Eigentlich hatte ich meinem Krisen-Text keinen weiteren Betroffenheits-Beitrag folgen lassen wollen. Mit diesem Genre tue ich mich eher schwer. Obendrein gibt es (nicht nur) auf Facebook genügend Artikel im Netz, die sich ernsthaft oder ironisch mit unserer Situation auseinandersetzen. Ich nenne beispielhaft die Gruppe “I’m not dancing tango so i did this instead… https://www.facebook.com/groups/208267570251577/ Anderer Menschen Einlassungen zu sezieren und mit den AutorInnen zu polemisieren, fehlt mir aktuell der Antrieb. Ich mag niemanden verletzen. Wir sind fast alle wund gescheuert genug. Also belasse ich es dabei, mich für die Arbeit zu bedanken, die sich die AutorInnen der Kommentare in meinem Blog gemacht haben – außerdem hier eine kleine Antwort.
Mir fällt das Schreiben auch deshalb schwerer also sonst, weil ich mit den beiden wichtigsten Ausgleichs-Angeboten wenig anzufangen weiß, die uns die DJs und TanzlehrerInnen machen: Video-Lessons und Virtual Milongas.
Fernunterricht: Ich verstehe, dass viele TanzlehrerInnen versuchen, den “Shut Down” ihrer Einkünfte auf diese Weise wenigstens ein wenig abzufedern und den Kontakt zu ihrer Community nicht abreißen zu lassen. Was bleibt ihnen auch übrig… Ich hab’ in den letzten Jahren wenig Unterricht genommen. Und als ich es noch tat, gehörte ich nie zu denen, die nach der Methode “Hingucken – Nachmachen” etwas gelernt haben. Außerdem war ich nie ein “Trainings-Weltmeister”. Unterricht kann für mich daher das “richtige” Tanzen auf der Pista nicht ansatzweise ersetzen. Mag sein, das ändert sich im Lauf den nächsten Wochen oder (horribile dictu) Monate. Dass ich mit meiner Skepsis nicht allein stehe, zeigt ein Interview, das Judith Preuss von der Berliner Tangoschule Mala Junta dem Blog BerlinTangoVibes gegeben hat. https://berlintangovibes.com/2020/03/22/mir-macht-es-spas-den-austausch-im-tango-zu-fordern/ Die Gründerin Laura Knight hat hier gemeinsam mit der Bloggerin und Autorin Lea Martin eine Gesprächsreihe über Tango in Zeiten von Corona begonnen. Die Sammlung ihrer Kolumnen, habe ich hier besprochen: http://kroestango.de/empfehlungen/buecher/tangodreams-ein-buch-zum-beiseite-legen/
Trotz meiner Bedenken will ich hier drei Beispiele vorführen: Das erste stammt von Sophia Paul und Julio Cesar Calderon. Die beiden haben es im vorigenJahr ins Finale der Weltmeisterschaft im Tangode Psta geschafft und als besetes europäisches Paar abgeschnitten. Unter dem Motto “Berlin tanzt weiter” haben sie einen Kurs auf Youtube begonnen. Als Beispiel hier die dritte Lektion. https://youtu.be/5u82hBXrFM4
Erfahrene Fernlehrer sind Ludmila Snrkova & Pablo Fernandez Gomez, über die ich einmal eine Titelgeschichte in der Tangodanza geschrieben habe. http://kroestango.de/aktuelles/mit-vier-fuessen-und-20-fingern/Ihre Website heißt: Universitango.https://www.universitango.com/welcome. Hier ist ein höchst umfangreiches Lernprogramm zu finden. So weit zwei Beispiele aus Berlin. Aber auch einer meiner Lieblinge unter den internationalen Tangostars bietet Online-Unterricht an: Michael Nadtochi. https://www.theartoftango.club/videos-
Nicht besser steht es für mich mit dem Angebot von Online-Milongas. Zu Deutsch: Tango-Radio im Internet. Ich schließe nicht aus, dass meine Liebste und ich irgendwann beginnen, im Wohnzimmer allein für uns zu tanzen. Die Schwingungen der anderen Wohnzimmerpaare zu spüren, reicht meine Spiritualität nicht aus. Aber ich wollte nicht spotten. Anderen mag es anders gehen. Aber noch sind wir nicht so weit. Dazu trägt sicher auch bei, dass die Angebote im traditionellen Bereich wie im Neotango nicht wirklich unserem Geschmack entsprechen. Wenn wir demnächst “Lonely Home-Dancing” betreiben sollten, werden wir dazu wohl eher “Self-DJing” betreiben und in meine reich bestückte CD-Sammlung greifen. Die wird ohnehin viel zu selten genutzt. Heute morgen haben wir mit konzertanter Musik von Astor Piazzolla zur Hausarbeit begonnen.
