Ich wollte ja langsam, aber sicher, den Nostalgie-Faktor in meinen Texten reduzieren – obgleich es schwer ist in diese tangolosen Tagen. Aber dann kam mir dies Stück in der FB-Gruppe “Todays tango is…” https://www.facebook.com/groups/627797383984208 dazwischen. “Riobamba” ist ein so ungewöhnlicher Name, dass er mir auf Anhieb im Gedächtnis geblieben ist. Und dort knipst er sofort eine Erinnerung an: Schuhkauf in Buenos Aires. Adresse: Riobamba 10. Dort residiert im zehnten Stock einer der berühmtesten Tanzschuhläden der Stadt: “Fabio”.
Stück für Stück ist die kleine Anekdote über meinen Schuhkauf in Buenos Aires zu einem Überblick über meine Tangokleidung ausgewuchert. Am Schuss hab ich ein paar grundsätzliche Beobachtungen und Bemerkungen zum Thema “Männer und Tanzkleidung” angefügt.
Nach der Fahrt in einem Aufzug, so knarzend und wackelig, dass er nicht bloß notorischen Fahrstuhl-Phobikern Wellen kalten Schweißes auf die Stirn zu treiben vermag, erwartet die staunende Kundschaft ein erstaunlich kleiner, ziemlich unspektakulärer Laden. Aber der ist eine Legende. Davon zeugen schon die Portraits der Tango-Legenden an den Wänden. Ich hab’ meine Trophäe unter dem strengen Blick von Juan Carlos Copes anprobiert. Und am Ende gekauft. Zu einem Preis, der hierzulande als Sonderangebot durchginge. Aber die Dinger saßen auf Anhieb. Wie maßgefertigt.
Sie sind das Prunkstück in meiner Sammlung. Dazu der Beutel, damit zumindest die KennerInnen beim Schuhwechsel in der Milonga wissen, dass sie es mit einem zu tun haben, der die große Wallfahrt nach Mekka absolviert hat. Albern? Ach, lasst mir doch meinen Spaß! Ich kann zwar mit den Ladies nicht konkurrieren. Aber mehr Schuhe als die meisten Männer hierzulande nenne ich wahrscheinlich mein eigen. Elf Paar. Doch das saubere Dutzend werde ich in der “Epoca Corona” so bald wohl nicht voll kriegen. Wozu auch…
Die Schuhe vieler meiner Geschlechtsgenossen erinnern mich an die alte Geschichte von Oma und Opa: Sie mahnt, es werde Zeit für einen neuen Anzug. Seine Antwort: “Wieso, der alte ist doch noch gut.” Tanzschuhe müssen passen. Aber müssen sie auch ausgelatscht sein? Was spricht dagegen, dass sie auch schön sind? Höchstens die dusselige Behauptung, schlechte Tänzer seien (unter anderem) daran zu erkennen, dass sie Wert auf schönes Schuhwerk legten. Wenn das jemand von einer Frau sagte…
Die “Fabios” sind zwar nicht der teuerste, aber der kostbarste Fang in meiner Sammlung. Denn so schnell werde ich nicht weder nach Buenos Aires kommen. Falls sich jemand wundern sollte: Die roten Schnürsenkel sind meine persönlichen Accessoires. Original sind waren sie selbstverständlich seriös in freundlichem Schwarz gehalten.
Am meisten bezahlt hab ich für ein Paar aus italienischer Fertigung – mit Berliner Preisgestaltung: Fast 240 Euro. Und das kam so: Ich war mit einer Tänzerin aus einer anderen Stadt verabredet. Doch beim Öffnen meines Tanzschuh-Beutels musste ich feststellen: dass ich Trottel außer einem Exemplar von Fabio einen Straßenschuh eingepackt hatte. Sch… Eine gute Stunde verlieren durch die Fahrt nach Hause und zurück? Lieber nicht. Zum Glück gab es am Ort der Milonga einen gut sortierten Schuhshop.
