Zunächst hat Jürgen Kühne eine Werkschau der beiden KünstlerInnen in einem Video zusammengestellt. Danach folgen verschiedene Facetten und Musikstile ihre Tanzes. Die ersten beiden Tanz-Videos sind gegenüber der früheren Fassung dieses Textes neu. “Clair de Lune” haben meine Tochter Laura Oetzel und ihr Partner Daniel Mattele bei einem Konzert in Berlin gespielt. Proben für diesen gemeinsamen Auftritt in einer Berliner Kirche gab es nicht.
Caroline Roling und Jürgen Kühne malen. Jede(r) für sich. Sie ist studierte Grafikerin, er seit über 20 Jahren engagierter Autodidakt an der Staffelei. Mehr als dass sie Tango tanzen, wusste ich allerdings nicht von ihnen. Gelegentlich treffe ich sie auf Milongas. Seit mehr als zehn Jahren sind sie in der Berliner Tangoszene zu Hause. Seit gut zwei Jahren miteinander. Irgendwann hab ich Videos von ihnen im Internet gesehen. Ich war fasziniert – wegen ihres Tanzes, aber auch wegen der Musik. Wunderschön ausgewählte Stücke modernen Tangos. Nicht irgendwelche Pop-/Rockmusik, wie sie in der Neo-Szene gern gespielt wird, sondern Tango von heute. Per Zufall erfuhr ich, dass es für sie mehr als nur Tango gibt. Denn ich fand einen Hinweis auf eine gemeinsame Ausstellung der beiden mit Tangobildern und zur Eröffnung eine Milonga – in einem zauberhaften Landhotel bei Berlin, das von einem tango- und malverrückten Paar betrieben wird. (**) Meine Frau und ich lieben das Haus. Ich hab’ dort schon mal einen Geburtstag gefeiert. So klein ist die (Tango-)Welt – auch rund um die Großstadt Berlin.
Es war also klar, dass wir zur Vernissage der Ausstellung „Tango Argentino in Farbe und Tanz“ mit Tangobildern von Caroline und Jürgen nach Ribbeck fahren würden. Als Schmankerl zur Vernissage boten sie den Besuchern mit Tanzvorführungen in ihrer eigenen Art einen Einblick in die Welt des Tango Argentino.
Später hab’ ich mich mit den beiden verabredet. Zwischen fertigen und nicht ganz fertigen Bildern haben wir in Jürgens’ Wohnzimmer-Atelier über ihre Leidenschaft Tango und Malen gesprochen. Für beide als Weg ins Offene – für malende Individuen, wie für im Dialog tanzende Paare. (***)
Ob ihre Tangovideos die Fortsetzung ihrer Malerei mit anderen Mitteln seien, will ich wissen. Beide lachen. Nein, so einfach ist es nicht. „Die Videos sind eher zufällig entstanden“, berichtet Caroline. Sie führt ab und zu Mode in einer Boutique vor. Bei einer Schau mit Lesung hat sie mit Jürgen getanzt. Der eigens engagierte Fotograf war so davon angetan, dass er die beiden fragte, ob er sie filmen dürfe. An eine Veröffentlichung haben sie zunächst nicht gedacht. Aber die Aufnahmen zur Kontrolle zu benutzen, fanden sie praktisch. So etwas hatten sie auch schon in einer privaten Übungsgruppe praktiziert.
Doch es ging weiter. An seiner alten Hochschule in Rostock hatte Jürgen mit Studenten gearbeitet, die Videos einsetzen. Einer von ihnen interessierte sich für Tango. So entstand das erste veröffentlichungsfähige Video. Nun hatten die beiden Blut geleckt. Klar, sie waren und sind keine Profis. „Andere tanzen natürlich besser als wir“, räumt Jürgen ein. Aber sie haben ihren eigenen Stil entwickelt. Was sie daraus machen, kann sich sehen lassen. Auch das wissen sie. Und sie hatten eine Idee, die über ein bloßes Tangovideo hinaus führt: Sie begannen, sich kleine Geschichten rund um ihren Tanz auszudenken. Um sie in bewegten Bildern zu erzählen, suchten sie passende Orte. So sind ihre kleinen Tangogeschichten mit interessant wechselnden Schnitten etwas Besonderes geworden. Ihr Spezialität.