In einem Blogbeitrag habe ich neulich (unter anderem) meine musikalischen Quellen im Internet offenbart. http://kroestango.de/aktuelles/fundstuecke-was-ich-gern-lese-hoere-und-anschaue/ Gerade ist eine neue für traditionellen Tango hinzu gekommmen. Mark John aus Mainz hat sie gegründet: “My tango album – mi album de tango”. Hier werden komplette LPs gepostet. (http://My tango album – mi album de tango https://www.facebook.com/groups/190130331819418/ )
TANGO-VOLKSHOCHSCHULE: Da ich mich gern mit der Geschichte und dem “Drumherum” des Tango beschäftige, finde ich es toll, wenn nun einige der ExpertInnen uns nicht nur in kleinen Seminaren an ihrem Wissen teilhaben lassen, sondern es im Internet teilen. Der Berliner Tangolehrer Raimund Schlie (Mitbegründer der Tangoschule “Mala Junta”) veranstaltet immer wieder eine “Lange Nacht der Tangoorchester”, in der per, ich sag Mal: “Druckbetankung” in die Geschichte des klassischen Tango einführt. Unsere gruseligen Zeiten haben ihn dazu gebracht, eine kleinerteilig e Bildungsidee umzusetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Daniela Feilcke-Wolff lädt er zu einer Reise “In 80 Tangos um die Welt” ein. Die beiden stellen jeweils einen Tango vor und erzählen etwas über das Stück und den Musiker, der ihn mit seinem Orchester vorträgt. In der ersten Folge geht es um Carlos Di Sarli. Als Beispiel haben die beiden ein jedenfalls mir noch nicht bekanntes Stück gewählt: “Navegante” https://www.tangomundo.de/in-80-tangos-um-die-welt
Die Münchener DJane Theresa Faus https://www.facebook.com/theresa.faus konzentriert sich auf die Analyse der Musik. Sie stellt jeweils verschiedene Versionen eines Tango auf Facebook vor und arbeitet daran die unterschiedlichen Stile der einzelnen Orchester heraus – etwa “Sosiego an la noche” von Anibal Troilo https://youtu.be/v3qGzEpX_1A. und von Roldolfo Biagi https://youtu.be/yzxUQmjfIXU. Ihr Ziel ist: Jeden Tag einen neuen Vergleich zu veröffentlichen. Aber sie ist sich selbst nicht sicher, ob sie es schafft. Es lohnt jedenfalls, immer wieder nachzuschauen, finde ich.
Nach Piazzolla am Morgen haben wir an einem der ersten unserer Quarantäne-Tage übrigens Pablo Montanelli zum Abendessen gehört. Sein weltweit übertragenes Konzert aus seinem Wohnzimmer (in Frankreich. Buenos Aires, wie ich im Videotext geschrieben habe, war falsch. Sorry Pablo.) war unsere Tafelmusik. Demnächst geht es weiter mit seiner früheren Band. “El Cachivache” melden sich nächste Woche erneut mit neuem Pianisten. Ebenfalls aus Europa.
***
Ich neige nicht zur Panik. Davor bewahrt mich schon mein Phlegma. Auch mein Hang zur Verdrängung hilft. Obendrein trägt die Vorliebe für Ironie nicht dazu bei, das Leben ernster zu nehmen als unbedingt nötig. Doch in diesen Tagen gerät diese Gelassenheit arg unter Druck. Als ein Freund vor einigen Tagen schimpfte, dass Eltern, Kollegen und andere Missgünstlinge sich anschickten, die Klassenfahrt zu verhindern, die er mit so großem Engagement vorbereitet hatte, war ich zunächst auf seiner Seite. Gegen die vermeintlichen Panikmacher. Doch wenn ich verrate, wohin es hatte gehen sollen, wird schnell klar: Er hatte nie eine Chance. Zum Glück, setze ich bei Durchsicht dieses Artikels hinzu. Mein Verdrängungsmechanismus auch nicht. Das Reiseziel war Italien.
