Gut ein Jahr ist dieser Blog jetzt alt. Auf 66 Texte und 288 Kommentare wurde fast 100 000 Mal zugegriffen. Mit etwas mehr Sex, Polemik und Leichtigkeit in Ton und Themenwahl hätten es mehr werden können. (*) Aber ich mag die Mischung und habe das Gefühl, meinen Ton gefunden zu haben – ohne die szenehäufige Harmonieduselei auf der einen Seite und ohne die unbedingter Suche nach Polemik und Pointen. Mein jüngster Beitrag, der dritte, der den Namen Astor Piazzollas im Titel führt, generierte zwar nicht die meisten Klicks, aber eine Rekordzahl an Kommentaren – wenngleich vorwiegend aus dem Kreis der „üblichen Verdächtigen“ :
Ob die Musik des Meisters zum Tanzen animiert, ob sie gar überhaupt zum Tanzen geeignet sei, wird in der Tangoszene vom analogem Fußvolk wie von den digitalen Kommunikationsaktivisten unterschiedlich beurteilt. Autoren wie der Münchener DJ Jochen Lüders, der in seinen Milongas Tango mit „otros ritmos“ mischt, halten es für nötig, offene Türen bei mir ein zutreten. Er fordert, es müsse klar sein, welcher Piazzolla gemeint sei. (**) Ich gebe hiermit zu Protokoll: Ich meine nicht Stücke wie das Konzert für Bandoneon, Schlagzeug und Streicher, dessen Umfang jede Milonga sprengen würde. Auswahl muss schon sein. Aber die treffen ja auch die Freunde der Epoca Doro. Sonst würden sie uns ja nicht immer wieder mit denselben Titeln erfreuen, obwohl aus dieser Periode bekanntlich nur Tanzbares überliefert ist
Mein Plädoyer für die „Milongisierung“ Piazzollas hat Jochen Lüders zu einem eigenen Blogtext herausgefordert. Darin äußert er den Verdacht, das „Bekenntnis zu Piazzolla“ sei „mitunter gelegentlich“ der arrogante Versuch, sich „vom musikalisch ungebildeten und anspruchslosen Tango-Plebs“ abzuheben. Doch noch so viele „Bekehrungsversuche“ könnten nichts daran ändern, dass die meisten Tänzer das Ansinnen, „zu Piazzollas Knarzen, Kratzen und Quietschen“ abschlägig beschieden: „Nein danke – warum?“
Das „KKQ“ hat Theresa Faus so gut gefallen, dass sie es für den Teaser zu einem Seminar über Piazzolla verwandt hat. (***) Meine Anmerkung, diese Beschreibung greife Charakterisierungen auf, „mit denen in Kreisen des bürgerlichen Konzertpublikums moderne Musik gern generell mies gemacht“ werde, hat weder der Zitierenden noch dem Zitierten gefallen. Gerade die so treffend beschriebenen Klangeffekte finde sie „häufig gerade gut an Piazzolla“, schreibt Theresa. Das Zitat sei daher kein Anlass, ihr „ein peinliches Mich-Winden gegenüber einem konservativen Publikum zu unterstellen“. Wenn das so ist…
Jochen Lüders wiederum findet meine Wertung „ein bisschen“ unter meinem Niveau. Er habe sich auf ein konkretes Stück bezogen, nämlich „Four for Tango“. Ich will jetzt nicht philologisch werden, aber… sein abschließendes Verdikt gegen Piazzolla als Tanzmusik ist doch eher allgemein formuliert.
Ähnlich wie Lüders bringt auch Klaus Wendel, der mir hoffentlich nicht böse ist, wenn ich ihn ein Urgestein der deutschen Tangoszene nenne, die Frage des Niveaus ins Spiel – des Tanzens wie des Wissens. Sorry, aber wenn dies Wort in einer Debatte auftaucht, werde ich hellhörig. Nach meiner Erfahrung (auch in meinem Beruf als Journalist) handelt es sich um einen ziemlich schlichten Kampfbegriff zur Delegitimierung des Gegenübers. Denn an „N“ mangelt stets denen, die anderer Meinung sind. Der Fragenkatalog, den KW Gerhard Riedl vorlegt, erinnert mich an das „Ham’se jedient?“ unserer Großväter.
