Carlos Gardel – Fotos (3): T. Kröter
Eigentlich hatte ich diesen Blog mit den Erinnerungen an meinen Besuch auf dem Friedhof von Chacarita beginnen wollen. Ein kleiner polemischer Seitenhieb gegen jene Aficionados, die den Tango so gern auf die Musik der Toten reduzieren. Hier sind die Grabstätten vieler wichtiger Heroen der Tangogeschichte zu finden. Aber dann haben sich einige Erlebnisse mit den lebenden Bewohnern von Buenos Aires und dem lebendigen Tango dort wie hier dazwischen gedrängt. Nun habe ich meinen Text über die Begegnung mit den steinernen Zeugnissen der Goldenen Epoche doch noch zu Ende gebracht.
Von Juan d’Arienzo bis Carlos di Sarli sind auf dem fast 100 ha großen Gräberfeld einige der wichtigsten Heroen aus den goldenen Zeiten des Tango begraben. Mit einiger Mühe, der Hilfe meines tangobegeisterten personal Guide Pepe (eine Karte mit den Hotspots des touristischen Totenkults gibt’s nicht) und dessen Auto hab ich immerhin zwei wichtige Adressen gefunden: Den „Rincon de los famosos” und das Grab von Carlos Gardel. (*)
Die Ecke der Berühmten ist eine kleine Insel im riesigen Gräbermeer. Hier stehe ich plötzlich zwischen Grabmalen für Anibal Troilo und Roberto Goeyneche, für Augustin Magaldi und die Gebrüder Julio und Francisco de Caro. Das prächtigste aber ist Osvaldo Pugiese vorbehalten. In einem kleinen Tempel sitzt die steinerne Nachbildung des Don am Flügel. Auf der Tastatur stets eine mindestens halbwegs frische Rose. So eine Blume legten seine Musiker auf seinen Klavierschemel, wenn er wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunisten Parei mal wieder im Knast saß.
Osvaldo Pugliese
Die Gräber von zwei weiteren Granden hab ich nicht aufspüren können – die von Francisco Canaro und Ada Falcon. Die großen Gefühle des zeitweilig schwer reichen Tangounternehmers waren dann doch nicht groß genug, dass er seine Frau verlassen und einen teuren Sacheidungsprozess riskiert hätte. Fast 40 Jahre nach seinem Tod wurde „La Emperatriz del Tango“ nur wenige Meter entfernt von ihrem „El Kaiser“ bestattet graben. Es bleibt einer der schönsten Liebeswalzer der Tangogeschichte. Canaro hat für ihn ausnahmsweise nicht nur die Musik, sondern auch den Text geschrieben: „Yo no se que me han hecho tus ojos“ – Ich weiß nicht, was deine Augen mit mir gemacht haben…
Doch die größte, tragischste, aber aus der Rückschau eben doch glückliche Geschichte handelt von dem Mann, „der dem Tango eine Stimme gegeben hat“, so die Zeitung „La Opinion“, die von der Militärdiktatur (1976 – 1983) verboten wurde: Carlos Gardel. Am 24. Juni 1935 kam der Sänger gemeinsam mit seinem Textdichter Alfredo Le Pera beim Zusammenstoß zweier Flugzeuge auf der Landebahn des Aeropuerto Enrique Olaya Herrera von Evo Medellin in Kolumbien ums Leben. Es hatte der Auftakt zu einer monumentalen Tournee werden sollen. So wurde der Tod zum Beginn eines Mythos. Für ihn steht das in Argentinien geflügelte Wort: „Gardel singt mit jedem Tag besser“.
1917 hat er den ersten gesungenen Tango aufgenommen: „Mi noche triste“. Schier unzählige Kompositionen stammen aus seiner Feder, darunter „Mi Buenos Aires Qerido“, die Ode an seine Wahlheimat Buenos Aires, „Por una Cabeza“, in dem er das vergebliche Werben um eine Frau mit dem Verlust einer Pferdewette vergleich, oder das nostalgische „Volver“. Unter europäischen Tangotänzern sind sind sie eher weniger bekannt – keine Tanzmusik. Soweit sie zu Gitarrenbegleitung aufgenommen wurden, stimmt das sogar. Aber Gardel hat auch Aufnahmen mit dem Orchester von Francisco Canaro gemacht. Der britische Tangoexperte Michael Lavocah (**) hat sie nicht einmal in seine Liste von Canaros Sessions im Plattenstudio aufgenommen. Keine Tanzmusik. Was für ein Unsinn. Ich hab’s probiert. Es geht wunderbar, auf diese Musik zu tanzen. Es bringt nicht einmal Unglück, wie ein argentinischer Aberglaube behauptet.
Carlos Gardels aktuelle Adresse lautet Ecke: Calle 33/Calle 6. Hier steht das wohl ungewöhnlichste Grabmal von Chacarita. Der künstlerische Wert ist ähnlich wie beim „Rincon de los famosos”. Die meisten Menschen habens halt gern pseudolebensecht. „Carlitos“ ist hier in seinem Dienstanzug zu sehen, wie ihn die Fans aus seinen Filmen kennen: Im Smoking. Zwischen Zeige- und Ringfinger der rechten Hand eine Zigarette. Die Fans stecken immer wieder eine frische dazu. Als ich ihn besuche, ist es sogar eine Zigarre. Dazu immer wieder frische Blumen, wie sie auch unter der Gedenktafel an dem Haus bei mir um die Ecke in Berlin-Schöneberg liegen, wo Ende der 1970er Jahre David Bowie eine Zeit lang gewohnt hat. Ein Idol jüngerer Generationen.
Anibal Troilo und Roberto Goyeneche
Aber noch mehr erinnert mich dies Grabmal an Altötting. Unzählige Tafenl mit Widmungen und Danksagung umrahmen den steinernen Gast – wie die Votivtaveln für die schwarze Madonna in dem oberbayerischen Wallfahrtsort, wo sich die Menschen bis heute für angebliche Wunder bedanken. Zu Gardels Spitznamen gehört übrigens „El Morocho“. Der Dunkle. Von ihm ist das Wunder einer Stimme geblieben, über die Enrico Caruso gesagt hat, er habe „eine Träne in der Kehle“. Und der verstand nun wirklich etwas vom Singen.
(*) Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Laura Priori, die gemeinsam mit Andreas von Maxen die Reise einer Gruppe von Tangotänzern nach Buenos Aires organisier hat, an der ich teilgenommen habe. Als Übersetzerin begleitete sie Pepe und mich über den Friedhof.
(**) Michael Lavocah, Tango Stories: Musical Secrets, milongapress 2012, S. 54
2 Comments
Schöner Text. Danke Thomas!
Kleine Korrektur zu einem Buchstabendreher: Das Canaro-Zitat beginnt “Io no se”, nicht ‘Io no es’. Das hieße ‘Ich ist nicht’ … LG
Danke für die Korrektur, lieber Tom