Corona hat uns im Griff. Alle. Die Tango-Szene macht da keine Ausnahme. Wie auch: Nicht nur, dass TangotänzerInnen ihr Hobby, manche sagen: ihre Sucht zum Anlass für eine vielfältige Reisetätigkeit nehmen. Doch auch die daheim Bleibenden kommen einander ziemlich nah auf der Pista. Selbst in der halb offenen Salon-Haltung, ist der empfohlene Mindestabstand von einem Meter zu unseren Nächsten nicht erreichbar. Erst recht gilt das, wenn wir – wie ich es tue – jene kuschelig enge Tanzfassung bevorzugen, die sich an den Milonguero-Stil anlehnt. Ob’s was hilft, dass wir dann an einander vorbei atmen? Ein Tangofreund wäscht sich nach jeder Tanzpartnerin die Hände. Von den Wangen hat er mir nix erzählt. Auch dies, füge ich bei Durchsicht des Artikels hinzu: Tempi passati!
Normalerweise nutze ich Astor Piazzollas Geburtstag am 11. März, um Einiges von seiner wunderbaren Musik auf Facebook zu posten mit dem Ziel, den ein oder anderen Traditionalisten zu ärgern. In diesem Jahr habe ich schnell das Interesse an meinem kleinen Spaß verloren. Stattdessen verfolge ich die Meldungen darüber, wo Milongas abgesagt werden und wo sie noch stattfinden mit jener Sucht-Intensität, die mich in meinem journalistischen Präpensionärs-Leben an der Nadel der Politik hat hängen lassen.
Um mit der Metropole des Tango zu beginnen: Der internationale Terminkalender “Hoy Milonga” verzeichnet für Buenos Aires immer öfter das Wort “Cancelado”. Allein am 11. März waren 21 von 36 Veranstaltungen abgesagt. In einer konzertierten Aktion hatten sich 15 große Veranstalter dazu entschlossen. Und in den Milongas, die stattfinden, werden die Pässe kontrolliert. Wer als Ausländer nicht nachweisen kann, mindestens zwei Wochen zuvor im Land gewesen zu sein (so die angenommene Inkubationszeit), erhält keinen Zutritt. Auf Facebook macht ein argentinischer Zeitungs-Bericht die Runde, der nahelegt, dass Teilnehmer eines Encuentro in Italien das Virus eingeschleppt haben. http://www.cronicasdelsur.com/italianos-cuarentena-tango-coronavirus/ Der Brüsseler Tango-DJ Jens-Ingo Brodesser ist persönlich von der Geschichte betroffen und hat darüber auf FB berichtet (in englischer Sprache). https://www.facebook.com/jensingo
Inzwischen besteht nicht nur in den USA, sondern in dem meisten anderen Ländern des amerikanischen Kontinents ein Einreiseverbot für Europäer. Auch in Argentinien. Die Tangoszene in Buenos Aires leidet seit einiger Zeit unter der galoppierenden Wirtschaftskrise des Landes. Das Ausbleiben der Touristen wg. Corona dürfte die Lage exponentiell verschlimmern. Ein Berliner Tangofreund ist gerade in Buenos Aires. Der gebuchte Unterricht findet in seinem Tangotel statt. Außerdem ist er zu Privatmilongas eingeladen. Wie viel er und seine Freundin zum Tanzen kommen? Ich bin gespannt auf seinen Bericht.
Aber Buenos Aires ist in diesem Fall erheblich näher als die geografische Entfernung von fast 12 000 Kilometern. Mit journalistischer Überspitzung könnte ich formulieren: Buenos Aires ist überall! Auch hierzulande wird eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt. Erst internationale. Dann nationale. Dann lokale. Cancelado en aleman.
In einigen Städten debattieren die Veranstalter über ein abgestimmtes Vorgehen. Wie in Buenos Aires. Selbst eine kleine Privatmilonga an diesem Wochenende, zu der Freunde meine Frau und mich eingeladen hatten… Sorry, lieber nicht! Gerade berichtet eine erfahrene Tangolehrerin, dass eine der Berliner Volkshochschulen ihre Kurse und Workshops abgesagt hat. Selbstverständlich gab es auf Facebook über den Ernst der Lage und die Konsequenzen daraus die, soll ich sagen: üblichen Debatten in der bekannten Tonlage. Wer mag, kann das in den einschlägigen Quellen nachschlagen.
