Ich erinnere mich noch gut an die Zeit vor inzwischen 30 Blog-Beiträgen, als ich aus der Tradi-Szene(*) den (wie auch immer gemeinten) Rat bekam, keine längst geschlagenen Schlachten wieder aufzunehmen. Lange war ich guten Willens. Allein, es gibt „Kriegsgründe“, die brechen sich immer wieder Bahn. Von allen Seiten des rhetorischen Schlachtfeldes. Allen voran die Debatte um die Codigos, die Verhaltensregeln, speziell den Cabeceo. Dabei verdrängen sie großhinterig Themen, die ich wichtiger finde.
Gerhard Riedl, der informelle Präsident der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Traditionalismus im argentinischen Tango, hat auf seinem Blog http://milongafuehrer.blogspot.de den Gastbeitrag einer Tänzerin veröffentlicht, die unter dem Pseudonym „Quotenfrau“ über ihre Erfahrungen in der Queer-Szene berichtet.
. Spannend, dachte ich. Da geht’s um Gleichberechtigung im Tango und die Frage, wie wir es schaffen, dass nicht nur Frauen, die führen, keine Exotinnen mehr sind, sondern vor allem auch Frauen, die Männer zum Tanzen auffordern – unabhängig davon, welche Rolle sie einnehmen. Beim Teilen des Artikels in meiner Facebook-Chronik hab ich ihn vollmundig mit den Worten angekündigt:
„die betreiber & besucher der traditionellen milongas sollten langsam 1. beginnen nachzudenken, aber besser noch 2. umzusteuern (meine individuelle FB-Schreibweise).”
Was war die Folge? Es entspannt sich eine umfangreiche, immer noch anhaltende Debatte. Doch die drehte sich in Windeseile (fast) ausschließlich um das, was die Wiener Tangofreundin Alessandra Seitz treffend so formuliert hat: http://tan-do.net/atango/2018/04/24/das-gschiss-um-cabeceo-co/ Mir ist es ziemlich schnurz, auf welche Weise aufgefordert wird – solange es auf eine höfliche Weise geschieht, die den/die AdressatIn nicht bedrängt. Dies ist sowohl verbal wie nonverbal möglich. Die „Codigos“ des Ballroom-Dancing lernt man/frau bis heute in der berühmt-berüchtigten Tanzstunde. Wer sich nicht erinnern kann, dem sei (Feministinnen jetzt bitte weglesen!) ein wunderbar altmodischer Ratgeber aus Wien empfohlen: „Der Elmayer“(**).
Zwischenbemerkung: Hier geschieht alles im Wort-Sinne „un-verschämt“ – mit dem Selbstbewusstsein des klassischen europäischen Bürgertums (auch wenn’s vielleicht a bissserl beim Adel geborgt ist): Die Aufforderung wie die Ablehnung. Nur höflich müssen sie bleiben. Dass ein öffentliches „Nein, danke“ einem der beiden Beteiligten unzumutbar sei, kommt Herrn Elmayer und seinen Nachfahren nicht in den Sinn. „Damenwahl“ ist in seinen Augen als kollektiv angekündigte Ausnahme gestattet, allerdings unter der Maßgabe (daß man sich vor einer allzu freizügigen Auslegung dieser Sitte hüten sollte“(alte Rechtschreibung).
Mit den Vorbildern für unseren, ich sag’ Mal: zeitgemäßen Umgang miteinander auf Tanzveranstaltungen ist es also so eine Sache. Der gendermäßige „Traditionalismus“ in den Milongas wird nach meiner Wahrnehmung von vielen Tänzerinnen (ich leg’ mich jetzt nicht auf Prozentsätze fest) auch deshalb so erstaunlich geduldig hingenommen, weil sie sich ein wenig vom Emanzipationsstress des wirklichen Lebens erholen möchten und bis in die Kleidung mal wieder „richtig“ Frau sein wollen.
Diese Gleichmut schwindet jedoch oft mit jeder Tanda, die sie zum Zuschauen verurteilt sind. So ist zu einem guten Teil die wachsende Zahl führender Frauen zu erklären. Aber um ihr Schicksal (sorry, großes Wort) selbst in die Hand zu nehmen, brauchen sie keineswegs aus der tänzerischen Rolle zu fallen. Aber ihre soziale Rolle in der Milonga zu modifizieren ist schon nötig: Also, nicht warten, bis einer von uns Jungs sie auffordert, sondern selbst die Initiative ergreifen! Ob das per Cabeceo am besten klappt oder es doch besser sein könnte, ein gepflegtes Wort zu wechseln – das überlasse ich der sozialen Intelligenz der Betreffenden. Sie müssen schließlich mit den Folgen klar kommen.
In den Queermilongas, von denen „Quotenfrau“ berichtet, war die Aufforderungslage aus weiblicher Sicht jedenfalls erheblich entspannter als in den klassischen Veranstaltungen. Daran könnte, nein, sollte sich die Mehrheit der Szene ein Beispiel nehmen. Um es klar auszudrücken: Nicht nur die Frauen sind gefragt. Auch wir Männer müssen unser Verhalten verändern. Ohne Konflikte wird das nicht abgehen. Na und?
(*) Ein treffenderes, vor allem aber kürzeres Wort fälllt mir nicht ein.
(**) Nora und Dieter Schäfer-Elmayer, Der Elmayer, Gutes Benehmen immer gefragt, Paul Zsolnay Verlag, Wien/Hamburg, 1969 und 1982, hier: S. 125ff.
3 Comments
Die Diskussion geht ja ziemlich am Problem vorbei. Natürlich sollen Frauen auch auffordern. Nur ist das keine Lösung gegen Mangel an Männern – da sollte sie sich fragen warum sie alleine gekommen ist. Und nicht gegen Mangel an Führenden – da sollte sie sich fragen, warum sie nicht führen kann.
Was praktisch passiert, wenn unter den Damen ein Hauen und Stechen einsetzt, ist doch dass erstmal die liierten Tangueros aus der Milonga-Konkursmasse gezogen werden. Und die anderen werden schnell merken, dass sie in der Zwickmühle stecken, entweder ihre bevorzugten oder irgendwelche Damen zu verärgern … und dazulernen.
Natürlich sind die Damen auch aktiv, keine Frage. Und die Form der “Verabredung zur Tanda” kann vielfältig sein, zumal der Cabeceo bei Kurzsichtigkeit und gut versteckter Brille im großen Saal zum Zuschauen zwingt. Nur unaufdringlich muss es sein und höflich, gerne auch unwiderstehlich charmant, und das gilt auch für ein Nein. Alle entscheiden selbst, wann, mit wem und warum sie tanzen.
Tango-Regeln sind zum Spielen da, so verstehe ich sie jedenfalls. Schließlich kommt ja niemand zu Schaden, wenn man oder frau sie gelegentlich “verletzt”. Cabaceo mag ich, nur nicht auf große Entfernung – Stichwort: Kurzsichtigkeit. Ein Mann, der sich angegriffen fühlt, wenn er charmant angelächelt (oder auch angesprochen) zu werden, nun ja, fragt sich, ob es ein Verlust ist, auf eine Tanda mit ihm zu verzichten ;).