Ich habe lange gezögert, über Neotango zu schreiben. Zu gering erschien mir meine Erfahrung mit diesem Genre. Zu lange hab’ ich vergeblich eine Antwort auf die Frage gesucht: Was ist das überhaupt? Aber jetzt hab’ ich mich reingeredet. Der Auftritt vier internationaler Stars der Szene beim Contemporary Tangofestival 2019 im Berliner Hauptbahnhof hat mich dazu bewegt, meine Frage “kurz und wurstig zu beantworten: ‘Alles was nichts mit Tango zu tun hat`’.” (*) Diese knappe Einlassung hat Irritationen unter Menschen ausgelöst, die mich als entschiedenen Gegner des EdO-Dogmatismus und differenzierten Freund des Neuen kennen (und vielleicht auch schätzen) gelernt haben. Also muss ich jetzt etwas ausführlicher ran.
Stephanie Daughtery, eine treue Facebook-Freundin aus dem Nordwesten der USA, antwortete mir mit einem argumentativen linken Haken: “Könnte dies Gefühl”, fragte sie listig, “mit dem vergleichbar sein, was Komponisten der “Goldenen Ära” über Piazzolla gedacht haben?” (***) Patsch! Das saß – auch wenn der Vergleich mich ehrt. Bin ich also als konservativer Muffkopp entlarvt, wie… nein, keine Namen jetzt! Danke Steph, dass Du mir geholfen hast, meine Argumente zu überdenken! Der Einwand scheint ja durchaus berechtigt, dass ich meine Toleranz verliere, sobald es um meinen eigenen Geschmack geht.
Ich könnte jetzt auf der musikalischen Ebene argumentieren: Astor Piazzolla blieb durchaus im Rahmen der musikalischen und rhythmischen Strukturen des Tango, auch wenn er sie erweiterte, zerbrach und neu wieder zusammensetzte. Bei den Titeln aus Rock, Pop, und Techno, die als “Neo” apostrophiert werden, handelt es sich nicht um Produkte einer kritischen Auseinandersetzung mit der Tradition des Tango. Die meisten sind produziert worden ohne jede Kenntnis dessen, was wir gelernt haben, unter jenem Tango zu verstehen, der vor mehr als einem Jahrhundert irgendwo in der Gegen um Buenos Aires und Montevideo entstanden ist. Das unterscheidet sie von Piazzolla und Co., aber auch vom Electrotango im Gefolge von Gotan Project.
Aber diese Ebene interessiert die meisten Protagonisten des Neotango nicht. Wie der Kölner Eishockey-Club “Die Haie” mit dem Slogan wirbt: “Wir wollen nur spielen”, skandieren sie: “Wir wollen nur tanzen” – und zwar mit jenen Mitteln, die sie im Tango-Unterricht zu einer altmodischen Musik gelernt haben, die ihnen immer mehr auf den Wecker gegangen ist. Von der wollen sie nichts mehr wissen. Doch sie mögen die Moves, obwohl sie für den Geschmack der meisten etwas größer sein dürften als im “Tango de Pista” , vor allem aber stehen sie auf “Embrace”, “Abrazo”, Umarmung. Kurz: Sie wollen Tanzen mit Anfassen (wie übrigens auch die Freunde des Ballroom-Dancing, die sich nach den Regeln des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrer-Verbandes bewegen). Eine wie weit oder eng auch immer interpretierte “Argentinidad” mit Anlehnung an die hergebrachte Tanzkultur in den Milongas von Buenos Aires (Codigos) lehnen sie als historisch überholt ab.
