Endlich wieder ein Samstagnachmittag wie früher. Genauer: Fast wie früher. Oder noch genauer: Beinahe fast wie früher. Es ist kurz vor 15 Uhr. Wir machen uns auf zum Tango Tanzen. Die Schuhe werden eingepackt. In meinem Fall wie meistens: Erst einmal gesucht. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf mit jenen fernen Zeiten vor der “Epoca Corona”. Denn Ziel ist nicht unsere langjährige Lieblingsmilonga an der Spree https://www.bebop-berlin.com/index.html, sondern eine Unterrichtsstunde. Eine systematische Auffrischung unserer tänzerischen Fähigkeiten hätte uns womöglich schon früher nicht schlecht getan. Aber in diesen Tagen ist Unterricht so ziemlich die einzige Möglichkeit, außerhalb der eigenen vier Wände mit einander zu tanzen. (Von einer weiteren wird später die Rede sein.)
Der Ort ist uns nicht unbekannt. Im “Tangotanzen macht schön” von Susanne Opitz https://www.susanneopitz.de/susanne-opitz und Rafael Busch https://www.susanneopitz.de/rafael-busch an der Kreuzberger Oranienstraße haben wir so manche schöne wie auch lehrreiche Stunde verbracht. Mit der “Tausch-Tanda”, bei der am mittleren Abend für fünf bis sechs Tangos nach jedem Stück “Cambio” angesagt ist, haben die Betreiber ein Instrument eingeführt, um den Wechsel zu möglichst vielen unbekannten PartnerInnen anzuregen. Der Ruhe in der Ronda tat das nicht gerade gut. Aber der Kommunikation. So etablierten die beiden ihren “Schöne(n) Freitag” für lange Zeit als eine der lockersten und beliebtesten Milongas in Berlin. Tempi passati.
Partnerwechsel ist nach den aktuellen Corona-Codigos in der Stadt verboten. Von einer Ronda kann bei höchstens drei Paaren auf 180 Quadratmetern Parkett ohnehin nicht die Rede sein. Außer der großen Leere erinnern die Utensilien eines mobilen Aufnahme-Studios für den Online-Unterricht an die aktuelle Lage. An unserem Kurs nimmt noch ein weiteres Paar teil. Dazu die LehrerInnen. Das grenzt an eine Privatstunde. Traurig schön.
Das Thema “Tango nuevo” hätte uns auch zu anderen Zeiten locken können. Ich mag es obendrein, wenn der Unterricht nicht, wie heutzutage meist üblich, nach dem “Drop in”-Prinzip organisiert ist. Wir müssen uns für drei Stunden verpflichten. Dass dient der ökonomischen wie der pädagogischen Kalkulierbarkeit. Wir lernen eine kleine Kombination aus einer Cunita und Ganchos mit einer Soltada. Das ist nicht Meilen weit weg von dem, was wir bereits tanzen – nur in etwas offenerer Haltung. “Nuevo” eben.
Meine Frau und ich mögen es, wenn eine Figur technisch genau aufgedröselt und wieder zusammengesetzt wird. Nach langer Zeit einmal wieder etwas systematisch zu lernen, fällt mir leichter als ich befürchtet hatte. Die Freude darüber, e n d l i c h wieder zu tanzen, lässt uns auch die üblichen Partner-Hakeleien im Lernprozess vermeiden. Doch was uns am besten gefällt in dieser Nachmittagsstunde, ist die Musik. Das Gros stammt von einem unserer Lieblinge, dem Mundharmonika-Virtuosen Hugo Diaz. Dazu unter anderem “El violin des Becho” von Alfredo Zitarrosa. So – nach meinem Geschmack – schöne Musik gab ins in den Milongas der praecoronösen Zeit höchst selten. Unser junges sympatisches LehrerInnenpaar Aurelie Laford und Julian Hahn https://susanneopitz.de/julian-hahn-und-aurelie-lafond hat übrigens neulich an der kleinen “Tanz-Kundgebung” der Tango-Szene vor dem Bundeskanzleramt teilgenommen. (1)
Am Sonntag ging’s dann nach draußen. Eine Tanzfreundin hatte in einen beliebten Berliner Park geladen und eine dieser wohl tönenden kleinen Klangmaschinen mitgebracht. Obwohl sie sozial gut vernetzt ist, hielt sich die Zahl der Zusagen in Grenzen. Offenbar fiel in der neuen Zeitrechnung bei herrlichem Sommerwetter die Abwägung doch eher zugunsten anderer Vergnügungen aus. Der Stimmung der meisten Anwesenden tat es kaum Abbruch. Im Lauf des Nachmittags mutierte die Mini-Milonga zu einer fröhlichen Latino-Party mit Rumba, ChaChaCha und Salsa. Ich war wohl ziemlich der einzige, der nicht so recht in Stimmung gekommen ist – auch wenn von nicht tanzenden Nachbarn der Verbrennungsduft anregender Substanzen herüber wehte. Meine Befangenheit gegenüber Menschen, die nicht aus meinem unmittelbaren Umfeld stammen, mochte nicht weichen. In meinem Hirn mäanderte das antivirale Abstandsgebot und schredderte die Spontaneität. Offenbar geht es nicht bloß mir so. Auf “zeit.de” hat eine kluge Autorin gerade über das “Ende des lustvollen Risikos” in den zwischenmenschlichen Beziehungen nachgedacht. (2) Beim nächsten Park-Tango werd’ ich verhindert sein. Aber auf den Unterricht freue ich mich.
PS: Das “Mala Junta”, eine andere große Berliner Tangoschule, bietet einmal im Monat eine Milonga mit besonderen Attraktionen an. In der “Epoca Corona” ist allein ihr Stattfinden die Attraktion: Zwei mal drei Paare dürfen nach Voranmeldung je eine Stunde lang tanzen (3) Die Veranstaltung nimmt den Titel eines berühmten Stücks von Edgardo Donato auf, der in diesen Zeiten eine neue Bedeutung bekommt: “Die Milonga, die gefehlt hat”…
(1) Das berühmte Tangostudio DNI von Dana Frigoli in Buenos Aires, bei dem die beiden während ihres Aufenthalts dort gearbeitet haben, musste übrigens inzwischen im Gefolge der Corona-Krise schließen.
(2) Die Empfehlung verdanke ich Arnold Voss auf Facebook : https://www.zeit.de/kultur/2020-06/corona-und-zwischenmenschlichkeit-krise-virus-verhalten-rueckkehr-normalitaet-10vor8
(3) https://www.facebook.com/events/619320525605984/