Also gut, ich geb’ auf. Nun also auch an dieser Stelle ein paar Worte zu Gerhard Riedl. (*) Lange hab’ ich, so gut es ging, seinen Versuchen widerstanden, mich in seine Händel hinein ziehen zu lassen. Aber in jüngster Zeit hat er einen gehörigen Teil seiner Blog-Beiträge mit Zitaten aus meiner Facebook-Seite bestückt. Zudem hab ich einige seiner Artikel geteilt – wie andere auch, die ich interessant gefunden und deshalb aus dem Netz gefischt habe. Darüber gab es erhebliche Diskussionen auf FB. Da deshalb einige Menschen, die ich kenne und schätze, in den Mörser der Pörnbacher Polemik geraten sind, mag ich mich nicht länger raushalten und schweigend schmunzeln: Ach, wie putzig X oder Y da satirisch zermalmt wird… (**)
Lustig finde ich es allerdings (oder auch a bisserl hinterfotzig, wie die Bayern sagen), wenn Gerhard R. den Berliner Tango-Altmeister Michael Rühl kurzerhand zu meinem “Umfeld” erklärt, weil er seinen Text in meiner FB-Chronik kommentiert. Seinem stetig wiederholten Hinweis: “Erst recherchieren, dann schreiben”, kann er da jedenfalls nicht gefolgt sein. Denn wo, bitteschön, soll einer zu einem Thema schreiben, wenn nicht in jenem “Umfeld”, wo die Diskussion stattfindet? Doch er möchte gern eine “Berliner Blase” behaupten, von der es in meiner zeitweiligen Heimat Köln geheißen hätte: “Mer kenne ons, mer helfe ons…” Sorry, aber meine Begegnungen mit M. R. sind selten. Seine Milongas meide ich eher, mangels all zu großer Übereinstimmung im Musik-Geschmack – was jedoch nicht meinen Respekt vor seinem Sachverstand und seiner enormen Erfahrung schmälert.
Der Krokodilwächter (Pluvianus aegyptius) ist eine afrikanische Vogelart aus der Ordnung der Regenpfeiferartigen (Charadriiformes). Soweit Wikipedia. Seinen Namen hat er von einer seit Herodot überlieferten angeblichen Eigenart, in den Mäulern von Krokodilen nach Nahrung zu suchen. Er sorge auf diese Weise für die Mundhygiene der Tiere, heißt es. Ähnlich ernährt sich der bayerische Blogger von den Rede- und Verhaltensweisen, die er real wie digial in der Tango-Szene findet. Der entscheidende Unterschied: Die Alligatoren schätzen die Pickvögel. Im Gegensatz zu seinem fernen ägyptischen Verwandten pflegt der Bayer seine Mahlzeiten jedoch nicht schweigend zu genießen. Er veröffentlicht die Menue-Folge in seinem Blog “Gerhards Tangoreport” http://milongafuehrer.blogspot.com und verschweigt nicht, wie sie ihm mundet. Weil er mit satirischer Schärfe formuliert, mögen es viele TangotänzerInnen eher weniger, ungefragt einem Reinigungsritual Riedlscher Prägung unterzogen zu werden.