In den Worten von Elio Astor II, einem DJ, den man getrost den “König des Neotango” nennen kann:
“Lasst uns den alten Tanz der Umarmung nehmen, und lasst uns ihn tanzen zu jener zeitgenössischen Musik, die tanzbar ist in der Biomechanik des Tango und die eine Qualität in der Ausführung oder eine Geschichte zu erzählen hat. Lasst uns schöpfen aus der Musik der ganzen Welt, ohne Vorurteile, ohne ein bestimmtes Musik Genre…” (****)
Die in Berlin lebende amerikanische Lehrerin und Tänzerin Vio formuliert es kürzer:
“Wir gebrauchen die Sprache und Technik des Argentinischen Tango mit zeitgenössischer Musik”. (Übersetzung aus dem Englischen von mir)(*****)
Meine flapsige Zusammenfassung, Neotango sei alles außer Tango, war also satirisch überzeichnet, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Oder ernsthaft ausgedrückt: Der Neotango entkleidet den Tango jedweder musikalischen Substanz. Übrig bleibt die Methode, zu gegebener Musik als Paar improvisierend zu tanzen. Ich bin fern davon, über dieses Verfahren den Stab zu brechen. Immer wieder habe ich zustimmend – auch in diesem Blog – die beiden Grundsätze meiner ersten, alternativen Standard-Latein-Tanzschule “Bebop Berlin” zitiert: “Man kann alles auf alles tanzen” und “Jeder Schritt ist führbar”. Ich praktiziere diese Art zu tanzen auch immer wieder. Dabei mische ich in den choreografischen Hybrid stets Elemente, derer ich mich aus dem Ballroom-Dancing erinnere. Deshalb bin ich zum Beispiel “Soltadas “gewöhnt, mit oder ohne Unterarmdrehung, ohne sie je speziell für den Tango gelernt zu haben. Aber ich scheue davor zurück, etwa “Blue suede Shoes” von Carl Perkins mit vorangeklebtem “Neo” nun “Tango” zu nennen, bloß weil ich unter den RocknBoogie, den ich darauf zu tanzen pflege, eineinhalb Ochos oder so gemixt habe.
Früher fand ich es ziemlich arrogant, jedweden Tanz außer Tango schlicht unter dem Label “Nontango” abzuheften, nach dem Motto: Tango ist der Mittelpunkt der Welt. Umso übergriffiger ist es für meinen Geschmack, via “Neo” den Rest der Tanzwelt gleich einzugemeinden. Warum tanzen wir nicht “Rumba mit Tangoelementen”? Wahrscheinlich, weil zu viele TangotänzerInnen nichts vom großen “Rest” der Welt wissen…
Anders herum: Man muss es ja nicht gleich bis in die letzte Codigo übertreiben, aber ein wenig Argentinidad mit einem Anflug melancholischem Tangofeelings mag ich schon. Deshalb sind mir unter den “Nontangos” jene mit einer Prise Blues-Feeling die liebsten. Ich weiß allerdings auch, dass der Tango in seinen goldigen Zeiten die größten Erfolge als fröhlicher Party-Tanz in den Riesenmilongas der Karnevalssaison von Buenos Aires feierte. Hier wurde Juan d’Arienzo informell zum “Rey del compas” gekrönt. Auf Facebook gibt es einige Gruppen zur Marke “Alternative Tango”, in denen ich Musik in der Nähe meines Geschmacks finde. Eine wird von Carsten Buchholz gemanagt und propagiert eine Verwandtschaft von Tango und Blues.
Wenn ich mich schwer tue, den “Neotango” als Methode zu akzepierern, liegt das, ich geb’s zu, nicht zuletzt an eben diesem Musik-Geschmack. Mit der Party-Musik von heute hatte ich schon früher wenig am Hut. Meine inner Soundcard umfasste im Lauf der Jahre vor allem anglo-amerikanische Folkmusik, samt den zugehörigen Singer-Songwritern auch aus Deutschland wie Franz Josef Degenhardt und Hannes Wader; Swing aus derselben Goldenen Epoche wie jener des Tango; Rock und Blues, die aus den legendären analogen Marshall-Boxen an meine Ohren drangen. Ach ja, französische Chansons nicht zu vergessen. Der Discosound der frühen bis mittleren Jahre war mir ähnlich zuwider wie später alle möglichen Spielarten von Techno, House und dergleichen. Solche Klänge dominieren aber, soweit ich das mit bekomme (etwa im repräsentativen Querschnitt beim Berlin CTF), die Playlists der Neotango-DJs. Mit anderen Worten: Das ist nicht meine Welt.
Und auch dies darf nicht fehlen: Ich finde EdO-Monokultur zwar strunz langweilig. Aber das Orchesta tipica Victor ist mir allemal lieber als irgendwelches House-Gewummere. Ich bin ein Fan von Musik, die ohne digitale Effekte produziert wird: Von Joan Baez über Lester Young bis Lucio Demare. Und nicht zuletzt bin ich ein Fan von von Tango-Musik, die in diesen Tagen aufgenommen wurde, ob es sich dabei nun um ältere Kompositionen handelt, oder solche, die erst in den letzten Tagen oder Jahren geschrieben wurden. Dergleichen ist für mich “contemporary tango” – zeitgenössische Musik, die den Namen “modern” verdient.
