Eine Woche. Drei Milongas. Ein locallocal DJ. Ein local DJ mit internationaler Erfahrung. Eine argentinische Gast-DJane. In meiner Anwesenheit rund neun Stunden Konserven mit Musik aus der Epoca d’Oro. Darunter ein Stück, das ich noch nicht kannte. Immerhin. Pugliese? Fehlanzeige. War schließlich alles vor Mitternacht. Dafür ist meine Laune erstaunlich gut geblieben.
Ich erhole mich gerade von einem fetten grippalen Infekt. Deshalb fast drei Wochen Milongapause. Diese Abstinenz erhöht offenbar meine Frustrationstoleranz gegenüber jeglicher Art von Tango. Letztens hab’ ich geschrieben, dass ich nur noch tanze, wenn mir die Musik wirklich gefällt. (*) Diesem Grundsatz treu zu bleiben, ist mir in dieser Rekonvalenzenz-Woche nicht schwer gefallen. Am schönsten fand ich die knappe Stunde Livemusik in einer der Milongas – darunter zwei Stücke von Astor Piazzolla, zum Tanzen arrangiert. Da denk ich nicht an Maßhalten.
Drei Djs unterschiedlicher Herkuft und/oder Erfahrung in einer Woche: Eine gute Gelegenheit also, unterschiedliche Handschriften herauszufinden. Eigentlich. Anfangs dachte ich, die Frau auf Buenos Aires pflege einen anderen Stil als die beiden Deutschen. Sie ging mit größerer Energie in die Veranstaltung, so wie ich es drüben selbst am Nachmitttag erlebt habe. Später spielte sie mehr melodiöse Tangos (etwa von Miguel Calo) als die andern beiden. Aber bei einer „Blindverkostung“ hätte ich sie nicht heraushören können. Liegt das nun an meinem Benausentum oder an der Gleichförmigkeit der Veranstaltungen? Ich fürchte, es handelt sich um eine Mischung von beidem. Ohnehin hab’ ich mich auf klassischen Milongas schon oft gefragt, warum da dieser oder jener mittel oder größer benamste Gast-DJ aus X oder Y engagiert wurde. Unterschiede zum lokalen Personal sind mir nur selten aufgefallen.
Normalerweise bin ich froh, wenn mir in einer Milonga irgendwo zwischen 50 und 75 Prozent der Titel gefallen. In Veranstaltungen mit gemischtem Repertoire bin ich meistens noch bescheidener. Die (für meine Ohren )Novitätenquote bleibt eher hinter der in klassichen Milongas zurück. Denn das Bemühen um „tanzbare“ Simplizität scheint mir noch größer. Was den einen Juan d’Arienzo & seine Rhyth’m Kings, ist den anderen die weltmusikalische Schonkost a` la Loreena McKennit und Co. Aber es gibt Schlimmeres: Wenn mir technobeeinflusster Pop/Rock als „contemporary Tango“ verkauft werden soll, sehne ich mich glatt nach dem Orchesta Tipica Victor.
Ich weiß, dass man’s mir nicht leicht recht machen kann. Deshalb betreibe ich ja mein persönliches Erwartungsmanagement: Bloß nicht zuviel erhoffen! Immerhin spielt der ein oder andere Classicero hier inzwischen schon Mal eine Tanda von neoklassischen Coverbands wie dem Orchesta Romantica Milonguera. Stücke des Sexteto Milonguero sind leider eher zu hören. Insgesamt gibt es in der angeblichen Tangohauptstadt Europas höchstens eine Hand voll Milongas mit Musik, die diesseits der goldigen Zeiten entstanden ist. (**)
Dazu zählt das „Tangocafe“ von – jetzt nenn’ ich mal einen Namen: Thomas Klahn (***). Er ist einer der erfahrensten DJs der Stadt. Bei ihm bin ich am am achten Tag meiner Vergleichswoche gewesen. Wie meistens am Sonnabend. Zum Glück ist die Beschreibung auf https://www.hoy-milonga.com nicht ganz korrekt. Denn in seiner „speziellen Mischung aus traditionellen Tangos ( 50%) und Non Tangos ( 50% )“ lässt der Gastgeber gehörig Platz für Neotangos (jedenfalls meistens). Ein Ausschnitt aus dem Programm: Feinste „europäisch“ klingende Valses von Robert Firpo, swingende Bluesnummern nicht bloß von Hugh Laurie, Gotan Project, Piazolla-Stücke, gespielt von anderen Gruppe, aber auch eine meiner Lieblingsnummern played by the Master himself: „Deus Xango“ von der LP „Summit“ mit dem Baritonsaxophonisten Gerry Mullligan https://youtu.be/N01XKUYxzgo. Und als Rausschmeißer eine Version von La Cumparsita mit Berlinbezug – gespielt vom Orchesta Tipica Silencio https://youtu.be/cVnVZAWn4M4 (****). Wo es mir am besten gefallen hat, ist jetzt keine Überraschung mehr: In der Milonga, die sich wohltuend (für mich jedenfalls) von den drei anderen unterschied.