Es gab Zeiten, da haben Gerhard R. und ich uns einträchtig als “Waldorf und Statler” stilisiert – die beiden Grantler der Muppet-Show, nebeneinander in der Proszeniumsloge der Tango-Community. Heute würde ich mir eher einen Platz auf der anderen Seite des Theaters suchen. Ich sehe mich zwar immer noch auf Distanz zu bestimmten Eigenheiten und Entwicklungen insbesondere des traditionell geprägten Teils der Szene. Aber zwischen uns beiden tut sich eine immer größere Distanz auf. Falls jemand unser publizistisches Schaffen vergleichend verfolgt haben sollte, dürfte ihm oder ihr die Abkühlung in unserem Umgang miteinander aufgefallen sein. Die Sollbruchstelle hat Gerhard R. schon zu Beginn unseres “Honeymoons” erkannt, als zu er 100 Tagen “mYlonga” monierte:
“Ich sehe viele interessante Ansätze, oft wird ein Thema jedoch nur in nonchalanter Flaneur-Manier angestupst. Diese Unverbindlichkeit mag charmant oder cool wirken, überzeugend finde ich sie nicht immer. Doch diese Debatte hatten wir schon: Journalisten lieben es eben kurz und knapp, da sie sich oft Zeilenbegrenzungen fügen müssen.” (***)
Leider nähere ich mich, was die Länge meiner Texte angeht, inzwischen all zu oft Gerhard R.s Wagneriaden an. Aber die monierte Unverbindlichkeit will ich mir bewahren – nicht wegen ihrer Coolness, sondern weil ich eine “Linie” oder gar eine Mission vermeiden möchte, wie ich sie bei dem Blogger aus Bayern wahr nehme. In meiner Interpretation verfolgt er das Ziel, die Tango-Szene zu grundsätzlich zu verändern. Ich verspüre keine Mission in mir. Ich möchte auch weiter Menschen mögen, deren Meinung samt der Art, sie zu äußern, ich nicht teile (vorsichtig formuliert). Diese Differenz mag ich mit ihnen lieber außerhalb der Öffentlichkeit besprechen. Im Übrigen kann es sogar sein, dass sich die Bemerkungen, die ich zu meinen Beobachtungen mache, im Lauf der Zeit widersprechen. Schon als ich noch politische Leitartikel schrieb, kam es vor, dass sich eine zunächst geplante “Moral von der Geschicht’ ” veränderte, weil sie nicht mehr zu einem Einstieg passte, den ich inzwischen gefunden hatte. Meine Grundsatztreue hält sich in Grenzen.
Gerhard R. hat in seinem Blog ein ziemlich schlichtes, aber umso wirkmächtigeres Prinzip entwickelt und perfektioniert. Mit einem Bild aus der Welt des Boxens: Er schlägt präzise knapp über die Gürtellinie. Dorthin, wo es weh tut. Auf diese Weise provoziert er Menschen, die weniger cool und kampferprobt sind, zu Regelverletzungen. Postwendend und mit Unschuldsmiene prangert er dann deren Unfairness an. Arnold Voss hat das in der FB-Debatte um die “Drei Zitate” so vorbildlich analysiert, dass ich es hier nicht noch einmal wiederholen muss. Gern inszeniert er sich auch darüber hinaus als Opfer und beklagt, wie sehr er von seinen Gegnern bedroht und verfolgt werde. (****)
Ich muss allerdings gestehen: Zu welchem Unflat sich selbst intelligente ZeitgenossInnen ihm gegenüber hinreißen lassen, ist schon hanebüchen. Wer mag, kann die Beispiel in der Gruppe “Tango München”und anderswo auf FB nachlesen. Dass die Schimpfenden Gerhard R. auf diese Weise den Stoff frei Haus liefern, versteht sich. Einige streicheln sein Selbstbewusstsein so sehr, dass sie sogar davor warnen, mit bestimmten Äußerungen in die Netz-Öffentlichkeit zu gehen, weil Gerhard R. daraus einen Text machen könnte. Da verwundert es nicht, wenn er sich in der ihm eignen Bescheidenheit “mehr intelligente Gegner wünscht”. Oder er erklärt sie zu Schwächlingen: “Menschen mit geringem Selbstbewusstsein tun sich mit meinen Texten manchmal schwer.” (*****) Der erwähnte Arnold Voss fasst seine Einstellung in einem Satz zusammen: “Alle doof außer Gerhard”. Der Genauigkeit halber füge ich hinzu: Und ein paar seiner Freunde.
