Der bekannte Buchautor (“Der noch größere Milonga-Führer”) und Blogger (http://milongafuehrer.blogspot.de) Gerhard Riedl hat in seinem Blog jüngst zwei Mal aus einem Text zitiert, den ich so genau nicht mehr in Erinnerung hatte. Im November 2013 hab ich das deutsch-argentinische Tango-Show-Paar Nicole Nau und Luis Peryra interviewt, die regelmäßig in Deutschland auftreten. In dem Gespräch ging es unter anderem um Tango und Klischees sowie um die hierzulande von Tangoschulen oft für sich in Anspruch genommene Authentizität. Ich bringe das Interview, das ich für vier Zeitungen geführt hatte, in der (einzig noch im Netz erhaltenen Fassung) des Kölner Stadt-Anzeiger vom 23. 11. 2013. Vielen Dank Gerhard Riedl fürs Finden und Verarbeiten.
Die beiden bekanntesten Sätze über den Tango könnten gegensätzlicher nicht sein. Er sei „ein trauriger Gedanke, den Mann tanzen kann“, meint der argentinische Tango-Autor Enrique Santos Discépolo. Der Brite George Bernard Shaw nannte ihn den „vertikalen Ausdruck eines horizontalen Verlangens“. Meinen die beiden wirklich denselben Tanz?
Nicole Nau: Ich denke, ja. Aber ich unterschreibe keinen der beiden Sätze. Denn sie bedienen das ausgelatschte Klischee: Der Tango sei ein Tanz der Schwermut und schwülen Erotik.
Wie wäre es mit: Zwei ernste Gesichter – vier fröhliche Füße?
Nau: Das ist mir viel näher. Die ernsten Gesichter haben nichts mit Schwermut zu tun, sondern mit der Konzentration, die es erfordert, Tango zu tanzen. Sie haben damit zu tun, dass die Tänzer miteinander und mit der Musik Verbindung aufnehmen, um in der Sprache des Tanzes zu kommunizieren. Und die Füße – ja, sie sind wirklich fröhlich, weil sie mit großer Leidenschaft sämtliche Räume entdecken, die vier Beine gemeinsam erreichen können.
Erinnern Sie sich noch, was Ihnen durch Kopf und Herz ging, als Sie zum ersten Mal diese seltsame Musik mit dem quengelnden Sänger, der quietschenden Geige und diesem merkwürdigen Akkordeon, dem Bandoneon, gehört haben?
Nau: Es war in Düsseldorf – ich war Anfang 20 – auf dem Weg über einen Hinterhof zu einem Tanzstudio. Ich hatte einen Werbezettel für Tangounterricht auf der Straße gefunden. Das interessierte mich. Was mir da entgegenwehte, war ein Stück von Juan d’Arienzo, wie ich später erfahren habe. Ich fand das wahnsinnig leidenschaftlich. Es hat in mir eine seltsam kribbelige Mischung von Gefühlen ausgelöst: Sehnsucht, Kraft, Rebellion.
Es hat Sie dann so gepackt, dass Sie wenig später nach Buenos Aires gegangen sind.
Nau: Ganz so schnell ging das nicht. Erst mal bin ich nach München gefahren. Zur Show Tango Argentino. Erst viele Jahre später haben Luis und ich entdeckt, dass ich ihn da zum ersten Mal auf der Bühne gesehen habe. Aber eins war mir damals schon klar: Das konnte ich in meinem Düsseldorfer Hinterhof nicht lernen. Ich musste nach Buenos Aires. Ich wollte so tanzen, wie die Menschen, die ich auf der Bühne gesehen hatte. Das wusste ich. Dass ich einmal professionelle Tänzerin werden würde – daran habe ich im Traum nicht gedacht.
Sie kamen 1988 nach Buenos Aires und mussten feststellen: Niemand interessierte sich für den Tango.
Nau: So ist es. Die wichtigsten Leute, die Tango gespielt und getanzt haben – die waren unterwegs. Auf Welttournee mit Tango Argentino. Ansonsten gab es in der angeblichen Metropole des Tango nur drei Tangosalons und drei Tangoshows.
Trotzdem sind Sie nicht sofort wieder abgereist.
Nau: Das konnte ich gar nicht. Ich hatte ein Billigticket. Erst mit dem Zug nach Amsterdam, von dort über Kanada nach Buenos Aires. Ich saß für sechs Wochen fest; erst mal ohne Tango. Es war furchtbar. Ich bin dann für ein paar Tage nach Uruguay aufs Land gefahren – raus aus dieser schmutzigen, lauten Stadt. Aber dann hab ich mich auf die Suche gemacht, und hier und da meinen Tango gefunden. Doch selbst für eine Schallplatte habe ich Kilometer laufen müssen. Es war, wie eine Antiquität zu ergattern.
Sie haben mal gesagt, Frau Nau, dass es den Tango ohne Ausländer nicht mehr geben würde.
Nau: Das denke ich immer noch. Ohne das internationale Interesse würde sich heute nur ein kleiner Prozentsatz von Argentiniern für den Tango interessieren. Aber nun hängt ein ganz großes Geschäft dran: Tanzlehrer, Taxitänzer, die für Geld mit Touristen tanzen. Viele Tanzsalons gleichen Castingshows. Ich habe manchmal den Verdacht, dass die viel gerühmte Leidenschaft nicht in der Kultur steckt, sondern darin, dass man sich mit diesem Tanz produzieren – und ein Geschäft machen kann.