Mich langweilen derlei Katzbalgereien schon länger. Daher hab ich der (geringen, aber vorhandenen) Versuchung widerstanden, mich einzumischen (außer mit ein paar Hinweisen auf Infos und Experten-Meinungen sowie Cartoons). Zum Glück. Denn wahrscheinlich hätte ich mich als notorischer Beschwichtiger blamiert.
Die Verunsicherung vieler Tänzerinnen und Tänzer wird für die Veranstalter zur wirtschaftlichen Bedrohung. Auch hierzulande. Obwohl in der Szene immer wieder über die angeblich zu hohen Preise gemeckert wird: Mit Tango ist nicht viel Geld zu verdienen. Reserven anlegen? Eher schwierig. Die Berliner Tangoschule “nou” hat beschlossen, die DJ-Sets ihrer regelmäßigen Milongas im Internet zu streamen. https://www.facebook.com/Thomas.Rieser. Auch der international bekannte Neo-DJ Elio Astor beschreitet diesen Weg. https://www.facebook.com/elio.astortangodjii Der Bremer Veranstalter TJ und VJ Volker Marschhausen https://www.facebook.com/tanguerilla bietet Teile der bedruckten Vorhänge, die er für seine “VisualPoetry”verwendet, als Kunstdrucke zum Kauf an. In der Hoffnung, die meine Oma so formuiert hätte: Kleinvieh macht auch Mist!
Das “Tangotanzen macht schön”, eine der großen Berliner Tangoschulen, versucht es höchst konventionell mit einem Spendenaufruf. https://www.gofundme.com/f/tangotanzen-macht-schon-krasse-mietausfalle. Die Aktion läuft überaus erfolgreich an. Die anderen Schulen und Veranstalter sind auf diesem Weg gefolgt
Das “Nou” bereitet derweil Online-Kurse vor. Schon lange vor der aktuellen Corona-Krise hat das international agierende Paar Ludmilla Snrkova und Pablo Fernandez Gomez begonnen, Lektionen auf diesem Weg anzubieten – kostenlos. Wohl eher als Werbung für ihren Live-Untericht. (**) Doch wie sind auf diese Weise Einnahmen zu erzielen? Den deutschen Zeitungsverlagen ist es auch nach Jahre langen Versuchen nicht gelungen, eine hinreichende Zahl der LeserInnen von kostenlosen Online-Angeboten auf bezahlte Inhalte zu locken.
Das “Mala Junta”, die dritte große Berliner Tangoschule, hat bislang versucht, der Entwicklung, so gut es ging, zu trotzen und es bei hygienischen Verhaltensmaßregeln belassen… Von Montag, 16. März, an stellt sie die Unterrichtsbetrieb ein. “Vorerst für eine Woche” heißt es. Man bereite ein “Corona-Notfallsbetrieb” vor. InteressentInnen sollen sich für einen Newsletter anmelden. Nicht nur in Berlin, auch anderswo wird an Formaten gearbeitet, innerhalb derer die jeweile Tango-Gemeinde ihre Schulen und Milongas durch Spenden unterstützen kann. https://www.malajunta.de
Ach ja, eh ich’s vergesse: Das “Cuarteto Rotterdam”, eine der besten Tangobands nicht nur in Deutschland, muss wegen der neuen Einreisebestimmungen seine erste USA-Tournee absagen. Die MusikerInnen hätten in New York an der Endrunde des Wettbewerbs um einen Preis teilnehmen sollen. http://www.cuarteto-rotterdam.com
Ich breche an dieser Stelle meinen Versuch ab, in alter journalistischer Manier mit der Entwicklung Schritt zuhalten. Doch es geht alles zu schnell. Und im Grunde läuft alles auf dasselbe vom Gleichen hinaus. Wie hat Angela Merkel gefordert, die nicht tanzende Bundeskanzlerin: Die Menschen reduzieren ihre Sozialkontakte. Mich belastet das. Mehr als ich mir hätte träumen lassen. In mir ungläubigem Menschen steigt ein Satz aus dem Alten Testament hoch: “Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei…” (1 Mose, 2, 18)
Eine positiver Schluss mag mir nicht so recht in die Tastatur fließen. Wir werden wohl eine Menge Geduld brauchen. Und die Erfahrung, wie viel Vorsicht wie lange wirklich angebracht ist. Leider kann bei diesem “Trial and Error”-Verfahren ein Irrtum fatal sein. So wäre ich am Ende wieder bei mir selbst angelangt. Wie soll ich mich verhalten? Bisher tanze ich überaus gern mit wechselnden Partnerinnen – am liebsten mit solchen, die ich noch nicht kenne. Meine Frau hat nichts dagegen. Bisher. Sie begleitet mich ohnehin nur in die Nachmittags-Milongas. Dort tanzen wir beide meistens mit “fremden” PartnerInnen. In Zukunft könnte sich das womöglich ändern. Könnte? Muss wohl!
