“Ich habe den Geschmack der einfachen Menschen aufgegriffen, indem ich ihre Gefühle interpretierte. Zum Volk zu gehören, ist sehr schwierig. Jeder kann bekannt werden, ohne zum Volk zu gehören. Sich mit den Menschen zu identifizieren, ist ein sehr komplexes Unterfangen.” (1)
Ihm verdanken wir den meistgespielten Tango aller Zeiten – nicht weil er den “Kleinen Straßenumzug” geschrieben oder vom Marsch zum Tango gemodelt hätte. Das eine hat Gerardo Hernán Matos „Becho“ Rodríguez getan. Des anderen hat Roberto Firpo sich angenommen. Fünf mal ist Juan D´Arienzo in seiner mehr als 50jährigen Karriere mit seinem Orchesta tipica und einem Arrangement von “La Cumparsita” ins Plattenstudio gegangen. 14 Millionen Mal wurden die verschiedenen Versionen nach Michael Lavocahs Angaben insgesamt verkauft – unvorstellbar für einen Tango heutzutage. (2)
Doch wichtiger noch für die Bedeutung des Stückes ist, dass er es zu einer Institution gemacht hat. D’Arienzo spielte seinen Superhit zum Abschluss jedes Auftritts – ob in seinem Stammhaus, dem Cabaret “Chantecler” (3) in Buenos Aires, oder anderswo. Die Konkurrenz folgte dieser Sitte. Bis heute wissen Tangotänzerinnen und -tänzer in aller Welt, schon nach den ersten Takten einer der zahllosen “Cumparsita”-Versionen auch anderer Orchester: Feierabend. Schuhe wechseln!
Doch Juan D’Arienzo, dessen Geburtstag sich am 13. Dezember zum 120. Mal jährt, hat noch mehr getan. Er hat den Tango insgesamt im Wortsinn vom Kopf auf die Füße gestellt. Musik zum Tanzen, nicht zum Zuhören. Das Gegenteil dessen, was zwei Jahrzehnte später der Tango-Revolutionär Astor Piazzolla anstrebte, der die Tänzer als “Beine mit Ohren” verspottete. Mit seiner ebenso klar durchgetakteten wie temperamentvollen Art zu spielen, wurde D´Arienzo zum Auslöser jenes “Tango Craze”, den wir heute würdevoll die “Epoca d`Oro” nennen – das Goldene Zeitalter des Tango.
Die Epoca d’Oro war eine Ära des Tanzes und der Massen. Die Musik seiner Band riss die Menschen mit. Die rauschenden Feste von damals sind nur schwer in Einklang zu bringen mit dem berühmten Satz von Enrique Santos Disciepolo, Tango sei ein trauriger Gedanke, den man tanzen könne. Auch die von Anhängern des traditionellen Tango heutzutage propagierte harmonisch kreiselnde Roda vermag ich mir in den riesigen Ballsälen mit tausenden von Tanzenden jener Zeit nicht wirklich vorzustellen. D’Arienzo habe die Trauer in Trotz verwandelt, schreibt Michael Lavocah. Das passt schon eher.
“El Rey del Compas” – “König des Rhythmus” oder besser des Taktschlags, auch wenn das im Deutschen etwas unelegant klingt: Diesen Namen für den Bandleader hat Sanchez Careno geprägt. Der dunkelhäutige Zeremonienmeister des “Chantecler” wurde “El Prizcipa Cubano” genannt. Der kubanische Prinz. Bei D’Arienzo, wenigstens in dieser Phase, gibt es keine Abwechslung zwischen starken und schwachen Beats. Bei ihm sind alle gleich. Stark. Gut zu hören in “Nuevo de Julio”, der erstem Platten-Aufnahme, an der Rudolfo Biagi mitwirkte. Der Pianist mit den “magischen Händen” machte D´Arienzo musikalisch erst zu “dem” D’Arienzo. Der charakteristische Sound entstand Lavocah zufolge an einem Abend in Abwesenheit des Meisters: Die Band hatte ohne ihn geprobt – zur Begeisterung der Belegschaft. Als der Chef den Taktstock wieder übernahm, wurde der Wunsch nach “Nuevo de Julio” laut. Er dirigierte wie gewohnt und bekam zu hören: Nein, spielt es wie vorhin! Konsterniert ließ D’Arienzo die Musiker machen. Und Profi, der er war, übernahm er neuen Stil – nicht nur für diesen Abend. Denn er funktionierte.
