Soll ich jetzt „Erich“ zu Ihnen sagen, verehrter Mr. Statler? (*) Als zeitweisem Kölner ist die Aufforderung „Macht et!“ in meinem Hinterhirn untrennbar verknüpft mit dem Namen des kurzzeitigen FC-Trainers Rutemöller. Mit diesen Worten hat er seinen Spieler Frank „Otze“ Ordenewitz zu einer Regelwidrigkeit aufgefordert. Das wäre die Bespielung einer Tanzveranstaltung sicher nicht… aber die Aufforderung, unter die DJs zu gehen, hab ich schon abgelehnt, als sie nicht von „hinter den sieben Bergen“ kam, sondern von Tanzfreunden aus der Haupstadt, die Sie nun wieder angestachelt haben. Völlig unverführerisch ist die Idee nicht, wenngleich die Geschichte beim FC kein gutes Ende genommen hat… (**)
Auf keinen Fall verführerisch aber ist für mich der Gedanke, hier weiter öffentlich in Teilen meines Innenlebens herumzuporkeln. Was ich dazu gesagt hab’, soll erst einmal reichen. Vielleicht war’s auch schon zu viel. Nur noch ein paar Worte zu den „sieben Bergen“, die Dich nachhaltig zu beschäftigen scheinen, lieber Gerhard Riedl. Für mich ist die Formulierung nichts anderes als ein Synonym für „Jotwede“ – „Janz weit draußen“, wie es im Berliner Idiom heißt. Da sie mich obendrein an das Bergische Land erinnert, also die erweiterte Umgebung meiner immer noch Herzensheimat, hat sie für mich nichts Herabsetzendes. Im Gegenteil. Und wenn ich mich recht erinnere, lebt im Märchen dort hinten die wahre Schönheit.
Dass Du eher zu den Zweifelnden dich zählst als zu den Wissenden, sorry, das ist mir bisher nicht aufgefallen. Aber wenn Du drauf bestehst… Vollends auseinander gehen unsere Einschätzungen von Harald Martenstein. Der Kolumnist der Nation ist für mich kein Zweifler mehr, sondern längst ein Überzeugter, der auf der neurechten Welle surft. Nun braucht er sich für sein Geschäftsmodell nicht zu schämen. Aber die verfolgte Unschuld zu mimen, bloß weil er für seine zielgenau kalkulierten Provokationen nicht ausschließlich zustimmende Leserpost erhält – das ist mir dann doch zu billig.
Womit wir beim tieffliegenden Erzengel http://tangoplauderei.blogspot.de wären. Du hast ihn immer wieder an den Ohren gezogen. Als Zentrist, der ich schon in meinen kommunistischen Zeiten war, hab’ ich das ein oder andere Mal versucht, mit ihm zu diskutieren. Vergeblich. Ob seine Meinung schon die Lufthoheit über den Tanzflächen verloren hat? Wäre ja schön, wenn sie bröckelte (soweit das bei Luft geht). Auf einen Text aus seiner Tastatur warte ich allerdings noch: Den Erfahrungsbericht von einer Pilgerfahrt nach Mekka und die Einschätzung, wie es dort mit bewegungs- und umarungszentriertem Tange steht. Cassiels Verstummen führe ich übrigens weniger auf zunehmenden Gegenwind zurück als darauf, dass er nach so vielen Jahren schlicht „ausgeschrieben“ ist – ein Zustand, den ich auch für michnicht auszuschließen vermag. Irgendwann. Aber keine Sorge, bis dahin bleibt noch eine Weile Zeit, „vom ‘Muppet-Balkon’ herunterzuätzen“. Manchmal entdecken wir ja peinlicherweise sogar etwas Positives – ich zum Beispiel in einer kreuzklassischen Milonga.
Zögerliche Rückkehr in meine alte Stammveranstaltung. Alles wie früher. Gepflegtes Interieur (ohne Kronleuchter). Terasse mit Aussicht über die Stadt. Ein Tanzparkett, das den Namen verdient. Musik wie damals. Traditionell, dass die Schwarte kracht. Aber seltsam. Keine Spur von Tangokrise mochte aufkommen. Nur pure Tanzlust. Obs an den tollen Tänzerinen lag oder an meiner nostalgischen Freude, dass der lange vor sich hin mickernde Laden nach einer Mutation zur „Afterworkmilonga“ (ab 19.30 Uhr) boomt? Ich weiß nicht. Vielleicht war’s einfach gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.