Ich habe augenzwinkernd Gerhard Riedl mit Leo Trotzki verglichen. Das hat für Irritation gesorgt. Doch dann lese ich Klaus Wendels Satz: „Also Thomas, ich muss zugeben, dass mich deine manchmal ausgedrückte Nähe zu G.R. sehr irritiert.“ Schon fühle ich mich in meiner Idee bestätigt. L.T. war der große Häretiker des Kommunismus, dessen Nähe rechtgläubige Kommunisten gefälligst zu meiden hatten. So wird der Pörnbacher in Teilen der Tangogemeinde behandelt. Die Mahnung zu “ordentlichem” Umgang lässt sich aber auch anders ausdrücken.
Ich kenne Gerhard Riedl genauso wenig persönlich wie Klaus Wendel oder Jochen Lüders. Was uns verbindet sind der Musikgeschmack und die Sicht auf manche Unarten der Tangogemeinde. Doch hier beginnt schon die Differenz: Das meiste, was G.R. immer noch zornig macht, amüsiert mich eher. Etliche Aufregen-Themen langweilen mich inzwischen eher. Er ist aus meiner (mit ihm höchst unabgesprochenen) Sicht ein Kämpfer. Ich bin ein Flaneur.
Womit wir auf der Pista wären: Lüders und Wendel würden gerne Examina für Tänzerlnnen einführen, ehe sie auf bestimmte Musik losgelassen werden (Vorsicht: Satirische Überspitzung!). Diskursstrategisch wird Piazzolla nicht nur von diesen beiden verkompliziert. So lässt er sich leichter aus den Milongas fern halten, finde ich. Mich erinnert dies an die Warnungen vieler Tanzlehrer vor der, ach, so schwierigen Milonga, mit denen Anfängern Angst vor dieser eher schlichten, dafür umso fröhlicheren Tango-Verwandten gemacht wird. Deshalb hab ich „Deus Xango“ als Tanzbeispiel genannt. Schlichter Beat wie in den frühen Canaros, die deutsche Djs gern zu Beginn der Milongas spielen. Wolfgang Sandt ist das zu maschinenmäßig. Ich liebe das Stück, wie ich auch manchen Elektrotango mag. Mit dieser Wahl wollte ich illustrieren, dass es „einfache“ Piazzollas gibt.
Es freut mich, dass Theresa Faus sich doch noch entschlossen hat, Stücke zu nennen, die sie für “tanzbar” hält. Es überrascht mich nicht, dass sie selbst am liebsten zu Musik aus einer Zeit tanzt, als Piazzolla noch nicht “Piazzolla” war, sondern der Orchesterchef von Francisco Fiorentino, dem abtrünnigen Sänger ihres Lieblings Anibal Troilo. Ihre Bemerkung, es leuchte ihr nicht ein, “dass man erst mit Piazzolla die Höhen des Tangos erreichen könne und mit den Klassikern nicht”, beziehe ich einfach mal nicht auf mich, sondern buche es unter Münch’ner G’schichten ab. Ich möchte nur anmerken, dass Astor Piazzolla für mich aus heutiger Sicht längst unter die “Klassiker” zu zählen ist.
Jene Stücke aus seinem Werk, die ich gern in unsern Milongas hören möchte, funktionieren übrigens nach den Grundstrukturen des Tango, die in den Seminaren zu erlernen sind, die Klaus Wendel empfohlen hat. Ich kenne hier in Berlin aber auch „lokal teachers“, die sie lehren. Diese Kenntnis hilft auch beim Tanzen zur Musik des Orchesta Tipica Victor. Ansonsten empfehle ich, sich – selbst mit dem großen Astor Piazzolla auf den Ohren – einer Maxime aus dem Anfängerkurs zu erinnern: Tanzen ist Gehen. Hab’ ich was vergessen? Richtig: Genau zuhören schadet ebenfalls nicht!