Die Berliner Termin-Site “Tango Argentino Online” hat eine laufend aktualisierte Sonderseite zum Thema eingerichtet – unter anderem mit Infos über die Spendenaufrufe der örtlichen Tangoschulen: https://www.tango-argentino-online.com/coronavirus Wenn ich es recht sehe, haben jetzt alle einen solchen Aufruf.Die grundlegende Idee: Das Geld das sonst für Milongas und Untersicht ausgegeben wird, stattdessen zu spenden.
Jedenfalls ist mir erst einmal die Spontaneität abhanden gekommen. Ich frage mich zum Beispiel: Ob der Wechsel von der engen in die weite Tanzfassung das Risiko minimiert? In der engen Milonguero-Haltung atmen die PartnerInnen wenigstens an einander vorbei. Undsoweiter… Aber wenn ohnehin alles abgesagt wird, sind diese Überlegungen auch obsolet.
Nach einem Krankenhaus-Aufenthalt habe ich vor einiger Zeit eine Lösung zur Desinfektion der Hände gekauft, wie ich sie in der Klinik kennen gelernt hatte. Ich fand sie angenehmer für die Haut als Wasser und die ordinäre Seife, die in den meisten Milongas ausliegt. Das Fläschchen steckt in der Tasche neben den Tanzschuhen. Ich werd’s nun in mein Sakko stecken. Inzwischen hab ich in der Apotheke um die Ecke Nachschub besorgt. Außerdem besitzen meine Frau und ich je eine Highlevel-(and Highprice)-Atemschutzmaske mit dem Standard FFP3. Stückpreis: 35 Euro. Im Internet lag er heute bei über 50 Euro. Dann waren die Dinger ausverkauft.
Dieser Artikel ist nicht zuletzt deshalb später fertig geworden, als ich das Schicksal einer Veranstaltung abwarten wollte, auf die ich mich besonders gefreut hatte: Eine der seltenen “Silent Milongas”, zu denen Mona Isabelle gelegentlich ins Berliner Tangoloft einlädt – ohne Reden, aber mit toller Live-Musik. In diesem Fall Pablo Montanelli von “El Cachevache” am Piano und Bandoneonist Carlos Libedinsky, Mastermind von “Narcotango”, der große Teile des Jahres in Berlin lebt. Meine Befürchtung hat sich bestätigt. Auch diese Milonga: “Cancelado”. Für die absehbare Zukunft ist die Tangoszene auf kalten Entzug gesetzt.
PS: Im Grund hab ich genug zu tun. Hier. An meinem Schreibtisch. Da liegt schon lange eine Geschichte des Tango-Tanzes, die der Besprechung harrt. Auch ein Artikel über Carlos Gardel ist längst nicht so weit, wie er sein sollte. Und da ist schließlich Carlos Libedinskiys neues Album “Cielo”, über das ich schreiben will. Aber es geht mehr so wenig himmlisch, dass ich nicht in die Gänge komme. Oft hab’ ich mich lustig gemacht, wenn andere – aus meiner Sicht – über die Maßen die Magie des Abrazo beschworen haben. Jetzt fehlt er mir: Der Zauber der Umarmung.
PS II: In diesem Artikel sind zwei Bilder der MalerInnen zu sehen, über die ich schon öfter geschrieben habe. Für mich drücken sie sehr gut die aktuelle Lage aus: Ein einsam tanzendes Paar von Jürgen Kühne und ein ungenutztes Paar Tanzschuhe von Caroline Roling. (***)
PS III: Alle besonders genauen LeserInnen bitte ich um Nachsicht, falls in diesem Text (noch) mehr Fehler geblieben sein sollten, als sie gewöhnt sind.