(*) Gerhard Riedl:http://milongafuehrer.blogspot.de/2018/05/viejo-milonguero-in-der-tangokrise
(**) Für Menschen, die unser Schaffen nicht regelmäßig verfolgen: Gerhard Riedl und ich sind übereingekommen, einander Waldorf und Statler zu nennen – wie die grantelnden Greise in der Muppett-Show. Waldorf, der kleinere, ist an mir hängen geblieben.
(***) „Mach et, Otze“, sagte Rutemöller zu seinem Spieler Frank Ordenewitz am 7. Mai 1991 im DFB-Pokal-Halbfinale gegen den MSV Duisburg. Nach einer weiteren Gelb-Verwarnung, wäre „Otze“ fürs Finale gesparrt gewesen. Die Rot-Strafe konnte nach dem damals geltenden Regeln im Anschluss in der Bundesliga absitzen. Der Spieler schlug daraufhin einem unerlaubt den Ball weg. Doch der Trick verfing nicht. Sperre fürs Finale wegen unsportlichen Verhaltens. Das Endspiel verlor FC gegen Werder Bremen 3:4 nach Elfmeter-Schießen. Ordenewitz lebt heute in Bremen. Rutemöller arbeitet für Fortuna Düsseldorf. Schöne Vorbilder…
19 Comments
O Gott, auch noch „Erich“… so hießen drei der vier unter mir leidenden Schulleiter mit Vornamen! So hat halt jeder seine spezifischen Reminiszenzen.
Übrigens hat nach meinen Informationen Frank Ordenewitz seinen Trainer Rutemöller drum gebeten, sich Rot holen zu dürfen, und der hat‘s ihm mit den zitierten Worten erlaubt. Den „Otze“ musste man also nicht zum Foul hintragen. Das unterscheidet die verglichenen Situationen etwas.
Was du über Cassiel schreibst, stimmt insofern, als du längere Zeit gebraucht hast, um zu kapieren, mit wem von uns beiden man halbwegs sinnvoll diskutieren kann und mit wem nicht. Und „ausgeschrieben“ ist nach meinem Urteil nicht der Grund, warum auf seinem Blog kaum noch was geht. Der Unterschied ist eher: Wenn ich Widerspruch kriege, lebe ich erst so richtig auf (gibt auch bei dir gewisse Anzeichen hierfür) – die Mentalität unseres lieben Kollegen wird durch zu viel Gegenrede empfindlich gestört. Die früher üblichen 50 Jubelkommentare pro Beitrag kriegt er nicht mehr, das macht ihm zu schaffen.
Nein, da ist das Pendel schon dabei, umzuschlagen: Es ist unglaublich, wie viele Einladungen und Anschreiben ich derzeit von Leuten bekomme, die mich früher entweder verdammt oder ignoriert hätten.
Aber fühl dich bitte nicht gedrängt, den Veranstalter und DJ einer privaten Milonga spielen zu sollen – ich schätze Alleinstellungsmerkmale durchaus. Nur: Allein vom Posten toller Musik änderst du an der Realität des Tangolebens nicht so viel. Und daher dem fußballaffinen Kollegen ein noch berühmteres Zitat vom BVB-Stürmerstar Adi Preißler: „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz.“
Die Veränderung des Tangolebens durch Organisation einer Milonga für 20 – 30 Menschen dürfte eher begrenzt bleiben. Außerdem kommt gerade der olle Bildungsbürger in mir hoch mit einem Zitat von G.E. Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können… In diesem Sinn: Gut Nacht!
Wochenende … draußen ist es mir zu heiß und ich genieße es, nicht einen eng getakteten Arbeitstag leben zu müssen. Also lese ich ein wenig im Internet und bin nach langer Zeit hier wieder einmal vorbeigekommen. Ich störe nur ungern Euren Dialog als Waldorf & Statler – vielleicht kann ich als Kermit oder Krümelmonster etwas beitragen.