Doch er war nicht weniger machtbewusst als Biaggi ehrgeizig. Deshalb brach das Erfolgsduo schon nach drei Jahren auseinander. Als bei einem Auftritt der Beifall für das Spiel des Pianisten im Stück “Lagrimas y sonrisas” nicht enden wollte, lüpfte er kurz seine Kehrseite vom Klavierschemel und deutete eine Verbeugung an. Das war’s. D’Arienzo trat hinter ihn und flüsterte ihm ins Ohr:
“Ich bin der einzige Star in diesem Orchester. Du bist gefeuert.” (4 )
Der Kontrast zwischen diesem “Tango nuevo” a` la Biaggi/D’Arrienzo und der bis dahin überwiegenden Spielweise war exemplarisch an einem Ort zu erleben. Denn das “Chantecler” hatte 1924 mit Julio de Caro eröffnet, der auch aus heutiger Sicht als eher intellektuell gilt. Er legte Wert darauf, dass Tango vor allem Musik ist. Für D’Arienzo stand dagegen der Tanz im Vordergrund. Und: “Während einige Orchester schöne Musik” gemacht hätten, schreibt Lavocah, habe D’Arienzo sie “recia” haben wollen. Zu Deutsch: Rau und ein bisschen schmutzig.
Sein Sound habe “die Natur des Großstadtlebens seiner Zeit widerspiegeln” sollen, schreibt Lavocah. Das aber sei hart gewesen, egal ob jemand arm war oder reich. D’Arienzo habe das nicht durch Liedtexte ausgedrückt, “sondern durch seinen Sound. Das ist das Geheimnis im Herzen seines Erfolgs.” (S. 16, Seitenangaben aus dem Buch, Übersetzung von mir.) Seltsam, zwei Jahrzehnte später wird der ganz anders gestrickte Tango-Revolutionär Astor Piazzolla seinen radikal neuen Sound ähnlich: Großstadtmusik.
Aber wer schafft es, ein halbes Jahrhundert lang ein Neuerer zu bleiben? Mitte der 40er Jahre begannen wieder andere Musiker, Ton und Takt anzugeben. Die Tango-Fans schienen aus der Puste gekommen zu sein. Die Orchester spielten langsamer, melodiöser. Die Arrangements wurden komplizierter. Doch als wahrer “Volksmusiker” behielt der King seine Nase für die musikalischen Trends der Zeit und den Geschmack des Publikums. Er mäßigte seine Schärfe, wurde ebenfalls langsamer, melodiöser. Wir finden Stücke in seinem Repertoire, von denen MIchael Lavocah, sagt, sie passten mindestens so gut zu Anibal Troilo wie zu ihm. Das gelte nicht zuletzt für den Sänger Hector Maure, der 1940 zum Orchester stieß. (S. 116)
Juan D’Arienzo verfügte nicht nur über ein nahezu untrügliches Gespür für den Publikumsgeschmack. Er hatte auch immer wieder Glück. Denn die richtigen Musiker verließen ihn zur rechten Zeit, einmal sogar das komplette Orchester. Der Bandleader ersetzte sie immer wieder instinksicher durch “zeitgemäße” Nachfolger. So nahm an Biaggis Stelle Fulvio Salamanca auf dem Klavierschemel Platz. Hector Varela, Nr. Eins der Bandoneon-Section, schrieb die prägenden Arrangements – eine Kunst die der Maestro nicht beherrschte.
