Ich bin zwar kein Experte. Aber ein wenig mehr als die meisten TänzerInnen in meiner persönlichen Umgebung weiß ich schon über Tango. In den verschiedenen Phasen meines musikalischen Geschmacks hat es mir nie gereicht, nur zu hören. Ich wollte immer auch etwas wissen – über die MusikerInnen, die ich mochte, ihre Geschichte, die Einflüsse, denen sie unterlagen (oder die sie ausübten). So hat sich eine kleine Bibliothek angesammelt. Neuerdings sind es nicht nur, aber vor allem: Adressen im Netz. Ich stöbere darin wegen der Informationen, die sie vermitteln. Aber am schönsten ist es, wenn sie auch Spaß machen. Ich warne gleich: Ich kann kein Spanisch. Doch Ihr müsst Euch damit abfinden, dass die meisten Quellen auf Englisch sind.
Beginnen will ich mit drei Blogs, von denen leider nur einer regelmäßig bestückt wird:
TOMAS KOHL ist (jedenfalls für mich) noch ziemlich frisch in der Szene https://tomaskohl.com Der Prager DJ veröffentlicht und erläutert jede Woche eine Tanda und hat darüber hinaus die zeitgenössischen Tango-Orchester im Auge. Allein dies ist schon ein so großes Verdienst, dass ich ihm glatt seine Abneigung gegen Osvaldo Fresedo nachsehe, den ich überaus schätze. Dabei arbeitet Tomas durchaus journalistisch aktuell. Die neue CD von MARISOL MARTINEZ etwa, der früheren Sängerin des ORCHESTA ROMANTICA MILONGUERA, hatte er schon einen Tag nach ihrer offiziellen Vorstellung im SALON CANNING in B/A verarbeitet.
Musikalisch differenzierter, als ich ich bis ins letzte zu verstehen in in der Lage bin, analysiert er die Stücke seiner Wahl (oder eben Nicht-Wahl) für eine neue Tanda. Faszinierend finde ich, wie Tomas uns exemplarisch an der Feinarbeit eines DJ teilhaben lässt.
Der zeitgenössische Tango jeder Art ist die Spezialität von ARNDT BÜSSING, der nicht weniger von Musik versteht als Tomas Kohl: Auf seiner Site veröffentlicht der Musiker und Theologe ausschließlich Rezensionen neuer Tango-CDs in englischer Sprache. http://tangoreviews.blogspot.com. Ich kann’s nicht leugnen, auch “Angel y Diablo” ist dabei, die CD meiner Tochter LAURA OETZEL und ihres Partners DANIEL MATTELE. Ich schau immer Mal wieder bei ihm nach, ob es eine Neuerscheinung gibt. Und ich kann mich drauf verlassen, dass er nicht nur “brave” Coverbands bespricht, sondern auch alles mögliche herrlich schräge Zeug – etwa vom ORCHESTA ATIPICA TANGORRA. Den Lesern der TANGODANZA ist Arndt übrigens auch als Verfasser kompetenter Besprechungen in deutscher Sprache bekannt.
Ein originelles Format hat der musikalisch ganz anders gestrickte LUIGI SETA entwickelt. In seinem zweisprachigen Blog (Spanisch und Englisch) präsentiert er klassische Tangos mit Übersetzungen. Darüber hinaus stellt der DJ, geboren in Buenos Aires, die beteiligten Orchester und ihre Musiker kurz vor. Dazu zeigt er jeweils ein Tanzpaar, dessen Interpretation er für vorbildlich hält. http://www.tangobythesea.com
Seine Site enthält noch weitere Abteilungen. So stellt Luigi unter Überschriften wie “Wertvolle Erinnerungen” oder “Ewige Liebe” komplette Tandas zusammen. Wer mag, kann auch auf dem Handy seine “Pocket-Milongas” nutzen. Genug Stoff also für schlaflose Nächte, selbst wenn ich mich nicht aufraffen konnte, tanzen zu gehen.
Nebenbei bemerkt: Der deutsche Kanal 030TANGO, von dem hier ein Stück zu sehen ist, bietet eine Vielzahl aktueller Tanzvideos. https://www.030tango.com Aber auch dieser russische Kanal hat es in sich: https://www.youtube.com/channel/UCCoOxQMnmwZ-jhezbLfSUgQ
Außerdem schätze ich zwei Internet-Formate mit längeren Beiträgen.