Zunächst: Ich bin ja fast gerührt, dass Ihr Euch über mein Schreiben Gedanken macht (genauer gesagt: mein Nicht-Schreiben). Eure Vermutungen bezüglich meiner fehlenden Veröffentlichungen kann ich noch um einen weiteren Aspekt anreichern. Es ist schlicht und einfach sehr viel Arbeit, die in meinem Erstberuf im Moment von mir erledigt sein möchte.
Bei Euren Vermutungen muss ich sowohl Dir, als auch Gerhard Recht geben. Ich bin einerseits fast ein wenig leergeschrieben, andererseits nervt manchmal das Internet mit seinem immer rauher werdenden Umgangston (ich weiß, Gerhard nennt es „Satire“; ich mag mich fast nie an den Diskussionen beiteiligen, in denen er das Wort führt). Ein weiterer Aspekt ist die Art und Weise, wie ich mich – beinahe konsequent – an einen Punkt geschrieben habe, an dem neue Artikel sehr umfngreicher Vorbereitung bedürfen. Zumindest ich schüttele derartige Artikel nicht einfach aus dem Ärmel.
Der eigentliche Punkt, warum ich schreibe, ist Deine Ausage, es wäre „vergeblich “ mit mir zu diskutieren. Ich habe tatsächlich einmal meine alten Blogbeiträge überflogen und nach Diskussionen mit Dir gesucht. Im Diskussionsbereich eines Artikels aus dem Dezember 2014 bin ich dann fündig geworden (seltsam, wie schnell die Zeit verfliegt). Es ging um die Musik, um Cabeceo und um Encuentros. In all diesen Fragen habe ich eine sehr stark ausdifferenzierte Meinung. Da bin ich möglicherweise genauso dogmatisch, wie Du es in Deiner Ablehnung dieser Institutionen bist. Aber deswegen zu behaupten, es wäre „vergeblich“, mit mir zu diskutieren? Das verstehe ich nicht.
Vielleicht überlasse ich Euch einfach wieder Eurem Muppet-Balkon und schaue zu gegebener Zeit noch einmal vorbei.
Viele Grüße
Was für eine Überraschung… dank für Deine Antwort, lieber Cassiel. In der Tat, mit dem alten Milonguero Wolfgang Niedecken gesprochen: Verdamp lang her… habs auch noch mal nachgeschlagen. Wir haben uns damals mit unseren jeweiligen Standpunkten konfrontiert, nach meiner Erinnerung nicht zum ersten Mal. Bewegt hat sich nichts. Damals. Deshalb hab ich’s abgebrochen. Es schien mir alles gesagt. Und heute? Anders als du & wohl auch mein Mit-Balkonier Gerhard Riedl versuche ich, die Sache nicht mehr so ernst zu nehmen – vor allem mit dem Cabeceo: Ich praktiziere ihn, wo nötig: Praktisch finde ich ihn nach wie vor nicht. Der Gesellschaft zu seiner Abschaffung würde ich, anders als vielleicht damals, dennoch nicht beitreten. Wenn das eine dogmatische Haltung sein soll… Ich habe an dieser Stelle mehrfach versucht, zu begründen, warum ich die Frage nicht mehr so wichtig finde. Gerade habe ich übrigens in dem – im Gegensatz zu Gerhards und meinem – leseempfohlenen Blog https://berlintangovibes.com/blog/ mal wieder bestätigt bekommen, dass er die Seelenqualen, die das Auffordern und seine Ablehnung anderen Menschen bereitet, keineswegs beendet. Viel spannender finde ich aber die Frage der Musik. Und da zeigt sich, ich sag mal: an den Rändern des klassischen Lagers eine gewisse Ausdifferenzierung. Gerade erst habe ich in einer klassischen Milonga eine Mixed Tanda mit lauter Edo-Coverbands gehört. Die Tanzfläche war voll. Viele Grüße zurück. PS: Falls Du bei Gelegenheit wieder vorbei schauen solltest: Warst Du inzwischen in der gelobten Stadt?
