Wenn ich nicht mindestens drei Mal in der Woche zum Tango Tanzen komme, krieg’ ich schlechte Laune… Einer meiner Standardsprüche – in jenen fernen Zeiten vor der Epoca Corona. Heute tanze ich einmal in der Woche. Meistens. Wenn das Wetter es erlaubt, auch zwei Mal. Aber selbst 14 Tage Pause machen mir nichts mehr aus. Tempora mutantur, hab ich im Latein-Unterricht gelernt. Et nos mutamur in illis.
Nicht alle haben sich den neuen Zeiten so umstandsarm angepasst wie ich. Aber doch erstaunlich viele, soweit ich das mitbekomme. Ein größeres Problem als die staatlich verfügten Beschränkungen sei der Mangel an Bereitschaft, Kurse zu besuchen, klagte dieser Tage der Besitzer einer der großen Berliner Tangoschulen. (1) Sicher, da gibt es Junkies, die jede Möglichkeit wahrnehmen, vor oder nach Einbruch der Dämmerung irgendwo draußen in mehr oder weniger lauschiger Atmosphäre ihrer Leidenschaft zu frönen. Die Gruppe “Tango Flashmob” ist auf diese Weise zur wichtigsten Terminbörse avanciert. (2) Wie viele Verabredungen zu Privat-Milongas mag es geben? Keine Ahnung. Eine Einladung haben wir neulich ausgeschlagen.
In den beiden Tagesmilongas, die ich besuche, sehe ich immer wieder PartnerInnenwechsel. Auch ich habe schon mit Tangueras außerhalb meiner Partnerschaft getanzt. Mit Maske oder ohne. Doch eine mir sehr sympatisch attraktive unbekannte Frau, die ziemlich traurig dreinschaute, hab ich neulich schweren Herzens und gegen meine vorcoronische Gewohnheit sitzen gelassen. Getanzt habe ich stets mit Partnerinnen, die ich kenne. Mit wem sie sonst noch tanzen, wichtiger: vor mir getanzt haben außer mit ihrem eigenen Partner? Keine Ahnung.
Irgendwie war’s immer ganz schön. Doch immer auch gewürzt mit einem nicht zu überfühlenden “Aber…” Ich glaube, nicht nur auf meiner Seite. Ich tanze längst nicht so eng wie früher, aber brutal gesagt: Nah genug für eine Tröpfchen-Aerosol-oder Schmierinfektion. In der Corona-App meiner Frau bin noch nicht als Risiko-Begegnung aufgetaucht. Und umgekehrt. Auch von Corona-Hotspots in unserer Szene habe ich noch nicht gehört.
Dennoch bleibt das Fazit: Das reine Vergnügen ist es nicht, haben meine Liebste und ich übereinstimmend festgestellt. Die – im Wortsinn: bedenkenlose Spontaneität mag sich partout nicht mehr einstellen. Und die gerade die hatte den Tango als “sozial dance” so attraktiv gemacht. Nun haben wir zum ersten Mal auch unsere letzte Stamm-Milonga in einem Berliner Park geschwänzt und sind im Museum gewesen. Mit Maske, versteht sich.
(1) https://mailchi.mp/db9d456425da/nou-tango-berlin-werde-nou-heldin-7973182 Für ein genaues Bild sind die Mitteilungen der Tango-Schulen allerdings zu ungefähr und uneinheitlich. Seit die Zeit der Spendenaufrufe vorüber ist, mögen sie sich offenbar nicht so recht in die Karten schauen lassen.
4 Comments
Eine deprimierende Bestandsaufnahme! Vor allem nagt die zermürbende Hoffnungslosigkeit, dass es absehbar mal wieder anders kommen wird. Noch ein halbes Jahr, ein ganzes, vielleicht noch fünf? Wie viele werden bis dahin ihren Tango aufgegeben haben? Es geht ja jetzt auch ohne… Was bleibt uns denn sonst anderes übrig, als heimliche private Wohnzimmermilongas, oder mit Maske, nur mit einem Partner, mit Abstand, mit Anmeldung, mit vier fünf Paaren anderthalb Stunden, mit Namenslisten… Das ist nicht der Tango, wie ich ihn verstehe und bislang mit Leidenschaft genossen habe. Quo vadis Tango, wie die Lateiner auch schon sagten…
Volle Punktzahl – deine Gedanken und Dein Gefühl bei der Milonga kann ich absolut nachempfinden. Dieses Spontane, diese plötzlichen herrlichen Überraschungen mit Unbekannten und die vielen Bekannten, auf die man sich schon freut – das macht Tango aus. Ich fürchte, das kommt erst wieder, wenn wir uns impfen lassen können – und da stellt es ja vielen die Nackenhaare auf. Ich traue mich noch gar nicht, wieder zum Tango auf Milongas zu gehen, tanze mit einer einzigen Frau privat, die ich gut kenne, der ich absolut vertraue und die genauso vorsichtig ist, wie ich. Obwohl es natürlich auch in München wieder losgegangen ist mit Milongas – auch indoor, offiziell ohne Partnertausch, inoffiziell ist das, wie man hört, schon wieder ziemlich promiskuitiv. Einigen macht das Sorgen, mir auch.