1950 wandelten sich die Tango-Zeiten erneut und die Spürnase D’Arienzo mit ihnen. Passenderweise machte sich sein treuer Adjutant Hector Varela selbständig. Er hatte geholfen, den komplexeren Stil der 40er Jahre zu kreieren. Sein Weggang machte den Weg frei zur aktuellen Mode: Wieder kräftiger und einfacher. Back to the 30s! An seine Stelle trat Carlos Lazzari. Eine Empfehlung Francisco Canaros. Nicht nur Anibal Troilo hatte sich vergeblich um den 25jährigen bemüht. Bis zu dessen Tod sollte er D’Arienzos rechte Hand als Chef-Bandoneonist und Arrangeur bleiben.
Der “Rey del Compass” schaffte es über die Jahrzehnte außergewöhnlich lange, oben zu bleiben – auch in den 1960er und 70er Jahren, als die Popularität des Tango insgesamt nachließ. Lavocah findet einen herrlichen Vergleich:
“Es ist erstaunlich, dass die Band ihre Energie und ihre Popularität aufrecht erhalten konnte, mehr als 30 Jahre nach ihren ersten Erfolgen. Juan D’Arienzos Orchester sind die Rolling Stones des Tango: Die Musiker werden älter, aber sie bleiben agil und rocken die Tanzfläche.” (S. 224)
Michael Lavocah lässt sich davon anstecken. Anders als im Buch über Osvaldo Pugliese (S. 183f), dessen reifstes Repertoire erst nach der Goldenen Epoche entstanden ist, zermartert er sich und uns nicht das Hirn, ob das denn wirklich noch Tanzmusik sei, was der Meister in diesen Jahren produziert habe. Er nimmt es schlicht als das was es ist: Tanzmusik, die wir bis heute schätzen.
Eine Spezialität Michael Lavocahs sind die mal kürzeren, mal längeren Analysen einzelner Tangos, die er immer wieder in den Text einstreut. Dem Lesefluss tut das für meinen Geschmack nicht unbedingt gut, zumal nicht immer klar wird, warum eine Passage in diesen Analysen steht und nicht im Fließtext. Aber dem Erfolg der Bücher tut das augenscheinlich keinen Abbruch. Am besten finde ich den Autor immer dann, wenn es ihm gelingt, die Analysen mit Beispielen aus seinem schier unerschöpflichen Geschichten-Schatz um das jeweilige Stück zu verbunden. Ein grandioses Beispiel dafür ist sein Text über “Uno”. (S. 137ff) Nebenbei: Gegen die Power-Version des Liedes von D’Arienzo/Maure klingt die Fassung von Anibal Troilo und Alberto Marino in meinen Ohren erstaunlich kraftlos.
Wie lässt sich so ein Buch überhaupt lesen? Ich empfehle, nicht zu versuchen, die Häppchen alle auf einmal zu konsumieren, sondern nur so viel, wie jemand gerade verdauen kann. Die Lektüre kostet Zeit. Denn wirklich Sinn haben die Kommentare nur, wenn wir die entsprechenden Stücke auch hören. Also lieber Mal eine Pause einlegen. Außerdem müssen wir nicht pflichtschuldigst jeden Happen verspeisen. Lieber auswählen! Etwas, das der Autor uns Lesern schon in erheblich größeren Maße hätte abnehmen können. Im Klartext: Die sagen wir: Hälfte der angebotenen Stücke hätte auch gereicht. Aber auch da sind die Geschmäcker sicher verschieden. In meinem Beruf hab’ ich über die Jahrzehnte gelernt: Journalismus heißt (auch) wegschmeißen Können, oder vornehmer: Weglassen! Dafür vermisse ich einen kurzen biografischen Abriss, wie er in anderen Bänden der Reihe enthalten ist.
