie gehörte zwar sichtbar nicht zum Kern der Queer-Szene. Aber an Tänzerinnen mangelte es ihr nicht.
Vor einiger Zeit hab’ ich in diesem Blog über die angenehm lockere Atmosphäre beim Tanzfrühstück einer Ballroom-Dancing-Schule berichtet.(***) Nun weiß ich: Schwarm-Arroganz, wie ich sie gerade wieder beim ersten Besuch in einer ziemlich neuen, angesagten Berliner Milonga erlebt habe, muss nicht sein. Wir Tango-TänzerInnen können auch anders. Wir müssen nur wollen.
(*) https://berlintangovibes.com/2018/08/05/tango-uniform/
(**) Mit diesem Motto werben die harten Jungs des Kölner Eishockey-Clubs „Die Haie“
(***) http://kroestango.de/aktuelles/standardtaenzer-als-vorbild/
3 Comments
Dogmatismus ist, da sind wir uns bestimmt einig, immer bescheuert, egal wer wie wo was tanzen mag. Und überhaupt…
Wenn Frauen auf Frauen-Milongas gehen und Männer auf Männer-Milongas – dann wird alles viel entspannter abgehen, wenn nicht sogar spannungslos.
Sehr schön beschrieben und auf den Punkt gebracht – auch den “Stich der toten Biene” am Schluss!