(*)Tangotanzen macht lustig, 14. März 2018.
(**) Ich weiß, im Süden hinter den sieben Bergen gibt es einen Ort, an dem eine Musikmischung nach meinem Gusto erklingt. Aber der Weg nach Pörnos Aires ist mir schlicht zu weit. Deshalb hier nur als Beispiel die Playlist von Gerhard Riedl jüngster Wohnhzimmermilonga: http://milongafuehrer.blogspot.de/2018/03/playlist-der-wohnzimmer-milonga-am-17318.html.
(***) In der Kreuzberger Tanzschule Bebop veranstaltet er schon seit Jahren dienstags und sonnabends zwei unterschiedlich formatierte Milongas. Siehe: https://www.hoy-milonga.com
(****) Von seinem Auftritt beim Berliner Tangofestival 2007 gibt’s eine DVD. Bandleader Roger Helou leitet auch in diesem Jahr im Rahmen des Embrace-Festivals wieder einen OrchesterWS. Näheres unter embrace-berlin.de
6 Comments
> Aber bei einer „Blindverkostung“ hätte ich sie nicht heraushören können.
Eine erfreuliche ehrliche (und deshalb ungewöhnliche) Feststellung. Und das hat nichts mit deinem Banausentum zu tun, sondern schlicht mit der Begrenztheit des EdO Repertoires zu tun. Die meisten Tradi-DJs kommen mit ca. 200-300 Stücken aus, woher soll da irgendeine Abwechslung kommen? Und die “große Kunst des (traditionellen) Auflegens”? Lachhaft, man nehme einfach fertige Tandas z.B. von http://tandaoftheweek.blogspot.de/ oder Spotify – fertig. Alles andere ist Marketing-Gedöns. Deshalb dudelt der locallocal DJ genau das selbe Zeug wie der argentinische Gast-DJ (nur dass der mehr Kohle dafür bekommt). Wenn beide hinter einem Vorhang/Paravent auflegen würden, würde kein Mensch den Unterschied erkennen/heraushören.
> Ich weiß, im Süden hinter den sieben Bergen gibt es einen Ort, an dem eine Musikmischung nach meinem Gusto erklingt.
Bei den sieben Münchner Zwergen gibt es auch noch MEINE Milonga (jeden Montag im Lachdach Pling).
Da hättest du letzte Woche z.B. zu dieser schöner Cumparsita gemischt mit der Habanera tanzen können:
https://www.youtube.com/watch?v=W4fSerfZa34 (der Typ auf dem Photo ist NICHT der Musiker ;-))
Lieber Thomas, schön, daß wir uns mal wieder über den Weg getanzt sind. Ich denke, auf einer der von Dir erwähnten Milongas sind wir uns begegnet, d.h. das Dj-ing der Kollegin aus BsAs haben wir auch über uns ergehen lassen. Es fällt mir nicht leicht, hier von Dj-ing zu sprechen, da es sich offensichtlich lediglich um eine Playlist handelte und die Djane nur sporadisch am Laptop zu sehen war. Der “Drive” entsprach etwa dem, was wir auch von BsAs gewohnt sind, wir waren offenbar in anderen Milongas als Du. 😉 Die Musikauswahl war für unseren Geschmack viel zu sehr vokallastig, bestimmt über 90 % der Titel, und m.M.n. etwas lieblos zusammengestellt. Über die Auswahl der Cortinamusik kann man geteilter Meinung sein, ich fand sie unglücklich gewählt. Bei manchen Stücken wäre es auch nett gewesen, wenn der Ton etwas nachreguliert worden wäre. Nun ja, man kann nicht alles haben und Geschmäcker sind nunmal verschieden, aber ein bisschen mehr Mühe geben kann man sich schon, auch wenn, oder gerade weil, man aus Buenos Aires kommt.
Vielen Dank, lieber Christian. Ich find’s immer ganz beruhigend, wenn ich mit meinem manchmal etwas krummen Geschmack nicht ganz allein bin.
“Pörnos Aires” – welch eine Wortschöpfung! Ich dank’ natürlich ergebenst für die Erwähnung und werd’ die Kreation einfach klauen. Komisch, ich lese laufend beides: Berlin mit der ultracoolen Auswahl verschiedenster Tangoevents und dann doch wieder die Klage über fehlende Bandbreite. Sollte man sich mal einig werden…
Beide Wertungen schließen einander nicht aus, lieber Gerhard Riedl. Es gibt schon eine große bis riesige Auswahl an Events in immer neuen Locations und in unterschiedlichen Formaten – allerdings vorwiegend mit Musik aus goldigen Zeiten. Musik, die Du (unterstelle ich jetzt mal) cool fändest, ist Mangelware. Kurz gesagt: Viel dasselbe vom gleichen. Oder umgekehrt? PS: Dank für die Diebstahlsbereitschaft….