Um Deine abschließende Frage vorweg zu beantworten: Nein, ich war bislang noch nicht in Bs As. Es sollten schon vier Wochen sein (das halte ich für das absolute Minimum für einen Erstbesuch) und die sitzen gerade beruflich und familiär nicht drin.
In der Frage der Musik bin ich unentschlossen. Ich habe diverse Formationen – auch in der Milonga – gehört. Es sind tolle Musiker und ich finde die Projekte spannend. Am meisten hat mich letztens Solo Tango Orquestra aus Moskau beeindruckt. Um die Musiker zu unterstützen habe ich sogar alle CDs gekauft. Was soll ich sagen, sie liegen immer noch eingschweißt in meinem Regal; ich habe sie nie wieder angefasst. Es ist eine andere Energie. Wenn das jemand tanzen möchte, gerne. Ich bevorzuge die alte Musik aus der EdO.
Inzwischen vermute ich, dass es ganz wesentlich mit dem Tanzstil und der inneren Einstellung („Warum gehe ich zum Tango?“) zusammenhängt. Es ist ja auch innerhalb der Musik der EdO zu beobachten. Ich kenne DJs, die schaffen es, Musik zu spielen, die mich nicht zum Tanzen inspiriert. Später d’Arienzo (aus den 50ern), Canaro aus den späten 40ern oder zu viel Guardia Vieja Titel und ich bleibe sitzen. Das ist kein Hochmut, aber bevor ich eine Frau langeweile, weil mich die Musik nicht inspiriert, bleibe ich lieber sitzen.
Das häufig vorgetragene Argument, die alte Musik wäre ja bestens bekannt und würde sich permanent wiederholen, kann ich nicht verstehen. Es ist wohl eher ein Problem mit den DJs. Ich war neulich bei einem Tango-Wochenede in Hamburg. Am Samstag abend hat ein guter DJ (nach drei bereits gelaufenen 5-Std.-Milongas – also 15 Std. Tango) bestens aufgelegt und kaum Titel wiederholt (klar, bei Vals und Milonga wird es nach 15 Std. bzw. 15 jeweiligen Tandas etwas schwierig).
Mir geht es ja ein bisschen ähnlich: Ich besuche durchaus auch Milongas mit traditioneller Musik – schon um die Veranstalter zu fördern. Allerdings tanze ich dann schon. Vielleicht vermag ich es ja, auch Aufnahmen, die mich nicht inspirieren, so zu interpretieren, dass sich meine Tänzerinnen nicht langweilen.
Na prima, jetzt dürfen wenigstens Cover-Ensembles vermehrt auch auf konservativen Veranstaltungen spielen – das Publikumsinteresse war wohl nicht mehr zu ignorieren. Ich habe noch Aussagen im Gedächtnis, Live-Musik wäre eh nix, weil es vielleicht im Detail zu Abweichungen von den tausend Mal gehörten Originalen kommen könnte. Und von „Hupfdohlen-Tango“, „Tango-Disco“ und modernen Musikern, „die kaum einen Ton sauber treffen“, sowie von „Piazzolla-Karaoke“ lese ich ebenfalls nichts mehr.
Und statt „nicht tanzbar“ heißt es nun zutreffend „für mich nicht tanzbar“. Immerhin ein Schritt in die richtige Richtung – wenn auch kein tänzerischer…
Und ja, ist schon klar, man kann seine Ansichten ändern. In manchem Blog ist die Halbwertszeit von Aussagen ziemlich kurz.
Na na Gerhard, vielleicht machen wir es doch etwas genauer. „Hupfdohlen-Tamgo“, „Tamgo-Disco“ und „Piazzolla-Karaoke“ sind keine Begriffe, die ich geprägt habe. Wenn Du allerdings Musik tanzen kannst, die Dir nicht gefällt (i.e. traditionelle Musik), dann spricht das für Dein Können (mir schießen gerade Bilder von Deiner Interpretation von „Bélgica“ von Rodolfo Biagi im stolz veröffentlichten Video in den Kopf).
