Diesen Text habe ich mir gewünscht. Genauer gesagt: Einen Text von Laura – ohne Themen-Vorgabe. Als Geburtstagsgeschenk. Ohne gewisse Geschehnisse in St. Petersburg wäre er längst erschienen. Aber manchmal muss das Feiern zurückstehen. Obwohl wir in derselben Stadt leben und ein Hobby, oder soll ich besser sagen: eine Leidenschaft teilen, begegnen die Autorin und ich einander fast nie. Dafür ist die kleine Tangowelt dann doch zu groß, sind unsere Geschmäcker zu verschieden. Und dennoch beschäftigen wir uns mit den gleichen Phänomenen. Sie auf ihre, ich auf meine Weise; sie als Frau, ich als Mann. Vom Lebensalter könnte Laura meine Tochter sein. Ihr Blog ist älter als meiner. Ein paar Tage nur. Da sind wir GenerationsgenossInnen. Ich lese ihn gern. Ein anderer Ton, eine andere Sichtweise als meiner. Ich hoffe, Ihr findet diesen Beitrag genauso anregend wie ich.
Vielen Dank, liebe Laura, ad multos Tangos!
Ein Gastbeitrag von Laura Knight (Berlin Tango Vibes)
Der Tango Argentino könnte doch eigentlich so schön sein, wenn, ja wenn der Frauenüberschuss nicht wäre. So scheinen zwar viele Frauen an den besonderen Zauber des Tangos zu glauben, nur sind auf der anderen Seite leider nicht genug Männer davon überzeugt, dass dieser Tanz sie glücklich machen könne. Sonst wären schlicht und einfach mehr Männer da. Immerhin ein Vorteil für die Herren, die zum Tango kommen. Denn sie dürfen als Hähne im Korb gleich doppelt glücklich sein. Und die Damen? Tja, sie sitzen und sitzen und sitzen eben wie die Hühner auf der Stange, obwohl sie doch tanzen wollen. Ein äußerst unbefriedigender Zustand.
Manche Frauen versuchen selbst Abhilfe zu schaffen, indem sie im persönlichen Umfeld bei Männern für den Tango werben. Ein lobenswerter und gleichzeitig steiniger Weg. Lebenspartner erkennen oft schnell, dass das mit dem gemeinsamen Tanzen für die Beziehung zur Bewährungsprobe wird und ziehen sich vom Parkett zurück. Auch akquirierte Freunde werfen nicht selten nach wenigen Wochen verzweifelt das Handtuch. Schon ist frau wieder allein auf weiter Flur. Da bleibt ihr nur, sich auf ihre eigenen Vorzüge zu besinnen. Outfits und Looks werden optimiert und die Tango-Künste verfeinert. Das zeigt vor allem bei Anfängerinnen schnelle Erfolge. Das Verhältnis von Sitzen und Tanzen verbessert sich immens. Eine Phase, die von vielen Frauen als eine der schönsten ihres Tango-Lebens beschrieben wird und die sie im Nachhinein oft auch als wichtigen Teil ihres Wegs zu mehr Weiblichkeit sehen. Gemeint sind damit meist Qualitäten wie Offenheit, Sensibilität, im Moment sein, vielleicht auch Sinnlichkeit und Schönheit.
Doch das Hochgefühl ist nicht von Dauer. Denn mit den Tango-Kenntnissen steigen die Erwartungen und Ansprüche an die Tänze. Cabeceos von Herren, die anfangs noch dankbar als Tanzpartner angenommen wurden, werden schon bald mit einem eilig ausweichenden Blick in die eigene Handtasche erwidert. Und da sitzt frau wieder und sitzt und sitzt und sitzt… vielleicht hört man sie sogar sagen, dass das mit dem Sitzen gar nicht so schlimm sei. Sie sei ja nicht nur zum Tanzen da, sie genieße auch gern die Atmosphäre und den Wein, tausche hier und da ein paar Worte mit dieser und jenem, und überhaupt, man müsse auf einer Milonga ja nicht immer tanzen. Eine Weile glaubt sie sich das selbst. Dann kehrt die Enttäuschung zurück.
