Ein befreundeter DJ berichtete dieser Tage auf Facebook, dass bei einem seiner Gastspiele eine teure Lampe der Tanzlocation verschwunden sei. Aus dem allfälligen Echoraunen über die böseböse Welt ragte eine Formulierung heraus: „ Einfach asozial – passt nicht zum Tango!“ – Hmmmmhhh, durchfuhr es mich. Passt Klauen besser zum Chachacha? Oder doch eher zum Eishockey?
In Teilen der Community beobachte ich einen Hang zur Überforderung dieses wunderbaren Tanzes – nach dem Prinzip (überspitzt formuliert): Im Tango gehen wir ja sooo sensibel miteinander um. Allein schon die vorbehaltlose, an Zärtlichkeit grenzende Umarmung… Wenn doch der Rest der Menschheit sich ein Beispiel daran nähme, ginge es viel friedlicher zu in dieser Welt.
Eine Tangobekannte arbeitet seit einiger Zeit an einem Buchprojekt mit dem Arbeitstitel „Wie im Tango so im Leben“ oder auch „Tango im Spiegel von Lebensthemen“. Deshalb hat sie jetzt eine Rundmail mit der Frage verfasst: „Was hast Du vom Tango in Dein Leben mitgenommen?“ Misstrauisch gegenüber meinem Mangel an Begeisterungsfähigkeit (manche nennnen es auch Zynismus) hab ich die Frage kommentarlos meiner tangotanzenden Frau vorgelegt.
Ihr spontane Antwort (sinngemäß zusammengefasst): Der Tango hat mein Leben bereichert, weil ich neue Bekannte gefunden habe. Aber er schränkt gelegentlich auch die Freundschaft zu Menschen ein, die nichts mit ihm zu tun haben. Und wenn ich einen Urlaub plane, schau ich gleich, obs da auch eine Milonga gibt. Undsoweiter. Auf dieser Ebene hätte ich auch argumentiert.
Tango ist für uns ein wichtiges, manchmal etwas zu wichtiges, weil höchst raumgreifendes Freizeitvergnügen. Um seiner Übermacht entgegen zu wirken, organsisieren wir uns seit einer Zeit regelmäßig Theaterabende. Zum Besuch von Museen komme ich als Rentner besser als meine berufstätige Partnerin. Manchmal sind die Karten für das Deutsche Theater oder die Komische Oper inzwischen sogar wichtiger als eine der seltenen Milongas mit Livemusik, die wir beide so sehr schätzen. Aber weder von dem Geschehen auf den einen noch auf den anderen Brettern, die angeblich die Welt bedeuten, erwarte ich deren Rettung oder auch nur Verbesserung. Beide bieten Kontrast. Erholung von ihren Fährnissen. Wenn’s gut geht. Wenn nicht, gibt’s Langeweile, Ärger, zusätzlichen Stress.
War’s das? Nicht ganz. Etwas Begeisterung soll schon sein. Mir als eher unsportlichem Mann hat der Tango zu einem bewussteren Umgang mit meinem Körper und, ja, auch mit meiner Männlichkeit verholfen. Ich führe. Auf der Tanzfläche. (*) Aber wo bleibt der vielzitierte „Spinoff“-Effekt dieser Entschiedenheit, aber auch der Sensibilität für die Bewegungen meiner Tanzpartnerin, im wirklichen Leben? Na ja… Weder die Selbstwahrnehmung noch die Beobachtung anderer Tangoindividuen nähren diesbezüglich meinen Enthusiasmus – selbst wenn Tangoübungen ähnlich wie kollektives Durchschlagen in freier Natur inzwischen Eingang in Seminare für Manager gefunden haben.
Und noch eins: Angefangen hat diese Entwicklung nicht erst mit dem ersten Paso ba´sico, sondern erheblich früher – als ich überhaupt mit dem Paartanz begonnen habe. Mit einer Partnerin zu Musik, die ich mag, einen wortlosen Dialog zu zelebrieren, das hab’ ich zunächst mit Foxtrott, Rumba und Walzer gelernt. Tango zu tanzen, war ein wichtiger Schritt weiter, weil er eine größere Freiheit des persönlichen Ausdrucks ermöglicht. Wenn’s ideal läuft (was eher selten vorkommt), grenzt ein gelungener Tango an Meditation. Aber ich bin erstens glücklich verheiratet und zweitens nicht hinreichend spirituell veranlagt, um mehr zu erwarteten, als was sich auf der Pista abspielt. Es solo un baile. Es ist nur ein Tanz.
(*) Die aktuelle Debatte über die Verflüssigung der Rollenmuster im Tango lasse ich jetzt einmal außen vor.
2 Comments
Finde das einen großartigen Beitrag und sehe es ähnlich.
“Der Tango” ist weder Rettung noch die “eierlegende Wollmilchsau”, aber irgendwie auch doch, ein bisschen!?
Der Tango kann uns über schwierige Zeiten hinweghelfen…muss er aber nicht. Tango kann eine erfüllende Freizeitaktivität sein…oder eben nur eine von mehreren. Tango kann uns die Nähe geben, die wir im Alltag vermissen…aber eine Milonga ist keine Partnerbörse oder doch? Tango kann unser Sport sein…wichtiger wäre aber die “richtigen” Bewegungen zu machen, um für den Tango fit zu sein. Das sind nur einige Beispiele von unendlich vielen. Wir können den Tango verstehen oder missverstehen, wie können ihn gebrauchen oder missbrauchen.
Damit meine ich, Grenzen verschwimmen und der Tango wird manchmal zu etwas erhoben, was er nicht ist…oder für einige Menschen eben doch ist….und dann ist womöglich auch mal eine Ent-täuschung vorprogrammiert.
In jedem Fall haben wir mit ähnlichen zwischenmenschlichen Problemen zu tun, wie im sonstigen Leben auch…warum soll es beim Tango anders sein?
Für mich ist ein Leben neben dem Tango wichtig. Ich möchte wählen können und nicht vom Tango abhängig sein.
Wenn ich lieber mal im Schnee spazieren gehe, als auf einer Nachmittagsmilonga zu sein, finde ich das sehr gesund. Es macht mich frei von dem Anspruch, dass der Tango alle meine Bedürfnisse erfüllen soll 😉
Spazieren gehen: Ja. Im Schnee? Muss nicht. Ansonsten kann ich Dir nur zustimmen, mari. Vielen Dank für Deinen Kommentar.