Ach, warum seid ihr so negativ gepolt?
Bei aller Anerkennung des gefährlichen Potentials, das die Covid19 Pandemie birgt: Wir haben es in Deutschland bisher recht gut gemacht! Zwar sind auch hier viele Tote und dauerhaft geschädigte zu beklagen, aber die AHA-Regeln haben die Ausbreitung der Grippe jedenfalls erfolgreich eingedämmt und vermutlich damit auch die sonst durch sie verursachte “Übersterblichkeit” . Unterm Strich könnte es deshalb (!) sogar einen Rückgang der Mortalität durch solche/und ähnliche Viren geben.
Auch wenn Tango durch die Körpernähe Ansteckungen begünstigt, zeigt sich doch, dass derzeit im Freien offenbar nirgendwo große Gefahren für eine explosive Ausbreitung lauern. Wir dürfen endlich wieder mit festen Partnern tanzen , die außerhalb der häuslichen Gemeinschaft leben!
Wenn jede/r von uns im Alltag weiter Abstand hält und sich einen kleinen, übetschaubaten Kreis von Nahpartnern gönnt und all diese Begegnungen in einer kurzen Notiz beim abendlichen Rückblick mit dankbaren Gefühlen für die geschenkte “Intimität” protokolliert, bleiben diese Kontakte auf Nachfrage durch die Fahnder vom Amt nachvollziehbar. Und darum geht es !!!
Wir brauchen schnelle Warnketten, um die Ausbreitung zu stoppen!
Wir wollen und werden das intime Leben nicht überall stoppen können. Wie müssen es aber nachvollziehbar machen und selbst bereit sein, uns jederzeit in Quaratäne zu begeben. Dann können wir uns mit Umsicht und Achtsamkeit auch wieder näher kommen!
Das Leben birgt immer Risiken für den einzelnen Menschen. Wir können ihnen nicht überall ausweichen. Aber wir können die Gefährdung anderer bewusst eindämmen!
Ich bin sehr dankbar, dass die neuen Regeln jetzt so praxisgerecht handhabbar sind, dass uns die Schulen als Horte des Tangos erhalten bleiben können, wenn der dort angebotene Unterricht und die “Gruppenübungszeiten wieder mehr angenommen werden.
Ich bin aber auch extrem dankbar für diejenigen, die da jetzt fast täglich in Berlin irgendwo umsonst und draußen an wunderschönen OrtenTango auflegen und uns so ermöglichen, ganz selbstbestimmt und in Eigenverantwortung mit gut gewählten, persönlich bekannten Partner/innen zu tanzen! 🕺🎶💃
D A N K E !!!
Nichts muss. Die Gefahr ist nur, dass die Leidenschaft für das was man gerne macht mit dem Verzicht auf Dauer abflacht, sogar ganz erlischt. Wenn das noch Monate so anhält, wird es schwer werden die Szene wieder zu beleben. Das gilt aber für alle Bereiche der Kontaktsportarten. Diskos dürfen nach wie vor nicht öffnen bis Ende September. Vermutlich dann zum Winter auch nicht. Da geht nicht nur ein Stück Kultur flöten, sondern ganze Begegnungsstätten. Gut auch bei uns gibt es private Milongas bis 20 Personen. Das soll ja jetzt auch öffentlich gehen. Aber wie geschrieben,so richtig Milongafeeling kommt nicht auf. Wir haben die Möglichkeit in der Schweiz zu tanzen. Bisjetzt gibt es auch da keine Infektionsmeldungen. Vielleicht ist es aber auch gut für das Imunsystem. Ich bin auch hin und hergerissen.