PS: Am Rande der Berliner “Shades of Neotango” überraschte mich ein sachkundiger Mensch, dem/der ich das nie zugetraut hätte, mit dem Seufzer: “Jetzt versteh ich endlich, warum die Tradis nichts mit dem Neotango anfangen können.” Den Namen behalt’ ich fein für mich…
(*) I ch hab von den DJ-Auftritten in Berlin nichts aufgenommen. Aber das Eingangsvideo erscheint mir durchaus charakteristisch für das, was unter Neotango verstanden wird. Mit dem Tanz dieses Paares hab ich übrigens keine Probleme. Ansonsten hab’ ich diesen Beitrag in bewährter Manier mit Tondokumenten gewürzt, die mir gefallen.
(**) http://kroestango.de/aktuelles/notizen-vom-und-zum-ctf-2019/ Die DJs: Anna Neum (Moskau), Peggy Schorn (Tübingen) , Raffaella Tempesta (Paris) und Davis Firmin (Barcelona). Die drei letztgenannten präsentierten sich im Rahmen des Abends “Different Shades of Neotango”.
(***) “Could this sentiment be what “golden age” composers thought of Piazzolla?”, FB 25. 8. 2019
(****) Offener Brief an den Tango-Leser, 25.12. 2017, Übersetzung aus dem Italienischen: Frank Gottschalk
(*****) https://tangoforge.com. Vios Begriff von Tango ist durchaus komplizierter, fordernder. Aber darauf kommt es mir im aktuellen Zusammenhang nicht an.
9 Comments
betrachtungen der welt aus der eigenen position ergeben die eigene sichtweise. genauere betrachtungen ergeben ein detailreicheres bild der eigenen sichtweise. ein aus der eigenen postion betrachtes objekt kann keine umfassende beschreibung des objekts ergeben. zu der kann man nur gelangen wenn man selbst eine andere betrachtungspostion einnehmen könnte. das ist oft nur sehr schwer möglich. eine andere möglichkeit wäre es die schichweisen anderer hinzuzuziehen. diese unterschiedlichen detailreichen bilder über das betrachtete objekt können nicht deckungsgleich sein. wie geht man nun mit den differenzen um? nimmt man sie als bilder des objekts an, oder wertet man sie als falsch oder schlecht betrachtet? Nur im ersten fall kann man zu einer umfassenden erkenntnis über das betrachtete objekt gelangen. ansonsten bleibt es nur die eigenen sichtweise.
Ich bin nicht sicher, lieber Andreas, ob ich deine, nun ja, erkenntnistheoretischen Erwägungen auch nur annähernd adäquat erfasse. Falls das der Fall sein sollte, lautet meine Antwort: Wie kann ich besser andere Sichtweisen hinzuziehen, als dass ich meine eigene öffentlich zur Diskussion stelle?
das ist sicher eine gute möglichkeit.
an einigen punkten ergibt sich aus meiner position eine andere sichtweise.
punkt 1 – „Bei den Titeln aus Rock, Pop, und Techno, die als “Neo” apostrophiert werden, handelt es sich nicht um Produkte einer kritischen Auseinandersetzung mit der Tradition des Tango“
kann man das mit sicherheit für alle künstler ausschließen? aus meiner sicht nicht.
punkt 2 – „“Wir wollen nur tanzen” – und zwar mit jenen Mitteln, die sie im Tango-Unterricht zu einer altmodischen Musik gelernt haben, die ihnen immer mehr auf den Wecker gegangen ist. Von der wollen sie nichts mehr wissen.“
diejenigen die ich kenne, und es sind einige, besuchen auch die sogenannt „traditionellen milongas“. aus meiner sicht ist deine beschreibung der gruppe die gern zu der oben erwähnten musik tanzen völlig unzutreffend, auf einige wenige mag das zutreffen.
punkt 3 – „Eine wie weit oder eng auch immer interpretierte “Argentinidad” mit Anlehnung an die hergebrachte Tanzkultur in den Milongas von Buenos Aires (Codigos) lehnen sie als historisch überholt ab.“
wenn du mit „ Argentinidad“ die qualität oder bedingung des seins argentinier meinst. warum sollten überhaupt jemand beim tango etwas zu sein spielen, was er nicht ist?
punkt 4 – „Warum tanzen wir nicht “Rumba mit Tangoelementen”? Wahrscheinlich, weil zu viele TangotänzerInnen nichts vom großen “Rest” der Welt wissen… „
das wäre eine mögliche erklärung. eine andere wäre keine notwendigkeit und/oder bereitschaft zu empfinden sich den regeln des allgemeinen deutschen tanzlehrer-verbandes zu unterwerfen.