Auf der Suche nach Videos, die das Orchester zeigen, bin ich immer wieder auf den Canal 4 in Montevideo gestoßen. Meist stammen die Aufnahmen aus dem Jahr 1964. Deshalb gibt es nichts von D’Arienzo mit Hector Maure als Sänger. Dafür hier ein Stück, das wir normalerweise nicht mit dem “Rey del Compas” verbinden. Vielmehr gehört es zu den Signature Songs von Osvaldo Pugliese. Osvaldo Ramos kann zwar nicht ganz mit Jorge Maciel mithalten. Aber ich finde es interessant, wie D’Arienzo und sein Sänger ihre eigene Art von Pathos a l`a Pugliese präsentieren.
Zum Schluss noch ein paar nicht ganz systematische Bemerkungen zu eher skurilen Seiten des “Rhythm-King”: Zu Juan D’Arienzos Spezialitäten gehörte eine, nun ja, sehr expressive Art des Dirigierens. Er fegte vor seinen Musikern hin und her wie Mick Jagger über die Bühne. Auf Youtube sind ein paar Beispiele überliefert. So habe er sein Orchester erst richtig hochgepeitscht, heißt es. Aber insbesondere Sängern gefiel es nicht immer, wenn er ihnen grimassierend mit dem Zeigerfinger vor der Nase herum fuchtelte.
Der selbstbewusste junge Mario Bustos wehrte sich auf höchst eindrückliche Weise. Er biss den Maestro in den Finger. Live im Fernsehen – wovon ich aber leider kein Video gefunden habe. D’Arienzo rächte sich verbal. Kurz darauf mischte er sich nach der ersten Strophe in den Bustos-Hits “No te quiere mas” (Ich liebe Dich nicht mehr) ein und sagte auf offener Bühne ins Mirophon: “Ni te puedo ver” (“Ich kann’s nicht mehr ertragen, Dich zu sehen”) (S.191) . Stammsänger Alberto Echague dagegen ließ ich nicht irritieren. Am schönsten finde ich eine TV-Aufnahme mit der Sängerin Mercedes Serrano. Einmal kurzfristig als Gast engagiert, ertrug sie das Spektakel mit einer amüsierten Gelassenheit, die mich an Angela Merkels Umgang mit einigen exaltierten Politiker-Kollegen erinnert.
Amüsiert hat mich auch D’Arienzos erster längerer Auftritt in einem Film. Er zeigt ihn während einer Eisenbahnfahrt seine Musiker und einen Frauenchor dirigierend. Der Clip dokumentiert nebenbei, dass die Welt des Tango in dessen Blütezeit keineswegs so eine Monokultur war wie heute in den einschlägigen Milongas.
Wegen seiner Flug- und Reiseangst schlug D’Arienzo selbst die luxuriösesten Angebote des japanischen Kaisers aus, nach Tokio zu kommen. Nicht einmal ein Flugzeugträger schien ihm sicher genug. Also ließ er sein Orchester allein fliegen und unter Leitung seines Pianisten Juan Polito spielen. Er posierte nur auf der Gangway für das Coverfoto der anschließend veröffentlichten Schallplatte. “Lavocah: “Näher ist er Japan nie gekommen”. Aber publicitybewusst wie er war, machte er nach der Rückkehr seiner Musiker bei einem musikalischen Scherz mit. Alberto Echague sang in einem uruguayischen TV-Sender einen Teil seines Liedes “Mi Japon” auf japanisch und D’Arienzo stimmte am Schluss ein “Sayonara…”
Für Leser, die es gern kurz mögen, hat Michael Lavocah eine kommentierte Liste mit charakteristischen Stücken quer durch die Jahrzehnte zusammengestellt: “D’Arienzo in zehn Tangos (und einer Milonga)” (5)
Fazit: Juan D’Darienzo ist auch nach dieser lehrreichen Lektüre nicht mein Liebling unter den Meistern aus goldigen Zeiten. Aber mit seinen Anregungen zum genaueren Hinhören hat mir das Buch geholfen, ihn besser zu schätzen als zuvor. Das gilt erst recht für die “Cumparsita”. Denn da ich selten bis zum Ende einer Milonga bleibe, hab’ ich sie fast nie bewusst und sorgfältig wahrgenommen. Das war ein Fehler. Denn es lohnt!