Schnell hab ich ein Paar gefunden. Passte auf Anhieb – wie das von Fabio. Nur der Preis war mehr als doppelt so hoch. Aber was tut man nicht alles… Es wurde ein schöner Abend. Wie erhofft. Mit den Schuhen war ich so zufrieden, dass ich überlegte, mir noch ein Paar dieser Firma zuzulegen. Trotz des Preises. Da es in Berlin keine weiteren Modelle gab, hab ich ins Internet geschaut. Da entdeckte ich mein Traumpaar. In Knallrot. Auf der Web-Page der Firma waren die Schuhe allerdings um fast die Hälfte billiger als in dem Tanzschulen-Schuhshop. Grrrhhh…
Ich bin dann zum Glück auf eine portugiesische Firma gestoßen. Die bietet Herrenschuhe in vergleichbarer Qualität für etwas mehr als 100 Euro an. Also auch erheblich billiger als die Schuhe der deutschen Spitzenmarke “Werner Kern”, die ich in meinen Ballroom-Zeiten zu schätzen gelernt hatte. Die Portugiesen wurden mein Stamm-Label. Und das meiner Frau. Ach ja, ein knallrotes Paar hab’ ich dort auch bekommen.
Über den Schuhkauf der Ladies in Buenos Aires hab ich an anderer Stelle in diesem Blog berichtet: http://kroestango.de/tagesspitzen/mi00ttagsspitzen-tanzschuhkauf-im-gendergap/
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Aber die Ausstattung der Tagueres endet ja nicht am Spann. Es folgen, was den sichtbaren Teil angeht, auf der männlichen Seite : Socken, Hosen, Hemden… Damit kommt Peter Hintze ins Spiel. Für die Jüngeren: Der war bis zu Helmut Kohls historischer Niederlage 1998 Generalsekretär der CDU. Die Bundestagswahl zuvor hatte er mit einer Kampagne bestritten, in der alle politischen Kräfte links der CDU als “rote Socken” verunglimpft wurden. Mein kleine persönliche Antwort: Ich hab fortan zu allen Pressekonferenzen der CDU rote Socken angezogen. Mit der Zeit mutierte das politische Statement zur modischen Marotte. Aus den roten wurden schließlich andersfarbig bunte Socken. Einzige Bedingung: Keine “lustigen” Motive wie Häschen etc…
Über Schuhen und Strümpfen folgen bekanntlich die Hosen: Irgendwann bin ich auch da auf den Geschmack gekommen und hab nicht mehr nur einfach bequem weiter “Normalo”-Beinkleider angezogen. Die neue Phase begann im Outlet eines edlen Berliner Herrenausstatters in der Nähe meines Arbeitsplatzes. Da gabs wunderbar weite Hosen, deren Schnitt Kenner als “Cargo” bezeichnen. Auf Deutsch: Mit etlichen aufgesetzten Taschen. Die Auswahl in meiner Größe war begrenzt. Außerdem hatte ich auch hier eine Bedingung, die meine Möglichkeiten in dem ChiChi-Shop weiter einschränkte: Sie durften nicht mehr als 200 Euro kosten. Irgendwann hatte ich zwei Exemplare gefunden, von denen ich eins bis heute trage. Derlei Beinkleider sind eher in der Neotango-Szene üblich. Ich bin deswegen aber noch aus keiner Tradi-Milonga geflogen. Auch bei den Hosen half mir wieder eine “portugiesische Lösung”: In dem Geschäft, wo meine Frau und ich unsere Schuhe fanden, gibt’s auch Tanzhosen für Männer zu vernünftigen Preisen.
Womit ich oberhalb der Gürtellinie angekommen wäre: In Buenos Aires behalten Cabaleros, die auf sich halten, beim Tanzen ihr Sakko an, um die Damen in ihren Armen nicht mit ihrem Schweiß zu behelligen. Da käme ich im Gegenteil erst recht ins Schwitzen. Hierzulande tanzen die Herren lieber im Hemd – je nach Raumtemperatur mit hoch gekrempelten Ärmeln. Mir schafft das keine Erleichterung, weil die dabei entstehende Wulst die Luftzirkulation behindert. Da die meisten Hemden, die mir gefallen, lange Ärmel haben, müssen sie gekürzt werden. Die Änderungsschneiderinnen meiner Wahl freute der kleine Auftrag immer wieder. Stilbewusste Verkäuferinnen oder gar Designerinnen von “Tangohemden” lässt diese Praxis eher die Stirn runzeln. In der tanzlosen Zeit der aktuellen “Epoca Corona” verfüge ich nun allerdings über eine übergroße Zahl dessen, was der Volksmund “Sommerhemden” nennt.