(*) Mit einem Beitrag über die Hanswurstiaden in der Münchener Tangoszene hat Gerhard Riedl gerade 1000 Klicks an einem Tag geschafft. Insgesamt sind es eine halbe Million in fünf Jahren. http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/01/tausend.html Glückwunsch! Aber mit meinen Zahlen liege ich bei erheblich geringerer Produktivität so schlecht nicht.
(**) http://www.jochenlueders.de/?p=13894 Außerdem hat er sich in Kommentaren in meinem Blog geäußert. Zitate auch anderer Autoren ohne Quellenangabe sind hier zu finden.
(***) Theresa Faus auf Facebook am 10. Dezember. Auch danach sind mehrere Einlassungen in ihrer Timeline zu finden.
9 Comments
hallo Thomas,
nach meinem Leitersturz im September und den zum Glück sich in Grenzen haltenden Rückenproblemen glaube ich momentan so “gehen” zu können, dass eventuell auch ein Gang (Tanz) zu Astors Knarren, Quietschen und Krächzen möglich ist. Ungeahnte Möglichkeiten !!
lg Eddy
Zuhören schadet sicher nicht. Es gehört zu den wichtigsten Dingen, nicht nur im Tango.
Über die Wichtigkeit des Hörens der Musik und über den Mythos, dass Europäer Tangomusik, gewissermaßen genetisch bedingt, nicht richtig hören und verstehen könnten, habe ich oft geschrieben. Zum Beispiel hier:
Ihr wollt schön Tango tanzen,? Konzentriert Euch auf die Musik http://tango-kurs.com/ihr-wollt-schn-tango-tanzen-konzentriert-euch-auf-die-musik/
Wer hat Angst vor der Musik? http://tango-kurs.com/wer-hat-angst-vor-der-musik/
Canaro hat zwar auch einen eher schlichten Beat, aber der wirkt eher wie ein Hammerwerk des präindustriellen Zeitalters, gemütlich halt. “Deus Xango” und andere Stücke Piazollas sehe ich da nicht auf einer vergleichbaren Ebene . Für mich klingen sie härter, aggressiver. Zum Tanzen lädt mich das, im Gegensatz zu Canaro, nicht ein. Aber das ist sicherlich auch Geschmackssache.
Pardon, diesen Link hatte ich vorher übersehen.
Tangomusik hören kannst und musst Du lernen, wenn Du wirklich gut tanzen willst:
http://tango-kurs.com/tango-hren-knnt-ihr-lernen-und-solltet-ihr-auch-wenn-ihr-wirklich-gut-tanzen-wollt/
Hallo Thomas,
da meine Antwort, auf die Du Dich beziehst, in einem anderen Artikel zu lesen ist, ist es jetzt für die Leser jetzt sehr schlecht nachzuvollziehen, wenn ich mich jetzt auf offenbar von Dir missverstandene Aussagen beziehen möchte. Das ist etwas unfair und sieht auch völlig aus dem Zusammenhang gerissen aus, wenn ich mich jetzt in diesem Artikel auf nicht auf Anhieb zu erkennende Aussagen beziehe, die ich in dem anderen Artikel gemacht habe. Du hättest vielleicht, trotz der zu erwartenden Unübersichtlichkeit, keinen 2. Artikel zum selben Thema öffnen sollen, wenn Du Dich hier auf den 1. Artikel beziehst.
Trotzdem möchte ich einiges richtigstellen:
1. Ich habe nicht vorgeschlagen, Examina für Tänzer einzuführen, bevor sie auf die „Musik von Piazzolla losgelassen werden“; auch wenn Du zur Entschärfung „Vorsicht, satirische Überspitzung!“ dazuschreibst. Ich habe gemeint, dass man sich an Beispielen vor Ort – auf derPiste – visuell viel schneller darüber sein kann, ob ein Stück Piazzollas von unterschiedlich nivellierten Tänzern auch unterschiedlich gut interpretiert wird. Da lässt sich „life“ anhand eines sichtbaren Ergebnisses viel besser darüber diskutieren, als schriftlich in einem Blog.
