Aus Anlass des Todes von Juan Carlos Copes habe ich einen Text von 2018 um einige Videos ergänzt – aus alten Zeiten, als er noch mit Maria Nieves aufgetreten ist. Was haben die damals für einen anderen Stil getanzt, als es heute üblich ist…. Seine letzte ständige Partnerin, ehe er schwer erkrankt ist und nicht mehr auftreten konnte, war seine Tochter Johanna. Zu sehen ist hier auch ein Tango zu dritt. Außerdem ein Interview mit Juan Carlos Copes von Pepa Palazon aus ihrer Reihe “Tengo una pregunta para vos” (mit englischen Untertiteln). Der Dokumentarfilm “Our last Tango” , den German Kral über Leben und Karriere der beiden gedreht hat, ist leider nicht in deutscher Sprache auf Youtube zu sehen. Von ihm handelt meine Besprechung in der “Frankfurter Rundschau”.
“Beinahe hätt ich’s vergessen: Vor zwei Jahren hab ich den Film “Ein letzter Tango” als damals noch hauptberuflicher Journalist in mehreren Zeitungen besprochen – nicht für die Tango-Community, sondern für ein im Zweifel tangofernes Publikum. Ich hab auch ein bisschen drumherum recherchiert. Danach lag die erzählerische Unwucht des Films nicht in der Absicht des Autors. Im Gegenteil. German Kral hatte beide ProtagonistInnen gefragt. Aber als Juan Carlos Copes hörte, dass Maria Nieves gleichgewichtig zu Wort kommen sollte, zog er seine ursprüngliche Zusage zurück. Er wollte ausschließlich s e i n e Version der Geschichte verfilmt sehen.
Also wurde es i h r e Version. Beinahe jedenfalls. Denn in mühevoller Überzeugungsarbeit ist es Johanna Copes, der Tochter und zeitweiligen Tanzpartnerin gelungen, ihren Vater doch noch zur Kooperation zu bewegen. Als sie den alten Herrn soweit hatte, war der Film jedoch nicht nur längst abgedreht, sondern schon fast fertig produziert. Deswegen wirken die Szenen mit ihm aus der Jetztzeit ein wenig wie Fremdkörper.
Meine Lieblingsanekdote über das Paar der Paare stammt jedoch nicht aus dem Film, sondern aus dem Buch, das der Tangoprofi und Autor Anton Gazenbeck über die wichtigste Show der Tangogeschichte geschrieben hat: “Inside Tango Argentino”. Darin stellt er die Vorgeschichte und die verschiedenen Versionen dar. Alle Akteure werden einzeln vorgestellt. Ich find’s interessant, weil es in der Würdigung der bahnbrechenden Rolle des Tänzers und Choreographen Juan Carlos Copes nicht nur Tangogeschichte bietet, sondern auch ein Stück Geschichte des Showbizz. Und jetzt zu meiner Lieblingsstelle: Darin schildert Gazenbeck die Schlusszene der letzten Wiederaufnahme der Show im Gershwin-Theater am Broadway.
Sie tanzten eine atemberaubende Version von Pate´tico… Ihr ganzes Leben und alle Gefühle daraus waren auf der Bühne ausgebreitet in drei Minuten voller Leidenschaft. Da war eine Spannung zwischen ihnen spürbar, aber es schien, dass beide reif genug waren, was geschehen war, geschehen sein zu lassen, und die Show ging weiter. Bis zur letzten Nacht. Auf dem letzten Taktschlag von “Patetico” (eins ihrer Bravourstücke von Osvaldo Pugliese) trat Nieves Copes auf den Fuß und murmelte: ‘Das ist für 50 Jahre, in denen Du mich wie ein Hurensohn behandelt hast.”
Es spricht für die Dezenz des Regisseurs, dass er sich diese herrliche Szene hat entgehen lassen. Aber wer weiß, vielleicht hat ja Copes’ Mitarbeit sie verhindert.
Es war das letzte Mal, dass die Welt dies legendäre Paar würde zusammen auftreten sehen.
Und nun die Rezension: “Aber wer gehört wem?”
Liebe, Hass und Leid: Ein Dokumentarfilm zeigt das berühmte Tango-Paar María Nieves und Juan Carlos Copes.
Ist das ein Tango-Film? Was für eine Frage. Die Hauptpersonen sind das wichtigste Paar in der jüngeren Geschichte dieses Tanzes: María Nieves und Juan Carlos Copes. Dauernd ist Tango zu hören, Tango zu sehen. Und dennoch ist der Tanz nicht die Hauptsache in diesem Film. Er handelt von zwei Menschen. Ihrer Beziehung. Ihrer Trennung. Und von der Erkenntnis, dass sie selbst in der Trennung nicht voneinander loskommen. Die beiden könnten auch Schauspieler sein oder Schriftsteller. Oder ein Metzger-Ehepaar aus Berlin-Spandau – wenn das denn so schöne Bilder hergäbe.