Auch dass der Tango als Sujet in ihrer Malerei eine so überragende Bedeutung bekam, war zunächst nicht geplant. Es begann mit dem Angebot einer Ausgestaltung des Raumes für eine neue Milonga in der Alten Schule Woltersdorf, einem kleinen Ort bei Berlin. Doch damit waren die Bilder „in der Welt“. Weitere Anfragen schlossen sich an. (****) Die kurioseste (und anstrengendste) Veranstaltung gab es in Rostock. Zur jährlich stattfindenden „Kunstnacht“, an der Jürgen mit anderen Arbeiten schon öfter teilgenommen hatte, wurden sie ins „Haus Europa“ eingeladen. Ein Koppelgeschäft.
Sie konnten ihre Bilder an zentraler Stelle der Stadt präsentieren – dafür tanzten sie zu jeder vollen Stunde. Sechs Mal in dieser Nacht zeigten sie jeweils vier Tänze (Klassik, Neo, Vals und Milonga). Am Ende, also nach 24 Tänzen „dampften ihnen die Füße“. Dazu erzählte Jürgen etwas über den Tango und seine Geschichte. Das sprach sich schnell herum Alle 60 Minuten war die Hütte voll. „Und dann wurden wir immer wieder gefragt“, erinnert sich Caroline kichernd, „von wem denn eigentlich die Bilder seien.“ Tanzende Maler, malende Tänzer kamen in der Vorstellungswelt der RostockerInnen wohl nicht vor.
Dabei haben Tango und Malerei so viel gemeinsam mit einander – jedenfalls in der Art wie Caroline und Jürgen sie verstehen
„Du stehst vor der leeren Leinwand. Du hast Dein Handwerkzeug: Pinsel, Farben. Du hast Deine Phantasie und einen Plan. Wenn’s gut geht. Aber der Pinsel will nicht immer so, wie Du willst. Mal saugen die Borsten mehr Farbe auf, mal weniger. Mal wird ihre Mischung zu dick, mal zu dünn. Dann tropft plötzlich etwas dorthin, wo es nicht sollte. Das kann Deinen Plan verändern. Wenn Du Glück hast: Zum Besseren. Aber manchmal hab ich ‘ne tolle Idee. Doch dann stell’ ich fest: Das wird Mist! Beim Tango hast Du eine Vorstellung, davon wie Du mit dem Werkzeug Deines Körpers die Musik umsetzt. Aber die (Tanz-Fläche) ist nicht leer. Selbst die disziplinierteste Ronda schränkt Deine Freiheit ein. Du bist nicht allein auf der Pista mit Deiner Partnerin. Du musst auf Deine Umgebung reagieren. In der getanzten Improvisation einen Kompromiss zwischen Deinen Empfindungen und den äußeren Möglichkeiten zu finden, das ist die große Herausforderung.“ (Jürgen Kühne)
Das besondere an den Bildern von Caroline und Jürgen ist: Sie leben. Selbst großen Malern, weit bedeutenderen als den beiden, gelingt es selten, Bewegung darzustellen. Ein Beispiel ist für mich Emil Nolde. Er hat einen Zyklus mit Bildern aus dem Berliner Nachleben geschaffen. (*****) Tolle Farben, genau beobachtete Szenen. Aber die dargestellten TänzerInnen bleiben statisch. Caroline und Jürgen gelingt es dagegen erstaunlich gut, die dreidimensionale Bewegung auf die zweidimensionale starre Leinwand zu bannen. Ich bin kein Kunstexperte. Aber vielleicht hilft ihnen ja ihre Erfahrung als TänzerInnen.