Wie kriege ich jetzt noch die Kurve zu einem halbwegs positiven Schluss? Vielleicht so: Die Nahrungssuche des Krokodilwächters mag auf manche Beobachter eher unappetitlich wirken. Gleichwohl sind seine Pickereien höchst nützlich für die orale Gesundheit der Alligatoren-Population (wenn die Überlieferung denn stimmt, woran es durchaus Zweifel gibt). Gerhard Riedls Auseinandersetzung mit dem bräsigen Dogmatismus von Teilen der Tango-Szene mag manchmal arg selbstverliebt und rechthaberisch sein, ein andermal verletzend. Aber wenn es einen wie ihn nicht gäbe – wir müssten ihn erfinden: Den Pluvianus tangoensis. Denn die Tangoszene hat einen besseren Umgang mit sich selbst verdient als die fortdauernd gegenseitige Doppel-Versicherung, wie großartig wir seien und wie harmonisch wir mit einander umgingen. Wenn sie dazu nicht freiwillig bereit ist, muss sie es eben (mindestens manchmal) auf die harte Tour lernen. A’ la Riedl eben.
PS: Ich habe diesen Text mit Musikstücken von Künstlern garniert, die in den Playlists der Tanzveranstaltungen zu finden sind, zu denen Gerhard Riedl regelmäßig in sein Wohnzimmer einlädt. Denn trotz aller Differenzen passt (aus meiner Sicht) in einer Frage nicht das sprichwörtliche Blatt Papier zwischen uns: Die Musik in unseren Milongas muss vielfältiger und moderner werden. Wie in Pörnbach.
*) Auf diese Weise kann ich auch die demnächst anstehende Jubiläumsbilanz meines Blogs von diesem Thema entlasten.
(**) Exemplarisch die Debatte, die sich meiner Teilung seines Textes „Drei Zitate“ https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/10/drei-zitate.html auf Facebook am 28. 10. ff. anschloss.
(***) http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/03/hundert-tage-mylonga.html
(****) http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/02/personliche-erklarung-zu-einem-jubilaum.html
(*****) In der heftigen Auseinandersetzung um eine Bondage-Vorführung im Berliner Tagoloft gab es allerdings Diskutanten, die sich auch ohne Riedelsche Provokationen in ihrer Polemik vergaloppierten. Siehe dazu: http://kroestango.de/aktuelles/von-fesseln-und-farben/
6 Comments
Sehr schön geschrieben, Thomas, und: touché. – Tango ist im Fluß, was ganz normal ist, und das ganz von allein, ohne Brechstange und Bremsklotz. Geschmäcker sind so unterschiedlich wie die Tagesform und -Stimmung. Manchmal mag ich moderne Aufnahme der jungen Orchester, Neo-Tango, manchmal möchte ich einfach nur traditionell und ganz ruhe tanzen, also eher Di Sarli, statt Pugliese. Ebenso unterschiedlich sind die Locations, mal schräg, mal underground, mal originell, mal schick. Tanz im ehemaligen Krematorium ist halt originell, bringt aber eine seltsame Stimmung, auch wenn gerade keine Särge mehr herumstehen. Und die Kombination in einer Milonga von Tango mit anderer Musik (Big Band Swing), Lichtinstallationen, Bondage, Roulettetisch, Tango im Frack oder eher leichter bekleidet im KitKat etc. sind immer einen Versuch wert, aber: es ist normal, daß ganz subjektiv darüber diskutiert wird und nicht nur blind gejubelt, und die Veranstalter werden genau zuhören, was den Geschmack der Gäste getroffen hat. All das rechtfertigt aber nicht, seine Kritik verletzend vorzutragen oder für die Kritik gleich abgekanzelt zu werden. – Und am Wochenende gehen wir Tango tanzen, und hinterher tauschen wir unsere Erlebnisse aus.