2. Bei diesem sogenannten Fragenkatalog, in dem ich eine gewisse Qualifikation Herrn Riedls abklopfe, handelt es sich nicht um eine Nachfrage nach geleisteten Diensten – „hamse jedient?“, sondern nur um eine Vergewisserung, ob man sich als Diskussionsteilnehmer und (sogar) Kritiker der Musik der Epoca de Oro eine gewisse Grundkenntnis erworben hat, um auf einem einigermaßen gleichen Wissenstand zu diskutieren. Ich habe dabei auch garnicht Dunning-Kruger zitiert, um sein Wissen zu diskreditieren, sondern lediglich gemeint, dass „die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, genau jene Fähigkeiten sind, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen.“ In diesem Beispiel konkret sollte man die Struktur eines Tangos der Epoca de Oro verstehen können, um zu erkennen, dass sie eigentlich garnicht langweilig ist. Des Weiteren, dass man beim Tango (EdO) nicht einfach nur den Grundtakt „ablatscht“, sondern die Melodie, die Akzente, die Nuancen, die Dynamik und den Charakter tanzt.
3. Meine Kritik gegen Herrn Riedl richtet sich eigentlich garnicht gegen ihn persönlich, sondern gegen seine Anhänger, die seine sicherlich satirische und manchmal realistische Sicht auf manche Unarten der Tangogemeinde mit Fachwissen auf allen Gebieten verwechseln oder sie ihm deshalb zumindest zutrauen. Denn schreibt ein Autor über ein Thema, setzt man doch zumindest eine gewisse Kenntnis voraus und stellt sie nicht so schnell in Frage. Und mit der mich irritierenden Nähe meinte ich sicherlich nicht Deine Übereinstimmung in Fragen der Beobachtung der Tangoszene oder – wie Herr Riedl es verstand – „…spiel nicht mit den Schmuddelkindern…“, sondern Dein manchmal kritikloses Zitieren seiner Ansichten über Tanzmusik. Als ich jedoch Deine Beschreibung des Stücks „Deus Xango“ gerade las, glaube ich daraus zu erkennen, warum auch bei Dir eine gewisse Übereinstimmung mit Herrn Riedls Musikverständnis besteht. Du schreibst: „Deshalb hab ich „Deus Xango“ als Tanzbeispiel genannt. Schlichter Beat wie in den frühen Canaros, die deutsche Djs gern zu Beginn der Milongas spielen. Wolfgang Sandt ist das zu maschinenmäßig. Ich liebe das Stück, wie ich auch manchen Elektrotango mag. Mit dieser Wahl wollte ich illustrieren, dass es „einfache“ Piazzollas gibt.“
Da ist von Einfachheit die Rede, weil einfacher Grundtakt, wie in den früheren Canaro Stücken. Damit gibst Du hier ein kleines „Zeugnis“ Deines Musikverständnisses ab: Wenn man die Stücke von Canaro betrachtet, erscheint sie sich einem sehr einfach. Grundtakt! Wenn man da noch zu geht bzw. latscht, so wie das Gehen im Allgemeinen beim Tango missverstanden wird – nämlich wie eine Fortbewegung – dann kann das als eine sehr monotone und langweilige Angelegenheit betrachten. Tanzt man diese Stücke jedoch in mit erdigen Charakter eines Paares aus dieser Zeit, wie sie damals getanzt wurden (zu sehen in einem Film „Tango Bar“, „Tiempos Viejos“ von Canaro, getanzt von Tito Lusiardo und Carlos Gardel https://youtu.be/tOpAvx5tpUg – bitte warten, Gardel tanzt erst den 2. Tanz), sind sie wundervoll. In diesem Tango wird scheinbar nur gegangen, aber es ist mehr als gehen, es wird getanzt. Erst dann versteht man den nur „ohrenscheinlich“ einfachen Charakter, der aber eigentlich garnicht einfach ist.