(*) Der Titel spielt auf einen älteren Beitrag in diesem Blog an: http://kroestango.de/aktuelles/viejo-milonguero-in-der-tangokrise/
(**) Siehe dazu: http://kroestango.de/aktuelles/mit-vier-fuessen-und-20-fingern/
(***) http://kroestango.de/aktuelles/malen-tanzen-caroline-roling-und-juergen-kuehne/,
http://kroestango.de/aktuelles/bilder-aus-der-welt-des-tango-eine-doppelte-einfuehrung/
11 Comments
DANKE für den schön geschriebenen Spiegel des vielschichtig wirkenden tangolosen Grauens, das uns da gerade bevorsteht! Genau so erlebe ich es auch.
Aber weil alle Not ja auch zu kreativen Geburten führt, hoffe ich nun im Stillen, dass sich aus den Zwängen neue Ideen, Solidarität und gute Zusammenarbeit entfalten, wo sie gebraucht werden.
Ich fände es z.B. spoannend, wenn es zu mehr kleinen Events im überschaubar privaten Rahmen käme, bei denen getanzt werden kann. Klar, da bleibt ein Restrisiko, aber das Leben ist auch voll von anderen Risiken, die wir bewusst in Kauf nehmen.
Bitte bitte:
Keine Panik auf der Titanic !!! 😎😊
schön gedacht, lieber Tom. Aber eine kleine feine Privatmilonga, zu der wir eingeladen waren,ist gerade abgesagt worden.
Danke für deine Gedanken und die schöne passende Musik
Du hast das sehr schön und zutreffend dargestellt, Thomas, aber Entzug ist relativ. Wenn keine Milonga stattfindet, werden wir an zwei Abenden in der Woche daheim üben, das ganze Repertoire durchspielen und verbessern. Der soziale Kontakt erfolgt dann halt solange über Telefon, Internet, Videokonferenz. Und dann im Herbst – ich fürchte, solange werden wir mit der akuten Virusgefahr leben müssen – steigt Phoenix aus der Asche…. plus zwei Monate Urlaub mit Reisen durch den sonnigen Süden (denn die Arbeitsmoral ist tief im Keller und auf Durchhalteparolen reagiere ich nicht.
Danke lieber Christian. Dieses mal ist mir das Schreiben wirklich nicht leicht gefallen. Ich geb nicht so gern mein Seelenleben preis. Dann freuen wir und auf einen hoffentlich goldenen Tangoherbst.
eben gabe es eine virtuelle neolonga mit dj jean-marc vandel.
https://www.facebook.com/events/2643363832659327/
und gerade läuft die afterparty mit dj anna neum
https://livesets.com/neum/live?fbclid=IwAR30wnnDoCZHGco_QNRTSOW0gxdNseCQbA05GlcgRXeaa30qDmBIrA5Ds9k
es waren und sind die besten stunden die ich diese woche erlebte! das gefühl der verbundenheit mit den freunden ist voll da!
lieben gruß an alle genusssüchtige
p.s. wie es weiter geht: https://www.facebook.com/groups/virtualneolonga/
Ich habe einen interessanten Fachbeitrag gefunden, wo die Ausbreitung des Coronavirus anhand von Statistiken und Modellrechnungen verständlich und nachvollziehbar erläutert wird und endlich mal der (ja schon immer irgendwie vermutete) Zusammenhang zwischen bekannten und tatsächlich vorhandenen Fällen quantifiziert und bewertet wird. Fazit ist ein eindringlicher und offenbar solide begründeter Nachweis, dass es richtig ist, mit möglichst sofortiger Wirkung so viele Menschen wie möglich zu Hause bleiben zu lassen:
https://medium.com/@tomaspueyo/coronavirus-act-today-or-people-will-die-f4d3d9cd99ca
Trotz des eher bedrückenden Charakters der Situation ein Artikel, der mir große Freude gemacht hat. Das zu spürende Mitfühlen mit der Berliner Lehr- und Tanzszene, aber auch der herrliche Umgang mit Sprache gehen weit über das hinaus, was man von anderen Blogs gewöhnt ist. Vielen Dank und Alles Gute!
Lieber Thomas und alle anderen die das lesen.