Trotzdem, der Erfolg kommt ja nicht von ungefähr. Sie haben es selbst erlebt: Tango macht etwas mit den Menschen. In Deutschland gibt es Managementseminare, in denen man beim Tangotanzen lernen soll, besser aufeinander einzugehen. Was ist sein Geheimnis?
Nau: Tango erlaubt große Lebendigkeit und Spontaneität. Es geht nicht darum, Schritte nachzumachen, die einem ein Lehrer beigebracht hat. Es geht darum, mit diesen Schritten die Musik zu erfühlen – mit einem Partner eine Einheit im Tanz zu bilden. Das Faszinierende ist: Der Tango schränkt nicht ein durch das Korsett „Sequenzen“. Nein, er ermöglicht den Tänzern eine riesengroße Freiheit.
Luis Pereyra: Diese Freiheit hat mit der spontanen Transformation zu tun, die die Beine erleben. Der Führende hat sowieso viel zu tun. Er muss die Musik hören, gehen, Figuren einleiten. Die Frau muss mit jeder Faser ihres Körpers darauf lauschen. Dann hat ein tanzendes Paar gar keine Zeit mehr, etwas anderes zu denken oder zu fühlen. Es gibt nur noch den gemeinsamen Genuss des Tanzes.
Aber was ist das typisch Argentinische am Tango, wenn eine gebürtige Deutsche zum gefeierten Star werden kann?
Pereyra: Die Frage nach dem Argentinischen im Tango wird sehr häufig gestellt, und es gibt sehr viele dumme Antworten. Die Deutschen, die Belgier, die Japaner sind angeblich kalte Typen, die normalerweise den körperlichen Kontakt meiden, deshalb tanzen sie Tango. Und wie kriegen die ihre Kinder? Ich glaube vielmehr, es gibt überall auf der Welt ein ursprüngliches Bedürfnis zu tanzen. Die Menschen entscheiden sich für den Tango auch deshalb, weil er sozial ist. Man trifft sich, man grüßt sich, man spricht miteinander. Dann tanzt man. Es gefällt einem oder auch nicht. Man wechselt den Partner. Alle sozialen Schichten sind vertreten. Allen gibt der Tanz die Möglichkeit, einen Moment außerhalb dieser Welt, außerhalb ihres Alltag zu erleben. Das hat der Tango allen anderen Tänzen voraus.
Es gibt im Englischen das phonetisch nahe beieinander liegende Wortpaar „sensual“ und „sexual“. Liegt das Geheimnis des Tangos womöglich genau in der Gratwanderung zwischen beiden?
Nau: Für mich hat Tango überhaupt nichts mit Erotik zu tun, sondern mit Sinnlichkeit im Sinn von „sensual“. Und Sinnlichkeit hat etwas mit Fühlen zu tun – mit den Sinnen. Es geht um zwei Körper, die einander Musik und Raum wahrnehmen, um miteinander tanzen zu können.
Pereyra: Vielleicht ist es deshalb langweilig, mit mir über Tango zu reden. Ich spreche nur über den Tanz. Nicht über Erotik oder Sex. Das geht mir nicht in den Kopf oder ins Herz.
Deutsche Tangoschulen werben gern mit der Behauptung, bei ihnen könne man den original argentinischen Tango lernen.
Pereyra: Ich mag es nicht, wenn meine Kultur von anderen gemanagt wird. Ich komme, um meine Kultur zu teilen. Ich komme nicht, damit man mir erklärt, wie meine Kultur ist. Ich käme nicht auf die Idee, mich so gegenüber der deutschen Kultur zu verhalten. Aber die Deutschen tun so, als könnten sie mir meine Kultur erklären. Ich halte meine Knochen dafür hin. Es gibt genug soziale und politische Probleme in meinem Land. Mein Teil ist die Kultur. Den verteidige ich, damit mein Land wieder wächst.
Was macht denn der leidenschaftliche Tangotänzer in Berlin oder London oder Köln. Tanzt er argentinischen Tango?
Nau: Ich finde es nicht richtig, wenn einer in London oder Berlin seinen Tango tanzt und das Tango Árgentino nennt. Ich fände es viel besser, wenn er sagt: Das ist Berliner Tango. In Köln tanzen sie wieder anders. Und in Buenos Aires erst recht!
Das Gespräch führte Thomas Kröter
3 Comments
Ein wirklich spannend den Blick weitendes, ein erhellendes Interview, dss ich nun nsch ein paar Jahren des Mitschwimmens und tieferen Eintauchens in den Dschungel des Tangoströmens ganz andets lese als damals! Danke fürs Machen und das hiesige Revival an dich und fürs Ausgraben an Gerhard Riedl!
Salon Tango, Show Tango, Argentinischer Tango, Export Tango … einerlei.
Ich nenne den Tanz von jetzt ab schlicht “Tango” und fertig.
> Er sei „ein trauriger Gedanke, den Mann tanzen kann“
…, den *man* tanzen kann
vgl. z.B. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14342396.html