Ich will Dir hier kein mangelndes Tanzverständnis vorwerfen, dazu kenne ich Dich nicht, aber zumindest kann ich aufgrund Deiner Aussagen auf Dein Musik- und Tanzverständnis schließen.
Und es erklärt eine allgemein verbreitete Ansicht, nämlich das jede Musik tanzbar sei, die sich mit tango-ähnlichem Grundtakt strukturiert ist.
Nochmal: tanzbar ist jede Musik! Und na klar – man kann zu jeder Nicht-Tango-Musik tanzen, auch zu nicht EdO, man darf auch zu Salsa Tangobewegungen machen, man darf seine Milonga mit otros ritmos salzen, man kann auch Neo und NonTango Veranstaltungen machen, NUR (!), wenn ich von „Tangotanzen“ rede, dann meine ich auch Tangotanzen: Zu Musik, die auch wirklich Tango ist, (da gibts unter Musikern bestimmt keine Diskussionen). Zum Beispiel das Orchester O.T.R.A.. aus Rotterdam, in dem klassisch ausgebildete Musiker im Fach Tango – interpretieren und komponieren (!!) – weitergebildet werden, unterscheiden nämlich sehr wohl zwischen konzertanten und tanzbaren Tangos; warum wohl? Und wenn schon Troilo bei Piazzolla den Begriff „tanzbar“ moniert, dann war da bestimmt was dran.
Und auf einer Milonga (inflationär mißbrauchter Name) erwarte ich, allein wegen seines allgemein gültigen Begriffs, Tangos, Milongas, Vals und otros ritmos, aber keine bestimmt 70/30% neo-non oder otros ritmos.
Lieber Klaus Wendel, mindestens quantitativ hast Du ein große Gemeinsamkeit mit Gerhard Riedl – die Länge Deiner Texte. Deshalb dauert meine Antwort ein wenig, auch wenn ich schon jetzt versprechen kann: Sie wird erheblich kürzer ausfallen. Zunächst bitte ich Dich aber, einmal den Link anzuklicken, den ich groß und deutlich zusätzlich in meinen Text integriert habe. Lässt sich unter diesen Umständen der Vorwurf eines Mangel an Fairness noch aufrecht erhalten? Schönen Abend!
Lieber Thomas, ich hatte den Link schon entdeckt, aber leider erst nach Absenden des Textes. Sorry! Und Du hast Recht: meine Texte sind zu lang. Auch Dir schönen Abend.
PS: Deine Befürchtnis, dass ich Dir die Bezeichnung “Urgestein der deutschen Tangoszene” übelnehmen könnte ist davon abhängig, wie denn Urgestein verstanden wird: Wenn damit die wortwörtliche Assoziation “Gestein, im Sinne von versiegeltem, ehemals Lebendigem” verstanden wird, eher negativ. Als Wertschätzung von langjähriger Erfahrung positiv.
Geht es wirklich nur um Piazzolla?
Ich kann und und ich will nicht Piazzolla vereinzelt betrachten. Seit dem aus heutiger Sicht berühmten Oceteto Buenos Aires, gingen nicht nur Piazzolla, sndern auch Atilio Stampone, Enrique Mario Francini, Leopoldo Federico und andere ihre eigenen Wege. Malvicino, der Gittarist war eh schon sehr Jazz-afin. Keiner war vielleicht so konsequent im Suchen neuer Ausdrucksformen wie Piazzolla, ausser Horacio Salgán und Eduardo Rovira.
