Ach, ich liebe unsere Berliner Vielfalt. Auch beim Tango. Das klang schon verlockend: Jens Stuller (**), ein toller DJ, den ich wegen seiner gut gestimmten Musikwahl aus Klassik, Non und Neo mag, bat zum ‚Tango Nocturno’ – zum tollen Tanz im tiefsten Schwarz, zur wahrlich dunklen Milonga. Und das – Nomen est Omen – im wundert(!)ollen „Haus der Sinne”, einer kuschelig kleinen Freitagsmilonga am Berliner Prenzlauer Berg. Seit einiger Zeit ist er hier der Stamm-TJ.
Ich mag bereits die “Stille Milonga'”, die Mona-Isabelle gelegentlich in ihrem (nein, besser: „unserem”) TangoLoft veranstaltet. Da ist meditative Achtsamkeit angesagt, die in musikalischer Bewegungsfreude badet. Tango ohne Talk. Versierte Körpersprache statt verbaler Kopfgeburten. Entspannend schön!
Wie das wohl im Dunkeln wird? Tanzen mit verbundenen Augen – das kenne ich von Osho-Mediationen und tantrischem Geschehen. Da herrschen vor allem Achtsamkeit und Neugier, Bewegungslust und Spielfreude. Werden die Bewegungen beim DunkelTango achtsamer und inniger? Oder erstarrt womöglich alles aus Angst vor Fehltritten?
Das war schon spannend, als wir nach locker schöner Tanzzeit im gemütlichen Flair des sinnlichen Hauses für ein Stündchen nach unten gebeten wurden in den coolen Keller, der uns schwarz verhangen zum experimentellen Dunkel(t)raum werden sollte. Unter mattem Licht konnten wir den Ort erkunden, sahen ein paar Abstand gebietende fluoreszierende Wandmarkierungen, und erhielten unsere gut unterscheidbaren Leuchtarmbänder für Führende und Folgende. Dann suchten wir uns die ersten Partnerinnen und Partner. Denn klar angesagt war auch: Dies wurde für eine Stunde zur permanenten Tauschtanda mit Wechsel nach jedem Lied.
Wie ist das, wenn man seine Tanzpartner nicht sehen kann, wenn im Dunkeln erst mal all die Dünkel wegfallen, die man nicht haben will, aber dennoch manchmal spürt. Wer ist schon – bei allem Bemühen – wirklich ohne Vorurteile? Und wie wird das meine Bewegungen beeinflussen, wenn ich gar nichts sehe?
Für Folgende ist es ja oft gelebte Praxis, die Augen zu schließen und in blindem Vertrauen mit dem Körper zu lesen, was gerade abgeht. Aber was heißt das für uns Führende? Ich brauche doch meine Augen, um zu erkunden, wo Platz ist für welche Bewegung und um genau dort zu sein für eine tänzerische Antwort, wo sich meine Folgende hingeschickt fühlte!
Plötzlich hüpften die ersten Töne durch den Raum., es verlosch das Licht und die Antworten begannen zu fließen. Es war ganz einfach. Am Anfang. Denn mit der ersten Dame war ich vertraut. Wir tanzen öfter miteinander. Sehr gerne sogar.
Klar, der nun nur erfühlbar begrenzte Raum verlangt jetzt mehr achtsame Innigkeit als die bei uns sonst übliche Abstimmung im Bewegungsverlauf. Aber genau deshalb entsteht mehr Lust am kleinen Spiel, auch wo man sonst gerne in großen Schritten mit den Noten gleitet.
Obendrein war es inniger, dieses Spiel der Körper miteinander. Man fühlt einfach besser, wenn man nicht sieht. Das ist schon ein besonders kuscheliger Flash für uns Führende, dachte ich gerade, als die letzten Töne des ersten Stückes verklangen und sich die Umarmung löste. Und dann schwimmst du plötzlich im Dunkeln bis du im Gewirr der hoch gereckten Leuchtturm-Arme eine neue Hoffnung findest auf schönes Tanzen im Dunkel des dünkellosen Raumes.
Schon seltsam, so ein Anfang, wenn an einem Fluor-Bändchen ein ganz konkreter Körper hängt, der nur gefühlt, aber nicht betrachtet werden kann. Und dann ist es doch erstmal fast wie immer. Denn wer kennt das nicht: dieses achtsam vorsichtige Einstimmen der Körper auf das gemeinsam mögliche Spiel mit der Musik, wenn die Verspannungen aus den Körpern fallen und ein ersprießliches miteinander wächst?
Nein, das ist nicht wirklich ungewöhnlich, aber unglaublich viel stärker erlebbar im Dunkeln, jedenfalls für mich. Denn ohne meine Augen kann ich nur erspüren, ob die Frau in meinen Armen mag, wozu ich sie einlade. Da geht kein sichtbar ermutigendes Lächeln über ihre Lippen. Es kommt keine für mich wahrnehmbar aufblitzende Freude aus ihren Augen. Hier gibt es nur dieses herzoffene Tasten nach dem kuscheligen Konsens im musikalischen Fließen. Ein ersprießliches Miteinander hat sich mir erschlossen. Schön, aber mit jeder neuen Partnerin anders schön. Mehr oder weniger. Ganz normal. Und doch völlig anders. Intensiver. Ein „Fühlbad“ in schönster Fülle.
Ich möchte es Euch allen dringend empfehlen! Eine spannend schöne kleine neue Welt, die uns Jens Stuller da geschenkt hat! Die vielen positiven Stimmen danach motivieren ihn hoffentlich, diese Möglichkeit öfter anzubieten in seiner neuen Stamm-Milonga, freitags im Haus der Sinne. Für alle NachahmerInnen in fernen Gefilden sei ergänzt, dass der Tanz im Dunkeln eine sorgfältig gewählte Musik erfordert – eine mit dem Hang zum Kleinen und Feinen. Dass Jens dafür das richtige Händchen hatte, hat mich nicht überrascht, aber unsäglich gefreut! (***)
(*) Tom Opitz hat schon einmal für diesen Bloggeschrieben: http://kroestango.de/aktuelles/wo-trifft-man-die-guten-taenzerinnen-und-taenzer-ein-gastbeitrag-des-berliner-tangotaenzers-tom-opitz/
(**) Im vorigen Jahr habe ich Jens Stuller mit einem ausführlichen Interview vorgestellt: http://kroestango.de/interviews/interview-mit-jens-stuller/
(***) Die Musikstücke in diesem Text stammen aus der Playlist des Abends.
(*) Tom Opitz schreibt nicht zum ersten Mal für diesen Blog. Der vorige Beitrag: http://kroestango.de/aktuelles/wo-trifft-man-die-guten-taenzerinnen-und-taenzer-ein-gastbeitrag-des-berliner-tangotaenzers-tom-opitz/
1 Comment
ich hatte auch schon das vergnügen an einigen tollen orten nur im licht von leuchtbändchen und raummarkierungen zu tanzen. es gibt nur noch eine steigerung für mich, die dunkel milongas von peggy schorn, da ist dann gar kein licht!