„Als folgende Tänzerin bin ich kein Werkzeug in den Armen meines Partners – auch wenn manche das gern hätten. Ich gestalte den Tanz mit. Es ist meine autonome Entscheidung, wie ich seine Impulse interpretiere. Manchmal entsteht auf diese Weise etwas anderes, als er geplant hat. Es wird unser Tanz. Viele Männer irritiert es, wenn ich mir über die üblichen Verzierungen hinaus ein wenig Führung herausnehme. Wenn es gut geht, gefällt es ihnen und sie antworten darauf. So entsteht ein Dialog. Wir improvisieren. Beide. Diese Improvisation liebe ich auch an der Malerei. Was aus einer Idee wird, hängt auch von meiner Stimmung ab und von meiner körperlichen Verfassung. Kein Tanz ist wie der andere. Ein Bild kannst Du so wenig „wiederholen“ wie einen Tango. Beim nächsten Versuch sieht die Blume anders aus. Und der Tango auch.“ (Caroline Roling)
Für ihre gemeinsamen Ausstellungen haben Caroline und Jürgen sich abgesprochen, was die Wahl der Motive angeht: Sie konzentrierte sich auf den Tanz selbst. Die Bewegungen. Die Figuren. Jürgen nahm sich eher das Ambiente vor. Die Pause an der Bar, die Musiker mit ihren Instrumenten. Aber streng haben sie die Trennung der Motive nicht durchgehalten, zumal sie auch immer wieder auf ältere Arbeiten zurückgegriffen haben. Aber Tango ist nicht alles in ihrem (Maler-)Leben. So malt der begeisterte Segler Jürgen gern Schiffe. Für ihr jüngstes Projekt haben sie sich einer alten Vorliebe von Caroline, der Aktzeichung gewidmet: Zu diesem Thema präsentieren sie sich gemeinsam mit dem Fotografen Georg Grell in der Aktgalerie in Berlin-Friedrichshain mit einer Ausstellung Von Verhüllt bis Enthüllt. (******)
Es scheint zu erwarten, dass die Geschichte Tango und Malen noch nicht erschöpft ist…
(*) Ich hab noch einen weiteren Beitrag über die beiden als Einführung in eine Ausstellung ihrer Bilder verfasst: http://kroestango.de/aktuelles/bilder-aus-der-welt-des-tango-eine-doppelte-einfuehrung/
(**) https://www.landhaus-ribbeck.de/Landhaus_Ribbeck/Landhaus_Ribbeck.html.
(***) Dies ist mein kurzer kondensierter Extrakt eines mehrstündigen, nicht immer sehr systematischen Gesprächs.
(****) Die gemeinsamen Ausstellungen der beiden: 25.5.-– 26.5.2018 Tango Argentino – Ein Abend in Farbe und Tanz (Rostock-Altstadt ), 24. 3. – 22.9. 2018 Tango Argentino in Farbe und Tanz ( Ribbeck, Brandenburg). 24.3.2018 – 22.9.2018 Tango Argentino – Magie und Faszination (Neuzelle), 15.10.2017 – 24.11.2017 Tango Argentino – Ein Abend in Bildern (Woltersdorf bei Berlin).
(*****) siehe: Nolde in Berlin: Tanz Theater Cabaret, Dumont 2007, 144 S.
(******) 2.11. – 2. 12. 2018 Von verhüllt bis enthüllt, Caroline Roling, Georg Grell und Jürgen Kühne, Aktgalerie Berlin-Friedrichshain
2 Comments
Sehr schön geschrieben, sehr schöne Bilder und Tango sowieso…
Lieber Thomas, die Neuauflage dieses Mal- und Tangobeitrages über Caroline und mich, erinnert an viele unserer erfolgreichen Tango- und Ausstellungsereignisse, die du schon seit geraumer Zeit mit offensichtlichem und wohlmeinendem Interesse, verfolgt hast. Die “erste” dieser Begegnungen war anlässlich einer Vernissage im Landhaus Ribbeck, wo du mit einiger Verblüffung ein nicht erwartetes Mal- und Tangopaar erleben konntest, das du eigentlich bisher nur beiläufig als Tänzer auf Milongas wahrgenommen hast. Aus dieser Begegnung ging dann als Idee für diesen Beitrag das sommerliche Interview mit uns hervor und im Weiteren entwickelte sich dann eine interessante, wie soll ich es nennen, Kooperation, die sich über später folgende Ereignisse noch vertiefte. Einen besonderen Glanzpunkt hast du uns, wie auch hier von dir erwähnt, mit deinen zwei Eröffnungsvorträgen zur Ausstellung “Tango Argentino – Faszination und Begegnung” im Festjahr 2019 in der Welterbestadt Quedlinburg, gesetzt, die selbst anwesende Tangolaien in den Bann gezogen hat. Das beharrliche, väterliche Bemühen, deine im Duo Harfe spielende Tochter zu einem faszinierenden Konzert “Angel y Diabolo – Tango auf zwei Harfen” zu bewegen, gab uns die einmalige Gelegenheit, unseren Tango zu Harfenklängen nach Piazzola zu präsentieren, mit dem Höhepunkt in der Heilig-Kreuz-Kirche Wilmersdorf. Und schließlich konntest du unserer beider Kunst, als Kalender über das ganze Jahr 2020 im monatlichen Wechsel in Auge und Erinnerung behalten. Auch wenn 2021 die Kunst- und Tangoszene wohl noch lange in einer tiefen Krise verharren muss, wird unser gegenseitiges Interesse am Gestalten, ob mit Worten, Bildern oder Tanz, hoffentlich die schwere Zeit überdauern und wir sagen Danke für dein waches Interesse an unserer Kunst, unserem Tango und unseren Videos.