Danke für die freundliche Erwähung 🙂
Interessanter Artikel, viele Einschätzungen & Ansichten teile ich. Ich persönlich wolllte mich noch nie auf einen Musikstil festlegen – eine Faszination beim Tango tanzen ist für mich die Abwechslung in der Musik, die dabei möglich ist / wäre.
Was mich immer wieder irritiert sind die Begriffe – eine “Neolonga” war für mich bisher eine Veranstaltung, auf der von Tango Nuevo über Electrotango bis hin Pop alles gepsielt werden kann. Scheinen andere DJs nicht so zu sehen. Hm.
Am Sonntag überraschte mich eine Tango-Lehrerin mit der gegenteiligen Sicht. Für sie darf sich sogar nur dass “Non Tango” nennen, was wenigstens das typischen 8er-Muster des Tangos enthält. Alles andere is tnicht mal Non-Tango sondern (was auch immer). Konnte die Diskussion leider nicht vertiefen, mußte dann Tanzen.
Also die Begrifflichkleiten sind weit offen … aber das macht auch ein wenig den Reiz aus.:
Teekesselchen-Goldgrube Tango Argentino
http://blog.neunmalsechs.de/2018/11/05/teekesselchen-goldgrube-tango-argentino/
[Korrigierte Version, ich drücke immer viel zu schnell auf Absenden, sorry]
Danke für die freundliche Erwähung 🙂
Interessanter Artikel, viele Einschätzungen & Ansichten teile ich. Ich persönlich wolllte mich noch nie auf einen Musikstil festlegen. Und jeder Musikstil hat für mich seine Höhen und Tiefen (auch der EdO-Tango). Eine Faszination beim Tango tanzen ist für mich die Abwechslung in der Musik, die dabei möglich ist / wäre.
Was mich immer wieder irritiert sind die Begriffe – eine “Neolonga” war für mich bisher eine Veranstaltung, auf der von Tango Nuevo über Electrotango bis hin Pop alles gespielt werden kann. Scheinen andere DJs nicht so zu sehen. Hm….
Am Sonntag überraschte mich eine Tango-Lehrerin übrigens mit der gegenteiligen Sicht. Für sie darf sich sogar nur dass “Non Tango” nennen, was wenigstens das typischen 8er-Muster des Tangos enthält. Alles andere sei nicht mal Non-Tango sondern “Unterhaltungsmusik”. Konnte die Diskussion leider nicht vertiefen, wurde zum Tanzen verführt.
Also die Begrifflichkleiten sind weit offen … aber das macht auch ein wenig den Reiz aus.:
Teekesselchen-Goldgrube Tango Argentino
http://blog.neunmalsechs.de/2018/11/05/teekesselchen-goldgrube-tango-argentino/
Die anatomischen Voraussetzungen dürften für den größten Teil der Tänzer einigermaßen ähnlich sein.
Daher ist es sicherlich möglich, auf jede Musik Tango zu tanzen. Allerdings ist man nicht dazu verpflichtet.
Thomas, altes Haus, mir scheint, wir haben hier ähnliche Sichtweisen. Es heißt Tango sei ein trauriger – oder, ich würde sagen, melancholischer – Gedanke, den man tanzen kann. Die Bewegungssprache wäre von daher fürs Melancholische optimiert. Hier kann ich gefühlsmäßig andocken. Blues-Artiges, einer meiner Favourites ist Snowy White, manch RnB-mäßiges paßt auch. Wenn ich auf Non- oder Neolongas Musik aus der osteuropäischen Hüpfecke höre, reines Soundgewaber, nur aus Takt Bestehendes oder Zirkus-Manegenmusik, habe ich jedenfalls tänzerisch immer dieses WTF-Gefühl, das in Sitzen mündet, als gute Alternative zur Autopilot-Beliebigkeit.
Denkenswerter Beitrag.
Wie immer bei diesem Themenkomplex wurmt mich die Vermischung von Tanz und Musik bzw. reden wir vom Tanz oder Reden wir von der Musik.
Einmal ganz abgesehen vom Thomas’ Betrachtungen würde eine Definition der Begriffe viele Missverständnisse klären.