„Ein letzter Tango“ erzählt die ewige Geschichte von Mann und Frau und davon, was sie in der Lage sind, einander anzutun. An Liebe. An Leid. An Hass. Insofern ist es ein Film wie ein Tango. Denn um Liebesleid geht es in den meisten seiner Texte. In aller Regel sind sie aus der Perspektive des Mannes geschrieben, der die Geliebte anbetet. Oder ihr nachweint. Der wahre Star dieses Films von German Kral aber heißt María Nieves. Sie drückt der Geschichte des Paares ihren Stempel auf. Stellvertretend gibt sie damit der Frau im Tango eine Stimme. Der leidenden, vor allem: der kämpfenden Frau.
Das Wichtigste in diesem Film sind die Gesichter: Um Stolz und Beherrschung bemüht und doch so müde die Miene von Juan Carlos Copes; alle Regungen von Trauer und Resignation, Freude und Begeisterung nach außen tragend das Gesicht von María Nieves. German Kral zeigt sie ausgiebig. Aber bis ins Letzte mag er doch nicht auf sie vertrauen. Immer wieder müssen seine Protagonisten von A nach B gehen oder fahren – dabei ist doch alle Bewegung der Gemüter den lebensgegerbten Zügen dieser über 80 Jahre alten Menschen abzulesen.
Von der Kaschemme auf die Bühne
Ihre größten Erfolge als Tanzpaar feierten sie in den 70er und 80er Jahren. Aber Copes hatte schon früher eine Vision. Er wollte den Tango aus den Kaschemmen auf die Bühne bringen. German Kral lässt ihre jugendlichen Lookalikes einmal nachts im Regen auf einer Brücke tanzen. „Dancing in the Rain“. Die Filmstars Gene Kelly und Cyd Charisse waren ihre Vorbilder.
1983 dann der internationale Durchbruch: 1983 choreographierte Copes die Show „Tango Argentino“ mit ihnen beiden als Hauptdarsteller. Von Paris aus ging sie an den Broadway – und von dort um die Welt. In Buenos Aires war die Szene tot. Wie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Tango auch in seiner Heimat erst als Reimport aus dem Ausland zum Hit. Das Revival nahm seinen Lauf.
Über Jahrzehnte prägte die Show das Image des Tanzes – das Rollenbild auf der Bühne kam direkt aus der Realität einer durchweg patriarchalen Gesellschaft. In einer der Spielszenen, die das Leben der beiden Hauptfiguren rekonstruieren, erfindet Kral dafür einen magischen Moment. Traditionell fordert ein Tanguero die für einen Tanz Erwählte mit einem wortlosen Augenkontakt auf. Als der 17-jährige Film-Juan seiner 14-jährigen María zum ersten Mal auf dem Tanzboden begegnet, wird aus diesem „Cabeceo“ eine herrische Kopfbewegung.
Wenn es später um ihre Trennung, erst als Paar, dann als Tanzpaar geht, behauptet er: „Sie dachte, ich gehöre ihr. Aber sie gehörte mir.“ Sie spricht von den Emotionen, die notwendig zum Tango gehörten. Erst habe sie aus Liebe mit ihm getanzt. Dann aus Hass. Nicht von ihm hat sie erfahren, dass er mit einer anderen Frau eine Beziehung hatte. Davon gab es viele. Aber in dieser gab es auch ein Kind. Sie hatte sich so sehr eins gewünscht, den Traum aber für die gemeinsame Karriere aufgegeben. „Ich konnte Kinder kriegen“, beharrt sie in einer der bewegendsten Szenen des Films. „Mehr will ich dazu nicht sagen.“
Auch die letzte ihrer beruflichen Trennungen wird er ihr nicht selbst mitteilen. Doch als Juan María zu ihrem gefeierten Bühnen-Comeback ohne ihn gratuliert, berühren sie einander in einer fast zärtlichen Umarmung.
Auch German Kral schafft es nicht, sie ihre Erinnerungen teilen zu lassen. Selbst Filmausschnitte aus gemeinsamer Zeit kommentieren sie jeder für sich. Er bleibt stets der stolze unbewegte Bilderbuch-Macho. Sie lässt die Zuschauer an ihrem Schmerz teilhaben. Dennoch bleibt am Ende kein Zweifel, wer von beiden heute glücklicher ist.”
Ein letzter Tango. D/Argentinien 2015. Regie: German Kral. 85 Minuten.
Frankfurter Rundschau 22. 07. 2016