Und irgendwann – mal früher, mal später – entscheiden viele Folgende: „Ich nehme das jetzt selbst in die Hand und lerne Führen.“ Gesagt, getan. Sie kämpfen sich durch die Tücken der führenden Rolle und setzen sich dabei auch mit Themen wie Klarheit, Entscheidungskraft und Übersicht auseinander. Sind das nun männliche Eigenschaften und ist das eigentlich heutzutage noch wichtig? Wichtiger ist doch die Frage: Sind sie nun glücklicher mit ihrem Tango? Dazu höre ich ganz Verschiedenes. Sogar Frauen, die viel führen, sagen manchmal: „Führen ist schöner als Sitzen und Folgen ist schöner als Führen.“ Ich kenne übrigens auch einige Männer, die der Meinung sind, dass Folgen im Vergleich die schönere Rolle sei. Ich weiß aber ebenfalls von vielen Frauen, dass sie das Führen sehr genießen. Als Hauptgrund nennen sie oft die größeren Möglichkeiten bei der Interpretation der Musik. Also ja, sie sind glücklicher. Ist das nun die Lösung für das Ausgangsproblem? Tango könnte eigentlich so schön sein, wenn, ja wenn… Es scheint fast so.
So schön kann Tango unter Frauen sein: Corina Herrera und Ines Muzzopappa
Doch halt: Da ist noch was. Tango Argentino, das sind doch eigentlich sich umschlingende vor Leidenschaft und Erotik strotzende Paare, bestehend aus einer stolzen, attraktiven Tänzerin und einem maskulinen Latino-Macho? Oder nicht?
Tango-Klischee pur.
Wer im Tango dieses klischeehafte machismotriefende Gebilde sucht, wird das im Tanz unter Frauen so nicht finden. Wer tanzt, um mit dem anderen Geschlecht zu flirten, und ihm nah zu sein, wird dieses Bedürfnis in einem gleichgeschlechtlichen Tanz nicht stillen können.
Doch ist das wirklich die einzig wahre Essenz des Tangos?
Für manche sicherlich und das ist nicht verwerflich. So erinnere ich mich, dass eine meiner Tango-Freundinnen, die gern und viel führt, zunächst nicht sicher war, ob ich überhaupt mit ihr tanzen würde oder ob eben genau diese Mann-Frau-Polarität für mich fester Bestandteil meines Tangos sei. Vielleicht war sie das auch für eine Weile. Doch Dinge ändern sich. Heute tanze ich sogar sehr gern mit Frauen.
Je mehr Erfahrung, Können und Offenheit der Tanz und das Tanzverständnis beider Partner*innen haben, desto mehr Möglichkeiten bieten sich auch abseits des klischeehaften Leidenschaft-und-Erotik-Narrativs. Je mehr der Dialog der Tanzpartner*innen auf tänzerischer und nicht nur balzender Ebene stattfinden kann, desto mehr wird die Mann-Frau-Geschichte nur eine Geschichte von vielen, die ein Tanzpaar erzählen kann. Eine sehr schöne bleibt sie ohne Frage, doch zum Glück bei weitem nicht die einzige.
Für diese „Milonga à trois“ braucht es sogar drei Frauen: Corina Herrera, Moira Castellano und Mariela Sametband.
12 Comments
Dem Kerngedanken zum “sogenannten Männermangel” stimme durchaus zu: wesentlich mehr Frauen sollten mit Frauen tanzen, zumindest sofern es ihnen “nur” ums Tanzen geht. Auch wenn das langfristig den Tango deutlich femininer werden lassen wird.
Dass männliche Anfänger beziehungsängstliche Waschlappen sind die zügig das Handtuch werfen, wogegen führende Anfängerinnen sich entschlossen durch die Tücken der führenden Rolle kämpfen, sehe ich allerdings auf den Milongas (noch?) nicht. Die Unterrichts-Erfolgs-Quote scheint mir geschlechterübergreifend recht bescheiden zu sein.
Was die männlichen Anfänger betrifft: Das Handtuch werfen aus meiner Erfahrung und so wie es im Artikel gemeint ist, schnell diejenigen Männer, die sich von einer Frau zum Tango überreden lassen und nicht aus Eigenantrieb beginnen.
Wie es den Tango verändert, wenn mehr Frauen führen, finde ich übrigens eine sehr sehr spannende Frage.
Gerade weile ich in Buenos Aires, hier ist die Feminismusdiskussion auch im Tango sehr groß. Man sieht viele gleichgeschlechtliche Paare, tanzt oft sehr gleichberechtigt im Paar und geht übrigens davon aus, dass das Traditionelle, was die Geschlechterrollen im Tanz angeht, hier schon weiter überwunden ist, als in Europa (ausser natürlich bei der Cachirulo-Milonga hier, die deshalb auch von vielen bewusst gemieden wird).