Aber auch andere “ehemalige Troiloianer” wie die Pianisten Berlingueri und Colangelo, der Violinist Suarez Paz, die Bandoneoisten Baffa und Garello schrieben nach dessen Tod weiterhin Musikgeschichte, genauso wie Puglieses “Jünger” Daniel Binelli und die Abtrünnigen von 1968 Victor Lavallen, Emilio Balcarcé und ganz gross Julian Plaza…
Die Modernisten – Tango Nuevo
Es ist nicht der Diktatur geschuldet, noch dem Beat und RnR, welche gewiss den Tango in den Hintergrund drängten, sondern der Ignoranz der Massen. Wenn ich von Ignoranz spreche, so meine ich das in keinster Weise überheblich. Nicht jeder Mensch vertieft sich gleich tief in die Musik, was Zeit bedarf und eine grosse Passion. Die Musik Piazzollas, just auch die minimal anhauchenden Stücke wie „Deus Xango“ erinnern uns an den New Yorker Phillippe Glass, der ebenfalls bei Nadia Boulanger in Paris studiert hatte.
Nicht jeder Tango-Liebhaber muss sich mit allen Tangostücken identifizieren. Aber nicht jeder Tango-Liebhaber sollte sein entgültiges Urteil über die Musik von Piazzolla und Co. abgegeben dürfen.
Das hat nichts mit Nivea, pardon, mit Niveau zu tun. Ich nennen mich einen Ignoranten in IT und in vielen Bereichen, aber ich verstecke mich nicht hinter dem Ofen aus falscher politischer Korrektheit, wie sie zur Zeit in Deutschland “wuchert”. Killerargumente wie sie Thomas in seinem Beitrag ortet, lass ich auch nicht gelten.
Aufgrund meiner Biographie und Passion habe ich nun mal ein breiteres Musikspektrum. Der Mörtel ist nicht aus Eitelkeit gemacht, sondern aus Leidenschaft und Liebe.
Wie denn nun mit dem Tanzen?
Wer sich bereits einmal mit Theater oder modernem Ballett weiss, dass die neueren Tangos tanzbar sind. Gewiss nicht alle bzw. komplexere Sachen nur für Profi-Tänzer und Choreographie. Aber viele Federicos, Baffas, Garellos, Collangelos, Stampones, Salgans, Roviras und Piazzolloas schreien nach einem intensiven Abrazo, einer Caminada, einer schönen Verzierung…
Da ich halb Italiener bin, mag ich auch die Polemik und behaupte just einmal frech, dass die Fundamentalisten hinsichtlich der Epoca de Oro, den Anhängern des Dixilands gleichzusetzen sind, die beaupteten Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Miles Davis (und viele mehr) keinen Jazz spielten.
Ich verwette auch meinen Kopf, dass just zu einem Stück wie „Deus Xango“ professionelle Choreographen viele schöne Tanzbilder imaginieren werden.
Zuguterletzt!
Lasst endlich die tanzenden Menschen entscheiden und nicht einige überangepasste DJs, was gespielt wird. Letztere haben meist keine Ahnung von den Downloads, die sie abspielen. Sie machen gerne Kasse mit Musik, für deren Urheberrechte sie nicht mal mehr bezahlen müssen und gebaren sich als die Hohepriester der Tango-Kunst.
Lasst endlich die vielen musikalisch talentierten Menschen sprechen, lasst sie hören, was Buenos Aires auch erzählt.
Osvaldo Pugliese sprach bescheiden von seiner Musik bzw. dem Tango, als die “Musica popular”. Piazzolla betonte in den 60ern, dass seine Musik einfach nur typisch Buenos Aires sei. Auch das eine Untertreibung. Denn Piazzolla rettete den Tango davor nur noch kitschiger Folklore zu sein.
Ähnliche Pionierarbeit leisten auch viele TänzerInnen, die just in BA nach neuen Ausdrucksformen und “Figuren” für Tangomusik prägen.
Die “Tangoexpertin” dankt dem “Flaneur” für die Erwähnung einiger Richtigstellungen. Auf alles, was sich mit persönlicher Fremd- und Selbstbespiegelung der diversen Diskutanten befasst, möchte sie lieber nicht eingehen.