Gerhard Riedl hat mit einem Text auf seiner Site geantwortet: https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/das-krokodil-und-sein-wachter.html Der Vollständigkeit halber hier noch der Link zu einem Beitrag Beitrag von Karin Law Robinson-Riedl. Der ist zwar parallel zu meinem Artikel veröffentlicht worden. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er in unsern Zusammenhang gehört: http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/11/how-dare-you.html Ich freu mich auf die Debatte – wenn denn Bedarf bei mehr Menschen besteht als uns dreien…
Gut und sehr seriös gesprochen, Thomas. Abgewogen eben. Ich teile viele Ansichten von Gerhard, einige nicht. Ich teile viele Ansichten von Dir, einige nicht. Blöd finde ich immer, wenn wir nur noch auf der Metaebene mit einander diskutieren, dann wird es mir zu kompliziert und ich steige aus. Ja, über die Wortwahl von Gerhard und seiner Kritiker läßt sich streiten, manchmal ist es mir zu eitel und andere sind mir zu selbstgefällig. Herrlich finde ich Dein Bild vom Krokodilwächter. Vieles sieht eben von außen unappetitlich aus, ist trotzdem sinnvoll. Schon der BB selig hat ja gesagt, beim Kampf für das Gute verzerren sich manchmal unsere Gesichter. Oder so ähnlich? Gut finde ich Gerhard immer, wenn er zur Sache redet: Dogmatismus im Tango, eingescchränkte Musikauswahl vieler DJs, was gehört sich und was gehört sich nicht im Tango (Aufforderungsrituale), sonderbare Verhaltensweisen auf der Pista; “Argentinidad”, sind Frauen Täter oder Opfer im Tango……. Dazu sollten wir gemeinsam wieder mehr zurück kommen. Und spannend finde ich auch in unserer Debattte, wie schnell die überkreuzenden Fronten wechseln und wer wen zu welcher Fraktion zählt. Das kommt mir von früher irgendwie bekannt vor. Da war der Häretiker schon immer der schlimmere Feind, wie der wirkliche Gegner. Mach bitte weiter Thomas. Danke.
Mit etwas Übung ist es durchaus möglich, die Meinung anderer Menschen zur Kenntnis zu nehmen … und danach das zu tun, was man für richtig hält oder was einem gefällt. Das schließt die bevorzugte Musik, die bevorzugte Art aufzufordern und die bevorzugte Art zu tanzen ein.
P.S.: Warum “muss” die Musik in unseren Milongas vielfältiger und moderner werden? Ich denke sie “kann” – und sie wird – wenn die Tänzer das wünschen.
Lieber Martin Ziemer, vielleicht einigen wir uns salomonisch auf: Sie sollte meiner Meinung nach… und sie wird es, wenn… sofern die Gatekeeper am DJ-Pult es zulassen. PS: Widerspruch ist ein wichtiges Indiz dafür, dass wir die Meinung anderer zur Kenntnis genommen haben.
[…] Ich habe dann in der Gruppen-Diskussion und in privater Kommunikation mit einzelnen Mitgliedern für Mäßigung und den Gedanken geworben, ihn nicht ganz so ernst zu nehmen. Als Journalist habe ich gelernt, dass Schweigen in einer Auseinandersetzung bisweilen wertvoller sein kann als ein Schwall vermeintlich luzider Argumente. Dabei hab´ ich die Formulierung “Klappe halten” gebraucht. Wenn dies nach dem Stilempfinden der Administratorin und den Richtlinien der Gruppe “grob” sein soll, dann bin ich in der Tat falsch in dem Verein. Ich hab’ (nicht nur in dieser Gruppe) mehrfach darauf hingewiesen, dass die armen “Riedl-Opfer” sich zum großen Teil selbst zum Opfer machen, weil sie seinen Provokationen immer wieder auf den Leim gehen. Siehe dazu meinen einschlägigen Blog-Text http://kroestango.de/aktuelles/gerhard-r-der-pluvianus-bavarius-der-tangoszene/ . […]