Als Nachtrag noch ein kräftiges “Prost!” Der größte Hit von Armando Laborde mit Juan D’Arienzo hieß: “De Puro curda” – der reine Rausch. Darin schreibt Textdichter Abel Aznar, der auch hoch seriös mit Osvaldo Pugliese zusammengearbeitet hat: “Ich trinke, weil ich es mag, einfach um betrunken zu werden.” Eine großartige kraftvolle Performance von Laborde. Das Stück kam 1969 heraus. Argentinien steckte tief in einer wirtschaftlichen und politischen Krise mit zum Teil blutigen Auseinandersetzungen. Der große Volksmusiker D’Arienzo hatte wieder einmal den Geist der Zeit getroffen. Michael Lavocah aber ist entsetzt (******) : “Ist der Tango so weit gekommen?” Ja, er war es – weil offenbar viele Menschen meinten, sich nur noch besaufen zu können. Und der Tango gab ihnen eine zynisch-zornige Stimme.
(*) Ich habe für diesen Text die Monografie von Michael Lavocah hemmungslos ausgeschlachtet sowie durch eigene Wertungen und Hörtipps ergänzt. Gegenüber der Fassung vom 13. 10. 2019 hab ich ihn geringfügig gekürzt. Tangomasters, Juan D´Arienzo, Milongapress 2019, 300 S.
(1) Das Zitat Juan D’Arienzos hat Michael Lavocah als Motto seinem Buch vorangestellt.
(2) Tangomasters , D’Arienzo S.229. Der kanadische DJ und Tango-Experte “El Espejero” nennt sogar 17 Millionen allein für die Version von 1943. https://elespejero.wordpress.com/2015/07/25/tango-stories-la-cumparsita-and-the-magic-violin-of-cayetano-puglisi/ Laut Todotango hat D’Arienzo das Stück sogar sechs Mal aufgenommen. https://www.todotango.com/english/history/chronicle/90/La-cumparsita/
(3) Zur Geschichte des Hauses: Olli Eyding, Das Cabaret Chantecler – Aufstieg und Niedergang einer Institution, Tangodanza 1/2019
(4) D’Arienzo, S. 31f und 79f.
(5 ) D’Arienzo, S. 228f. Ich hab seine Bemerkungen bearbeitet. In Klammern verweise ich auf die jeweiligen Stück-Analysen im Buch.
(6) Todotango sieht es offenbar nicht anders. Beim Überblick über seine wichtigen Werke unterschlägt es diesen Hit. http://www.todotango.com/english/artists/biography/632/Abel-Aznar/
10 Comments
eine schöne hommage an einen Großmeister des Tango, dennoch mag ich bei seinen Stücken nicht tanzen, sie sind mir zu treibend, zu nervig im Rhythmus und irgendwie alle gleich…selbst zu Cumparsita mag ich nicht tanzen, komme allerdings selten in die Gelegenheit, da ich bei einer Milonga kaum bis zum Ende bleibe.
Dank für Dein Lob, lieber Jürgen. Weil ich’s in Milongas halte wie Du, war ich erstaunt, was für ein interessantes, vielfältiges Stück die “Cumparsita” ist. Und die Version von “Uno” mit Hector Maure hat mich schlicht umgehauen.
Vielen Dank für die Einsicht mit ein paar mir unbekannten Youtubes. Jetzt muss ich endlich Zeit frei schaufeln und mir diese Bücher beschaffen.
Nur weil ich gerade eh zu La Cumparsita recherchiere:
Laut TodoTango ist D’Arienzo sogar sechs mal mit La Cumparsita ins Studio gegangen:
https://www.todotango.com/english/history/chronicle/90/La-cumparsita/
Nicht, dass ich dir die jetzt nennen könnte, aber ich dachte, ich erwähne es mal.
