Neulich hab ich diesen musikalischen Filmausschnitt (*) auf Facebook geteilt. Es gab einigen Zuspruch – unter anderem von einer Tango-DJane, die ich durchaus schätze. Ihr Lob kleidete sie in die Formulierung: “Verwende ich oft als Cortina !” Dazu war ein Smiley gepostet. Dergleichen habe ich aus ihren Kreisen schon häufig gehört oder gelesen, wenn jemandem ein Musikstück besonders gut gefällt, bei dem es sich nicht um Tango handelt.
Warum bloß ist mir der Satz dieses Mal so sauer aufgestoßen? Er war doch gut gemeint. Vielleicht war ich verstimmt, weil ich gerade auf einer Milonga gewesen bin, aus deren musikalischen
In der Rubrik AUFGESPIESST erscheinen keine gründlich durchgearbeiteten Texte. Sie präsentiert möglichst aktuell und knapp, worüber der Flaneur im Internet gestolpert ist – und versieht die Fundstücke mit mehr oder weniger polemischen Kommentaren.
Angebot mir die Pausen-Vorhänge zwischen den Tandas mit Abstand am besten gefallen haben. Encuentro-geschult ließ der DJ die Cortinas sehr lange laufen, damit sich die Tanzfläche vor dem nächsten Abschnitt auch wirklich Cabeceo-tauglich lehrte. Angesichts der geringen Teilnehmerzahl wäre das gar nicht nötig gewesen. Aber mir bot es Gelegenheit, zu überlegen, ob ich mich an der schönen Musik (meist etwas swingendes) erfreuen oder lieber ärgern sollte, weil die Haupt-Musik für meinen Geschmack so Grotten-langweilig daher kam. Ich konnte nicht anders und hab mich in die zweite Variante hineingesteigert. So früh zuhause war ich selten.
Mancher Tango-Beschaller, so scheint es mir, scannt die musikalische Welt wie ein Werbefilmer, der einen Spot für einen neuen Auto-Typ, einen Treppen-Lift oder Anti-Fußpilz-Mittel zu drehen hat: Welchen Schnipsel kann ich brauchen? Ob er mit einem güldenen Tango von St. Anibal ähnlich respektlos umginge? Was die Werbung angeht, räume ich ein: Das Geschnipsel hat eine bildende Funktion: es macht Menschen haben mit Teilen der klassischen Musik des Abendlandes bekannt, die sonst eher House, Hiphop oder Helene Fischer zugetan sind: Was war das? Beethoven… aha!
Zur Ehrenrettung besserer DJs sei zugestanden, dass sie Cortinas zielgerichtet zur dramaturgischen Belebung einer Milonga einsetzen. Was mich allerdings zu der Frage führt, warum sie nicht gleich so auflegen, dass es eines musikalischen Defilibrators nicht bedarf. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe nichts gegen Cortinas. Sie tragen zur Strukturierung einer Veranstaltung bei und helfen, Paare sozial problemarm und ohne Gesichtsverlust zu trennen. Ich hatte nur einen kleinen kulturkritischen Anfall ob des instrumentellen Umgangs mit zum Teil großartiger Musik.
Es gibt übrigens Milongas, bei denen die Tänzerinnen und Tänzer ihr Lob für eine Cortina auf sehr praktische Weise ausdrücken: Sie tanzen sie einfach. Und wenn ein (aus meiner Sicht) guter Musicalizador am Werk ist, nimmt er oder sie den Wunsch des Publikums auf und spielt den Titel zu Ende. Dafür kann’s sogar mal Beifall geben. Die parkettreinigende Funktion ist damit allerdings perdu. Aber stört mich das – solange mich die Musik begeistert?
(*) Ich finde unter “Harlem in Montmatre” immer wieder ähnliche Kostbarkeiten. Hier ein Ausschnitt aus der Selbstvorstellung der FB-Gruppe: ” Jazz and History – Paris made it possible for Mistinguett and Maurice Chevalier to revolutionize the world of the music hall, and also, more surprisingly, for a Black American artist, the “Ebony Venus” Josephine Baker, to win fame the world over as the first international black star, and activist. After the Great War, many neighborhoods in the City of Light and the surrounding region were simply bursting with creativity and incredible boldness. All social classes danced away to Jazz, Ragtime, and the Foxtrot, then the Charleston, imported by African-American soldiers. This music sounded very much like the freedom Europe hoped for at last … We have brought together private archives and partners so that together we can remember a socio-cultural movement that was like no other anywhere in the world. This shared moment in our shared history was, and will always remain for us all, a wonderful and concrete example of liberty, fraternity, and creativity.”
2 Comments
Gratulation! Welch großartige Musik – wenn man sich vorstellt, dass hinterher wieder irgendein Geplürre kommt, könnte man depressiv werden…
Glückwunsch auch zum neuen Format. Feuilleton können viele, aber diese Art der Schreibe liegt dir besonders – bitte mehr davon!
kein Widerspruch, euer Ehren…