Das klingt alles ziemlich spannend, liebe Laura. Ich hoffe, wir dürfen uns auf einen oder sogar mehrere Berichte in Deinem Blog Berlin Tango Vibes freuen, sag’ ich mal hier als Gastgeber.
Ja auf jeden Fall, lieber Thomas. Ich werde das vertiefen, wenn ich zurück bin.
Und das ist auch gut so. Ich bin gespannt – und ein wenig neidisch, weil der Text sicher wieder in Deinem Blog erscheinen wird. Mir bleibt dann wohl nichts andere übrig als http://www.berlintangovibes.com zu empfehlen und an einschlägiger Stelle zu teilen.
Nun, niemand weiß wie die Zukunft aussehen wird. Einen ersten Eindruck von Milongas mit starkem Ungleichgewicht kann man bei “Totally in Tango” bekommen, z.B. hier:
https://www.youtube.com/watch?v=LSVUICB9LdE
Ich denke ein wichtiger Aspekt wird sein, wie längjährige Tangopaare sich dazu stellen – die nach meinem Eindruck bei “klassischen” Milongas in der Regel rund die Hälfte der Teilnehmer ausmachen.
Für Menschen, die sich nicht regelmäßig in gewissen Blogs oder auf Facebook tummeln: Gerhard Riedl hat sich kritisch mit Lauras Text auseinander gesetzt: http://milongafuehrer.blogspot.com/2019/12/mannermangel-berliner-art.html
Mal eine Beobachtung: die Folgenden lernen erfahrungsgemäß schneller als die Führenden, und vom ehrgeizerzeugenden Tangovirus final befallenen kommt zum gesunden Ehrgeiz die weniger schöne Ungeduld…. der Folgenden mit den langsameren Fortschritten der Führenden. Schnell wird ein oder eine neue, bessere Führende(r) gefunden, und der bisherige Sparringspartner bleibt zurück, oft die Bestätigung der eigenen Selbstzweifel spüren, und gibt spätestens nach der dritten Wiederholung auf. Eine Tangobeziehung muss schon sehr gefestigt sein, um solches abzuwettern. Und am Ende der Milonga, so wie schon zu deren Beginn, sind dann mehr Folgende als Führende im Saal. – Habt mehr Geduld, liebe Damen von Pörnbach bis Berlin!
Nun, Christian, wenn beide Partner vom Start weg beide Rollen lernen und tanzen (müssen), ist zumindest das Problem der Asymetrie in den Lernkurven implizit gelöst. Ich könnte mir freilich vorstellen, dass umgekehrt die “Fahnenflucht” zunimmt.
Eine weitere spannende Frage ist, in wie weit sich die Szenen aufteilen werden – ähnlich wie bei Musik und Tanzstil.
Ich habe vorgestern mit einen Kumpel sozusagen eine “Männertour” gemacht. Rein ins Auto und hin zu einer Milonga, auf der die Damen sich ganz überwiegend schick kleiden und die Herren ganz überwiegend entspannt führen. Für die eine führende Frau galt beides.
Wir hätten auch zu deinem Double-Role-Event fahren können – aber neben der Frage nach dem “Warum” schließen dort die Veranstalter Single-Role-Dancer wie uns in ihren “Codigos” aus. 😁
“Denn mit den Tango-Kenntnissen steigen die Erwartungen und Ansprüche an die Tänze. Cabeceos von Herren, die anfangs noch dankbar als Tanzpartner angenommen wurden, werden schon bald mit einem eilig ausweichenden Blick in die eigene Handtasche erwidert. Und da sitzt frau wieder und sitzt und sitzt und sitzt… ”
Muss man(n) dazu noch irgendwas schreiben? 😉
Moin,
das ist ein Problem, das Menschen begegnet, deren tänzerisch-technisches Können sich verändert: steigen die technischen Kompetenzen, möchte man halt gerne auch mal mit Menschen tanzen, die über ähnliches/höheres technisches Können verfügen. Dummerweise (Stichwort: gaußsche Normalverteilung…) gibt´s davon je weniger, je höher das “technische Level” ansteigt.
Lösungsmöglichkeiten für diese Fälle (neben dem schon erwähnten Erlernen der Führenden-Rolle): andere Milonga (=andere Zielgruppen) oder überregionale Veranstaltungen mit ausgewogenem Führenden-/Folgenden-Verhältnis aufsuchen.
Gruß Tom