Beginnen wir bei der Musik: Tango! Es gibt Tango aus der Epoca de Oro. Aber es gibt noch älteren Tango oder jenen, wo Sänger zu reiner Gitarrenmusik singen. Dann wäre ja der “Tango Nuevo”, ein Begriff, den das Octeto Buenos Aires (Piazzolla, Federico, Stampone etc.) bereits 1956 geprägt hatte. Schliesslich entwickelt sich dieser parallel zu den Retro-Bands (ähnlich einer Dixilandband aus den 60ern) bis in die 90er weiter. Dann gäbe es auch Fusion-Projekte, allgemein als Elektrotango bekannt und andere experimentelle Spielarten. Hierbei reden wir nur von der argentinischen (genauer BA und MV) Tradition, die ja auch in Europa, USA oder Japan zelebriert wurde.
Im ersten Video haben wir “sonst eine Musik”, welche die Tänzer im Übrigen toll und vor allem musikalisch interpretieren. Es liegt mir fern irgend jemand zu kritisieren. Wer Freude hat tänzerische Tangoelemente hier anzuwenden, soll es geniessen. Allerdings tanzt in diesem Beispiel das Paar weiterhin “klassischen Tango” und die Musik ist nicht-tango. Kein Problem.
Nun könnte man ähnliche Betrachtungen auch beimTanz machen. Traditineller Tango, modernere Elemente wie sie seit ca. 20 Jahren stets erweitert werden, oder gar Vermischen mit traditionell unterschiedlichen Tänzen. Auch das soll und darf erlaubt sein.
Das Einzige was mich persönlich stört, ist der mangelnde “Respekt” gegenüber den Künstlern und Schaffenden, die uns die Musik schenkten (egal ob Tango, Rumba, Bossa Nova, RnR oder Rap) und ebenso der vielen Tanzstiele.
In Zeiten, wo die meisten Musik- und Tanzkonsumenten alles “downloaden” ohne weitere Info, geht sonst das “moralische Urheberrecht” verloren. Bevor mich nun jemand falsch versteht und mich als Retro-Dinosaurier etikettiert, will ich dies mit einem plakativen Beispiel erklären.
Man stelle sich vor, eine Popgruppe spielt eine Bethoven- oder Mozartkomposition, mischt Loops hinein und verkauft es als eigenes Werk, würden wohl einige Leute (zu Recht) protestieren. Nicht wegen des vielleicht auch gelungenen Experiments, sondern weil hierdurch das Gedächtnis an und das Vermächtnis der Komponisten ausgelöscht würde (auch wenn die Urheberrechte längst abgelaufen sind) oder wir würden uns daran stören, wenn Hinz und Kuns von Hunzenschwil uns verkaufen wollen, sie würden den BossaNova erschaffen… Ich hoffe damit richtig verstanden zu werden.
Oder mit einem anderen, grossen Wort: Es geht um das Bewusstsein unserer (weltweit) Kulturen, auch wenn alles stets (und richtigerweise) im Fluss ist und bleibt. Das erwarte ich weniger von den Tanzenden, aber von den Veranstaltern, von den DJs und all jenen, die mit solchen “Neuschöpfungen” eher an die eigene Kasse als an die Freude denken.
Eine Curry-Wurst ist nunmal keine neapolitanische Spezialität, wenngleich man sie getrost mit Tomatenmark essen könnte und Pizza wird nie eine berliner Spezialität sein, wenngleich sie mit Wurststücklein dekorieren mag.
Noch ein ganz anderer Gedanke. Die Worte Rodolfo Mederos (eines ehemaligen Pugliesebandoneoisten) auf einer eigens produzierten CD (mit grossem Orchester) haben mich sehr berührt. Er verweist mit Stolz (und nicht mit Überheblichkeit) darauf, dass der Tango zu ureigenen argentinischen Kultur gehört und impliziert (ohne es zu erwähnen), dass diese den Argentiniern nicht weggenommen werden kann – genausowenig wie man den Blues in Schwaben oder in Griechenland verortet.
Vielen Argentiniern geht es wirtschaftlich leider nicht so gut. Ein schönes Land, ein kluges Volk aus Immigranten aller Nationen (auch inneramerikanisch), ein kulturell reiches Land….Ich wünsche mir, dass wir das honorieren. Ich denke kaum jemand weltweit bezahlt Urheberrechte für den ganzen Tango, ob Musik oder Tanz. Aber Respekt sollten wir diesem zollen, genauso wie der Kultur anderer Länder auch.
https://www.youtube.com/watch?v=WLqBvm_KYwk
[…] Ich habe mich in diesem Blog ebenfalls schon einmal ausführlicher mit diesem Thema befasst: http://kroestango.de/aktuelles/warum-eine-neolonga-nicht-mylonga-ist/ […]