TENGO UNA PREGUNTA PARA VOS: Das eine enthält Interviews mit jungen wie alten Größen der Tango Szene – auf Spanisch geführt mit englischen Untertiteln: https://www.youtube.com/channel/UCV6aDwqqS7yTDsp0v_gUkPA Die “Tangodanza” hat kürzlich einen kurzen Auszug aus einem Gespräch mit Chicho Frumboli veröffentlicht, über das ich in meiner Besprechung der Ausgabe 4/2019 berichtet habe. Man muss sich ein wenig Zeit nehmen. Denn anders als der Titel “Tango una pregunta para vos” nahe legt, hat Pepa Palacon nicht nur eine Frage. Die meisten Interviews sind rund eine Stunde lang. Und sie nur über die englischen Untertitel zu verfolgen macht ein wenig Mühe. Aber es lohnt sich. Der bislang letzte in der langen Reihe ist der alte Miloguero “El Chino” Perico. http://kroestango.de/aktuelles/die-neue-tangodanza-ein-streifzug/ Die ehemalige spanische TV-Journalistin, die vor etlichen Jahren als Tango-Touristin nach Buenos Aires gekommen ist, zählt inzwischen zu den Szene-Größen der Stadt. Sie ist auch Gastgeberin einer Milonga und arbeitet als Tanzlehrerin.
ENCUENTRO EN EL ESTUDIO: Das andere Format entführt uns in ein Tonstudio zu Live-Aufnahmen, ergänzt um Interviews: https://www.youtube.com/user/EncuentroenelEstudio TangomusikerInnen sind eher wenige zu finden, aber was für welche: Die Sängerinnen Amelita Baltar und Susanna Rinaldi etwa oder die Bandoneonisten Ruben Juarez und Altmeister Leopoldo Federico. Die Veranstaltung, die einmal den Namen gewechselt hat, wird vom argentinischen Kultusministerium gesponsert. Schaut einfach einmal rein und stöbert. Hier ist die Creme aktueller Latino-Musik zu finden. Der Zauber dieser Begegnungen fängt mich immer wieder ein, auch ohne dass ich Spanisch könnte. Wem zuviel geredet wird – einfach das nächste Musikstück suchen! Hier die aktuelle Liste der KünstlerInnen. https://es.wikipedia.org/wiki/Encuentro_en_el_estudio
Unverzichtbar sind für mit zwei “Institutionen” im Netz:
Todays Tango is... https://www.youtube.com/channel/UCpMCDC6_cQ98mHzo-Yk1KUg/about oder auf Facebook: https://www.facebook.com/groups/627797383984208/ hat der britische Tänzer (nicht nur Tango) PAUL BOTTOMER gegründet und bis zu seinem viel zu frühen Tod ebenso akribisch wie liebevoll gepflegt. Das Format stellt Stücke vor, die entweder an einem bestimmten Tag aufgenommen wurden oder deren Komponisten/Musiker an diesem Datum geboren wurden oder gestorben sind. Die Texte der Lieder gibt es in aller Regel mit einer englischen Übersetzung. Oft hat Paul auch exemplarische Geschichten dazu gestellt. Meistens gibt es obendrein Links zu anderen Versionen aus der Zeit der Epoca d’Oro. Ich finde besonders die Möglichkeit zum Vergleich höchst reizvoll. Die Reihe wird auch nach seinem Tod fortgeführt. Aber ich fremdele seither ein wenig damit – zumal mir Pauls Geschichten fehlen, die immer präzise auf den Punkt formuliert waren.
TODOTANGO: Einen schier unermesslichen Bildungsschatz birgt “Todotango.com” aus Buenos Aires. https://www.todotango.com/english/. Auf Spanisch ist das Angebot noch größer. Dieser Schatz ist ebenfalls über Geburts- und Todestage zu erschließen, aber auch über die Themen einer Vielzahl von Artikeln. Da geht es um die unterschiedliche Rolle der Sänger in den Tango-Orchestern oder die verschiedenen Besetzungen der Orchester im Lauf der Jahre aber auch um Tango und Militär und und und…. Täglich werden Musikstücke angeboten (nicht nur aus den goldigen Zeiten), nicht zu vergessen: Unsern täglichen Carlitos gib uns heute! Ich habe mit dieser Site schon so manche Nacht viel zu lange verbracht. Ich empfehle: Einfach einmal eintauchen und sich treiben lasen… Aber Vorsicht: Suchtgefahr!
Doch ganz ohne die guten alten “Totholzmedien” komme auch ich nicht aus. Ich nutze zwei britische Autoren und eine deutsche Zeitschrift:
MICHAEL LAVOCAH: Wer sich intensiver mit dem Tango beschäftigen will, kommt an ihm nicht vorbei. Der britische DJ ist der unbestrittene Papst, was die Musik aus den goldigen Zeiten angeht. Fünf Bücher hat inzwischen geschrieben. Im Auftakt-Band von 2012 “Tango Stories: Musical Secrets” gibt er einen Überblick über die wichtigsten Tango-Orchester dieser Zeit. Unter dem Titel “Tango Masters” folgten Monografien über die “großen Vier”: Anibal Troilo (2014), Osvaldo Pugliese (2016), Carlos Di Sarli (2018) und Juan D’Arienzo (2019). Ich habe eine ausführliche Besprechung mit Videos über diesen Titel verfasst. http://kroestango.de/aktuelles/der-rolling-stone-des-tango-revisited/Alle sind in seinem eigenen Verlag erschienen: MILONGA PRESS. Einige sind in andere Sprachen übersetzt. Besonders wichtig ist dem Autor Deutsch, weil er hierzulande (sicher zu recht) den größten Markt vermutet. Die “Stories” und die Bände über Di Sarli und Pugliese liegen bereits auf Deutsch vor. Als neugieriger Mensch hab’ ich mir jedoch stets so schnell wie möglich die englischen Originalausgaben besorgt. Auf seiner Website hat Michael Playlists zu seinen Bücher verlinkt. Ich empfehle besonders die “Tango Stories” Hier können sich interessierte TangotänzerInnen auch mithilfe von Playlisten zuverlässig durch die goldenen Zeiten des Tango geleiten lassen. Die Monografien über die “großen vier” sind eher etwas für DJs und andere Spezialisten. http://www.tangomusicsecrets.co.uk
Die Spezialisten-Warnung gilt besonders für die überbordenen Analysen einzelner Stücke, Für meine Bedürfnisse wären da weniger mehr gewesen. Ich hab dennoch in alle zumindest hineingeschaut – weil ML dazu neigt, auch hier einige der Anekdoten zu verstecken, die mich besonders interessieren.