Annette meine Frau und Tanzpartnerin ist Ärztin und ihre Meinung dazu ist völlig klar und eindeutig: Keine Sozialkontakte die nicht wirklich unvermeidlich sind, also auch keine “kleinen” Privatmilongas.
So gerne ich Tango tanzen würde, und so sehr uns als Veranstalter von Tangoreisen das wirtschaftlich trifft, aber ich will mir auf keinen Fall das Coronavirus einzufangen oder, noch schlimmer, damit andere Leute anstecken.
All diejenigen die immer noch glauben, dies sei immer noch irgendwie ein Hoax, eine Verschwörung zur EInschränkung unserer Bürgerrechte oder sonstwie nicht ernstzunehmen, sollten sich ernsthaft mit dem exponentiellen Anstieg von Infektionen beschäftigen.
Auch wenn das Coronavirus ssicher bei einem großen Teil der Menschheit nur unbedeutende Symptome auslösen wird, wird doch die gewaltige Zahl der Infizierten dafür sorgen, dass auch geringe Prozentzahlen bei schweren Krankheitsverläufen und Sterberate noch tausende, wahrscheinlich zehntausende von Menschen betreffen werden.
WIe man bereits in Norditalien sieht, wird die Sterberate umso höher, je mehr Infektionen es gibt, weil kein Gesundheitssystem weltweit auf so hohe Fallzahlen in so kurzer Zeit eingerichtet ist. Bereits seit Tagen müssen Ärzte in den Hauptkrisengebieten in Norditalien bei Triagen entscheiden, wer Behandlungen bekommt und wenn man sterben lässt. Es ist schlichtweg die Kapazität an Intensivpflegeplätzen nicht vorhanden.
Wer jetzt glaubt, dass dies nur daran liegt, dass die “dummen Italiener” es mit ihrem “unterentwickelten” Gesundheitssystem eben nicht gebacken kriegen und dass das deutsche Gesundheitssystem ja weit überlegen wäre, täuscht sich.
Obwohl es in der Tat in Deutschland wesentlich mehr Intensivpflegeplätze gibt als in Italien, stimmt das nicht für den Vergleich mit der am stärksten betroffenen Lombardei. Dort ist die Zahl der Intensivpflegeplätze absolut vergleichbar mit Deutschland.
Im südlicheren Teil Italiens wird das Coronavirus noch mit ungeheurer Wucht ankommen. Was dann passiert ist überhaupt noch nicht abzusehen.
Für Deutschland gilt: Wenn wir nicht wollen, dass wir vom Coronavirus so an unsere Grenzen gebracht werden, wie dies im Moment in der Lombardei, einer reichen, hochentwickelten, Deutschland in Nichts nachstehenden Region Italiens geschieht, müssen wir sofoert die Reißleine ziehen.
Alles andere wäre völlig unverantwortlich!
Was Wolfgang Sandt schreibt, steht in dem weiter oben von mir verlinkten Artikel noch einmal mit echten Zahlen. Es gibt auch eine deutsche Übersetzung und es gibt einen Folge-Artikel von Thoma Pueyo, wo man sich in etwa “ausrechnen” kann , wie es weitergehen könnte und wo vielleicht die kleinen Privatmilongas zeitlich einzuordnen sind: Wenn die Zahl der Neuinfektionen gegen Null geht (wie momentan zuletzt China) und die Ansteckungsrate in jedem Fall unter 1 bleibt.
Stichwort Süditalien: Das ist ja nach Tango mein zweites Hobby und davon kann ich wenigstens den Recherche-Teil ansatzweise weiterbetreiben und lese viel darüber. Man bereitet sich da auf die Infekteionswelle intensiv vor. Die Ausgangssperren und weitere drastische Maßnahmen gelten im Gegesatz zu Norditalien und auch Deutschland bereits vor einem rasanten Anstieg der Fallzahlen und werden immer weiter verschärft. Beatmungsgeräte werden herbeigeschafft und zuletzt gechlossene Krankenhäuser wiedereröffnet. Wenn die Zahlen und Berechnungen stimmen, müsste in Italien dieser Tage die Zahl der Neuinfektionen auf Grund der Maßnahmen zurückgehen. Wir werden sehen.
[…] (*) Mein erster Text zum Thema ist hier zu finden: http://kroestango.de/aktuelles/viejo-milonguero-in-der-corona-krise-quarantaene-update-ii/ […]