Was die „Halbwertzeit von Aussagen“ betrifft: Da bin ich super entspannt. Mit acht Jahren Bloggen im deutschsprachigen Raum ist selbst die Hälfte von vier Jahren eine lange Zeit.
Ich weiß nicht, warum Du permanent gegen mich poltern musst. Ich habe gerade gesehen, dass Du in Deinem jüngsten Artikel in Deinem Blog meine Rezension Deines Buches noch einmal hervorziehen musstest. Ich hatte damals angemerkt, dass Dir ein sachlicher Fehler unterlaufen ist. Das war am 24. September 2010. Findest Du es nicht auch ein wenig kleinlich, dass Du noch heute mir diese Anmerkung nachträgst (zumal sie sachlich richtig war)?
Weißt Du, diese geistige Schmalspurigkeit macht jede Konversation mit Dir super-anstrengend. Bist Du auch in der Milonga als Racheengel unterwegs? Dann kann ich verstehen, dass so manche Tanguera Deinem Blick ausweicht und Du verbal auffordern musst.
Nix für ungut.
Na gut, dann steigern wir halt per Debatte noch ein wenig die Zugriffszahlen zum Blog von Thomas – wird ihn freuen:
Die Leser mögen selbst beurteilen, wer nun „poltert“ und von „geistiger Schmalspurigkeit“ spricht oder einfach mal behauptet, Tangueras wichen meinen Blicken aus bzw. anfragt, ob ich auf Milongas als „Racheengel“ unterwegs sei. Ich bin da sehr gelassen…
Und nein – das mit den „sachlichen Fehlern“ in der ersten Version meines Tangobuches war ja richtig, wie „schwer“ diese auch immer wiegen mögen. Mir diente das schlicht zur Einleitung meines Textes mit dem „fósforo“ – ein Klopfer, den ich für weit schlimmer halte und den ich nun zugebe, obwohl er offenbar keinem aufgefallen ist.
Ich kann halt Fehler eingestehen, sogar freiwillig. Auch da sehe ich Vergleichen mit anderen Blogs gefasst entgegen. Übrigens gibt es Cassiels Blog schon seit 9 Jahren (seit dem Februar 2009) – auch diesen sachlichen Fehler sollten wir korrigieren. Die Halbwertszeit seiner Behauptungen ist allerdings – wie öfters eingeräumt, gerade zur Musikpräferenz – wesentlich kürzer.
Und nein, die Zitate mit dem „Hupfdohlen-Tango“ etc. stammen von Christian Tobler, der längere Zeit – unwidersprochen vom Blogger – wirklich auf alles einprügeln durfte, was irgendwie nach Modernität roch. Ich hab es mal dokumentiert:
http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/02/was-bin-ich-und-wie-viele.html
Nun, inzwischen ist dem Blogger sein „Mann fürs Grobe“ irgendwie abhandengekommen. Die unglaublichen Entgleisungen kann man jedoch nach wie vor lesen. Übrigens wurde ein Verriss meines Tangobuches von diesem Autor begeistert abgedruckt (inclusive eines Hitler-Vergleichs), obwohl Tobler selber zugab, mein Buch nur an wenigen Stellen aufgeschlagen zu haben.
Man wird mir sicherlich vorwerfen, ich sei „nachtragend“. Nein, im Gegenteil: Nachgetragen werden mir diese Textstellen bis heute, da sie nicht etwa gelöscht wurden, sondern nach wie vor im Netz stehen.
Aber sei’s drum: Die aktuellen Diskussionen über den Tango finden inzwischen woanders statt. Und das ist gut so.
Erstmal bin ich gespannt. Noch hält sich die Werbewirkung der Veteranendebatte in Grenzen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich sag Bescheid, sobald die Chose es unter die Topten geschafft hat.
Na ja, es kommt halt auf den Bekanntheitsgrad beider “Veteranen” an. Vielleicht ergibt sich da inzwischen ein punktuelles Defizit…
Die Vorstellung, dass ein Blogger die “Lufthoheit über den Tanzflächen” haben könnte, finde ich ziemlich skurril. Auch Tango-Lehrer oder -Veranstalter, also die welche real was bewegen, haben doch letztendlich nur sehr begrenzten Einfluss auf die Akteure vor ihnen.