DAVID THOMAS: Wenn ich nach einer Buchempfehlung für “NormaltänzerInnen” gefragt werde, nenne ich dennoch einen anderen Autor. Mag Michael in seinem enzyklopädischen Wissen unübertroffen sein, eins ist er gewiss nicht: Ein Systematiker.
Deshalb empfehle ich David Thomas mit seinem Buch: GETTING TO KNOW: TWENTY TANGO ORCHESTRAS. https://tango-journey.com/the-book/ Hier findet Ihr auch hervorragend ausgesucht Playlists. Der Autor scheut nicht vor holzschnittartigen Einordnungen zurück: Je fünf Orchester zählt er unter die Einfachen, die Rhythmischen, die Lyrischen, die Komplexen. Klar gegliedert sind auch die einzelnen Kapitel. Sie enthalten Abschnitte über die persönliche Geschichte der Bandleader, ihre Musiker, ihre Sänger und nicht zuletzt die “Signature Sounds” – den spezifischen Klang also, an dem ein Orchesta Tipica zu erkennen ist. Man kann also durchaus von einem Lehrbuch sprechen. Den Vorwurf grundlegender Fehler habe ich im Netz nicht gefunden, obwohl es sicher den ein oder anderen Einwand geben mag. Hier die Playlists: https://www.youtube.com/channel/UCyiAkTmWwRYDhFJReJ63s6A/featured
So, hiermit verlassen wir den englisch-sprachigen Sektor. Wir kommen zu einer deutschen Zeitschrift und einer Radiosendung:
TANGODANZA: Über diese Zeitschrift brauche ich hier nicht viel zu sagen. Ich stelle ihre neuen Ausgaben jeweils in diesem Blog vor. Zuletzt: http://kroestango.de/aktuelles/tangodanza-goes-greta-ein-streifzug/ Dabei fällt regelmäßig ein besonderes Lob für OLLI EIDYNG ab, dessen Streifzüge durch die Geschichte des Tango aus meiner Sicht keine Konkurrenz zu scheuen brauchen.
Für den Schluss habe ich mir eine Kostbarkeit aufgehoben:
KARIN BETZ: Ein ganz besonders Format kommt ausnahmsweise einmal aus Deutschland. Es handelt sich um eine inzwischen stattliche Sammlung von einstündigen Radiosendungen der Frankfurter DJane Karin Betz. Ich schätze die Sachkenntnis der Autorin, aber auch Ihre Stimme, die “erotisch” zu nennen, ich nicht umhin kann. https://www.mixcloud.com/karin-betz/. Wenn nichts dazwischen kommt, sind die Sendungen alle zwei Monate in einem kleinen hessischen Privatsender zu hören. Ich frage mich, warum sie diese Pretiosen nicht als “Podcast” überregional besser verbreitet. Sie hätten es verdient. Ihre Themen sind bestimmte Orchester oder Sänger, aber zum Beispiel auch: Das Mondlicht im Tango. Meine Empfehlung wiederum: Einfach mal rein hören! Hab noch nicht alle Sendungen geschafft.
Auf Karins Site sind außerdem regelmäßig neue Tango-Übersetzungen zu finden. Ihnen ist anzumerken, dass sie ihren Lebensunterhalt als professionelle literarische Übersetzerin bestreitet. Des Spanischen unkundig, vermag ich die die Korrektheit nicht einzuschätzen. Aber in ihrer Fassung finde ich nicht nur, ich sag mal “Arbeitsübertragungen”, die mir den Sinn eines Tangos erschließen. Nein, es sind Texte von eigener literarischer Qualität. Ich empfehle: Hört Euch einen Tango an und lest parallel ihre Übersetzungen. Im ersten Schritt, vielleicht auch im nächsten. Und dann hört den Titel noch einmal! https://www.panytango.net
So, damit habe ich fertig und wünsche ebenso viel Informationsgewinn wie Vergnügen.