Schluss mit den Transpirationsproblemen eines alternden Mannes. Stattdessen ein paar grundsätzliche Bemerkungen zum Dreieck: Tango, Kleidung, Kerle. Eine der drei großen Berliner Tangoschulen veranstaltet mehrfach in Jahr einen Ball, für den sie ausdrücklich festliche Kleidung, nicht vorschreibt, aber doch anregt. Bei den Ladies ist das kein Problem. Gern nutzen sie die Gelegenheit, sich “aufzubrezeln”. Wofür haben sie schließlich bei diversen Festivals das viele Geld für all’ die schönen Kleider und Schuhe bei ausgegeben… Aber die Herren – die geben lieber die Jungs und lassen es “casual” angehen. Nicht alle, aber viele.
Seit ich begonnen habe, mir auf Youtube Tangovideos anzuschauen, ist mir ein “cultural gap” zwischen den musizierenden und tanzenden Menschen in den “goldenen Zeiten” und ihren modernen Fans aufgefallen. Auf den Punkt gebracht: Ich weiß nicht, in welchem Dress Osvaldo Pugliese zu einer Versammlung seiner kommunistischen Partei gegangen ist. Aber ausweislich der vorhandenen Filmdokumente wäre es ihm nicht eingefallen, ohne Abendanzug und Fliege eine Bühne zu betreten. Auch die Aufnahmen großer Tanzveranstaltungen, etwa im Karneval, zeigen die TeilnehmerInnen überwiegend in klassischer Abendkleidung.
Nun sind die Dresscodes seither erheblich lockerer geworden. Aber dass selbst die glühenden Verfechter gestrenger “Codigos” in einer Milonga, so weit es Männer sind, sich am liebsten kleiden, als wollten sie den Keller aufräumen – das fand und finde ich bis heute eher seltsam. Es müssen ja nicht gleich Schlips und Kragen sein, aus denen heraus die Herren ihre potentiellen Tanzpartnerinnen anäugeln, aber ein wenig mehr Mühe mit der Kleidung könnten sie sich schon geben. Auch das hat aus meiner Sicht mit Respekt zu tun. Mir macht es übrigens Spaß, mich ein bisschen chicer anzuziehen, wenn ich tanzen gehe. Ob da meine weiblichen Gene wirken?
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Dieses Mal war der Kleiderschrank dran. Beim nächsten Mal werde ich Euch etwas weiter in mein Inneres schauen lassen. Meine Leitfrage: Warum fällt es mir, trotz allen Frusts, erstaunlich leicht, mit der Virus-bedingten Isolation klar zu kommen? Auf meine Antwort bin ich selbst gespannt.
2 Comments
Wie immer kurzweilig und mit Augenzwinkern… ich glaube niemand kehrt aus BsAs ohne Schuhe zurück, die Damen zusätzlich mit Kleidern. So auch ich von meinem letzten Aufenthalt. Ich will den Kauf verbal nicht so ausdehnen wie du, obwohl er ebenso amüsant war, da der Besitzer, ein lookalike von Charles Aznavour, aus bis zur Decke hochgestapelten Kartons immer neue Schuhe hervorzauberte, bis die passenden für mich gefunden wurden. Eher wäre ich vermutlich gar nicht entlassen worden. Dank des täglich sinkenden Pesos zog ich dann, nach gefühlt stundenlangem Wechselprobierens, mit 3 Paar schönen Schuhen zum Berliner Preis von einem zufriedenen los. Allerdings müsste man eigentlich noch den Flugpreis draufschlagen… ach ja, wollte doch nur auf deine Frage am Schluss antworten… Schreiben ist immer eine Form von Selbstisolation, ob mit oder ohne Corona. Daher bist du es als Vielschreiber gewohnt und vergisst darüber den Virus…
Es freut mich, dass ich offenbar den richtigen Ton getroffen habe, lieber Jürgen. Was die Schreibfrequenz angeht: In Zeiten meiner Berufstätigkeit war sie erheblich höher. Aber damals musste ich mich ja auch nicht immer wieder selbst beauftragen. Am Beginn de “Epoca corona” hatte ich sogar eine Blockade. Inzwischen freue ich wieder, in die Tastatur zu greifen – obwohl mir die Schreiberei längst nicht mehr so leicht fällt wie früher. Von den beiden hierzulande noch regelmäßig aktiven Tango-Bloggern bin ich sicher mit Abstand der Faulere. Aber das find ich gut so.