Im Tango gibt es Skurriles ohne Ende – da hab ich schon Krasseres erlebt.
Es geht aber weniger um die „Lufthoheit über den Tanzflächen“, sondern eher um diejenige über den Veranstaltern und DJs. Da konnte ich ab zirka 2011 schon feststellen, dass sich auf den Webseiten Código-Auflistungen und Cabeceo-Erklärungen häuften und viele DJs plötzlich ihre Liebe zu den historischen Aufnahmen entdeckten – obwohl sie die Jahre vorher oft wildestes Zeug aufgelegt hatten. Und wer hätte vorher etwas von Encuentros gehört?
Veranstalter und sogar Lehrer haben oft nur einen lokalen Einfluss – Blogs dagegen werden weltweit gelesen. Klar, man kann nicht beweisen, wie weit der Einfluss geht – aber bei einigen hundert Zugriffen pro Tag ist die Streuwirkung wohl ganz erheblich.
Dazu kommt, dass Verfechter des rein traditionellen Tango nicht immer zimperlich damit sind, vor Ort ganz erheblichen Krawall zu veranstalten, wenn es nicht nach ihrem Gusto läuft. Ich hab das mehrfach dokumentiert – auch wenn es immer wieder hartnäckig bestritten wird.
Einen Trend zu beschreiben ist eine Sache – einen Trend zu beeinflussen eine andere. Dabei beeinflusst mich persönlich die Meinung eines Gerhard Riedl zu “Encuentros” ebenso wenig wie die Meinung eines Cassiels zu “Neolongas” – beide haben damit jeweils bekennendermaßen keine Erfahrung.
Ich hätt’s ja wissen sollen aus meinem journalistischen Berufsleben… Mit der Ironie ist das so eine Sache. Und mit Bildern auch. Die „Lufthohheit“ spielt auf eine Bemerkung des CSU-Politikers Edmund Stoiber an, der 1998 sagte:
„Die Lufthoheit über den Stammtischen ist ein Gütesiegel unserer Politik.“
In meinem Text habe ich die Formulierung als Bild für die Meinungsführerschaft in einem bestimmten Milieu gebraucht – wer auch immer sie errungen haben mag.
Über die weltweite Rezeption und Wirkungsmacht deutschsprachiger Tango-Blogs vermag ich keine valide Aussage zu treffen. Nur so viel: Meine Zählmaschine hat gut zweieinhalb Monate nach Inbetriebnahme mehr als 10 000 Besucher und über 25 000 Zugriffe auf 36 Beiträge und 135 Kommentare aus „mYlonga“ (selbstverständlich anonym) registriert. Obendrein kann ich mitteilen, dass die zunächst schleppende Entwicklung der Zugriffszahlen auf den Text „Unvollständige Antwort auf ein ? von Gerhard R.“ einen Schub bekommen hat, nachdem ich auf Facebook mit den streitigen Kommentaren dazu von Cassiel und Gerhard Riedl geworben hatte.
Aktuell rangiert er auf Platz sieben meiner Top Ten. Wer von Euch beiden daran einen größeren Anteil hat, mögt Ihr unter Euch ausmachen. Mir zeigt es, dass der Erfolg eines Blog nicht nur vom Autor abhängt, sondern auch davon, in welchem Maß er seine LeserInnen bewegen kann, sein Forum zur Diskussion zu nutzen – mit ihm und untereinander.
So viel erst einmal. Außer dem Berliner EMBRACE-Festival beschäftigt mich gerade ein Beitrag für ein Medium, das im Gegensatz zu einem Blog über die ebenso altmodische wie drohende Institution eines Redaktionsschlusses verfügt.
Lieber Thomas,
der Erfolg eines Blogs hängt vor allem davon ab, ob man Themen behandelt, welche die Leser interessieren – inhaltlich und auch in der Form der Darstellung. Sex, Crime und hitzige Wortgefechte sind seit Aristophanes der Knüller. Und das „Cat and Dog“-Prinzip funktioniert nicht nur bei Börne und Thiel, sondern seit der Commedia dell‘ arte.
Leider ist durch die etwas vollmundige Anpreisung des Artikels mein Kontrahent abhandengekommen. So vorgeführt zu werden mag er gar nicht. Verständlich.
Auf jeden Fall entstehen Trends nicht von selber, sondern werden gemacht. Oder glaubt irgendwer, Veranstaltern und DJs wäre vor etlichen Jahren spontan, unabhängig voneinander und auch noch gleichzeitig das Format der „traditionellen Milonga“ mit dem dazugehörigen Brimborium eingefallen?
Kompetenz oder gar eigene Erfahrung mit einem Thema werden vom Autor nicht verlangt. Entscheidend ist, dass die Leser gerne glauben möchten, was da steht – beispielsweise, dass sich Milongas von einer sagenumwobenen „Urform“ ableiteten und man durch Rückkehr ins einstige Elysium des verlorenen Glücks wieder teilhaftig werden könne: egal, ob hinter den sieben Bergen oder Meeren…
Übrigens – da ist Herr „wirdschonwerden“ wohl noch nicht lange genug dabei – hat Cassiel durchaus Erfahrungen mit „Neolongas“: In etlichen Blogtexten schildert er seine Sozialisierung als Anfänger mit moderner Tangomusik – und die daraus folgenden tiefgreifenden Verwerfungen seiner Persönlichkeit. Und ja – ich war noch nie auf einem Encuentro, habe dazu aber gelesen und angesehen, was das Netz hergibt. Von meinem Arzt verlange ich auch nicht, dass er alle meine Krankheiten schon mal persönlich hatte…
Sicherlich sind hohe Zugriffszahlen kein absoluter Beweis dafür, dass man auf dem richtigen Weg ist – man kann auch Recht haben und keiner liest es. Es bringt nur nix.
In diesem Sinne weiterhin viel Erfolg
Gerhard
Was für eine Ehre, dermaßen jebüldet jewürdischt (und fein ziseliert zwischen den Zeilen kritisiert zu werden), vielen Dank Mr. Statler! Der von Dir so geschätzte Kolumnissimus Harald Martensein war es irgendwann leid, Woche für Woche seine “Schnurrpfeifereien” (was für eine herrlich altmodisches Wort) zu veröffentlichen. Deshalb unterzog er sich einer Teilmutation zum Leitartikler. Ich betreib’ dies Geschäft hier noch nicht so lang. Noch hab ich Spaß dran, die Lei(d)tartikelei hinter mir zu lassen. Ich wiederhole mich ungern, aber: Die Welt hab ich lange genug verändert. Was gelegentlichen oder häufigeren Ernst nicht ausschließt. Bemerkenswert finde ich Deine Empathie für Cassiel . Da komm’ ich nicht über meinen alten Beruf hinweg: If you can’t stand the heat, keep out of the kitchen! Ich finde das übrigens auch nicht immer einfach. PS: Im rauen Geschäft des Tagesjournalismus hab ich eine Maxime für Erfolgsthemen aus Kaisers Zeiten aufgeschnappt: Kinder, Tiere und Buffos, die die Hosen runter lassen… Auch Dir weiter viel Freude und Erfolg – selbstverständlich in Deinem Sinne! Thomas
Ein Tango-Nuevo-Video wie “narcotango plano secuncia” kommt anno 2006 bis heute auf rund 650000 YT-Views. Und ich soll glauben, dass Tango Nuevo weltweit sang-und-klanglos untergegangen ist, weil Cassiel seine Tastatur bearbeitet hat? Oder soll ich auch nur glauben, dass im Ruhrgebiet “Neolongas” aus dem Boden sprießen, weil Rückenwind aus Pörnbach die Fahnen wehen lässt? Quark!
Ich habe heute zum ersten Mal einem Kommentar das Imprimatur verweigert. Ich möchte nicht, dass der Ton entgleist.
Weder Thomas noch ich sehen uns als Stifter von Religionsgemeinschaften. Glauben ist daher nicht angebracht. Allenfalls Denken wäre sinnvoll.