Vielen Dank für den Hinweis. Ich habs in die Fußnoten aufgenommen. Dass Michael Lavocah sich irrt, konnte ich mir bisher nicht vorstellen.
Irre ist menschlich 😉
ich weiß nicht, wer recht hat: Todotango oder Lavocah.Wenn ich nicht irre, nennt keiner von beiden die konkreten gezählten Aufnahmedaten.
Vielen Dank Thomas für diese schöne Ehrung zum 120 Jahrestag seiner Geburt.
Mir ergeht es manchmal wie Jürgen Kühne, dass mir sein sound zu treibend UND langweilig ist. Aber das ist immer Geschmackssache. Gewiss gibt’s viele tolle Aufnahmen, aber verglichen mit Troilo, dessen Orchester mit viel mehr Farbe dank der Synkopen und schöner Streichersätze aufwartet, langweilen viele Aufnahmen.
D’Arienzo ist ein wichtiger Vertreter des Tangos und ich tanze auch ihn manchmal gerne. Aus musikhistorischer Sicht erinnert er mich an jene Musiker, die halt gute Geschäftsleute sind.
Der Vergleich mit Mick Jagger und den Rolling Stones passt gut. Kaum Entwicklung aber viele Hits und gute Verkäufe. Es gibt Leute, die ein gutes Händchen dafür haben. Ich wüsste noch andere Beispiele. D’Arienzo hatte aber auch das Talent gute Musiker an sich zu binden. Dabei sind Biaggi, Varella oder der hochbegabte Salamanca und natürlich einer der besten Baritöne Hector Mauré nur die Bekanntesten.
“Uno” spielt D’Arienzo viel zu schnell. Ein kleines Meisterwerk von Discepolo und Mores – ich entdeckte das Stück bereits vor meinen Tangozeiten und lernte es zu lieben (in der gelungenen 60er Version von Mina). Und genauo rasselt er “Hotel Victoria” oder andere grosse Nummern herunter.
Andererseits find ich die typischen D’Arienzo Stücke wie “El Rey” etc. richtige Tanzflächen Rocker, die auch getanzt werden dürfen.
Auch die Aufnahmen mit Biaggi auf RCA haben noch einen besonderen Charme. Danach ändert sich der Sound und bleibt gleich bis zum Ende.
Auf der letzten RCA – Aufnahme macht der Pianist sogar einen groben Schnitzer, den man als Fehler hören kann. Vielleicht ein Zeichen dafür, aufzuhören. Das Orchester machte ja noch weiter…unter div. Namen.
Die Analysen von Lavocah muss ich mir unbedingt zu Gemüte führen. Da steckt viel Liebe fürs Detail und einige zitierte Aussagen, teile ich auch.
Was die Geschichte des Tangos angeht, würde ich aber D’Arienzo nicht als den “Tanzkönig” küren, wenngleich er sich so gut zu vermarkten lernte. Viele alte Tangos aus den 30ern haben reichlich “Dreck” – wohlwollend gemeint für erdiges Gefühl, Sex und Lebenselixier (ähnlich den Ursprüngen des Rocks).
Es überrascht mich auch, dass er die 60er überstand, wo eigentlich auch in Argentinien die Jugend Beat, Progressiv, Chanson und “interellektuellere” Lieder bevorzugten.
Vielleicht aber hat er seine Mitstreiter einfach nur überlebt. Denn offenbar haben die späten Troilo-Aufnahmen (z.B. mit Goyeneche etc.), wie auch Pugliese die Jungen kaum mehr interessiert. Da waren es doch die späten Beatles, PinkFloyd, Doors oder Bob Dylan etc.
Und die “ewig gestrigen” Tänzer fokussierten auf D’Arienzo.
Epilog:
Nach ein paar fetzigen D’Arienzo – Tandas lade ich jeden Tänzer und Hörer ein, die Eleganz Fulvio Salamancas zu hören, die Virtuosität bestimmter Varella Interpretationen (der später auch wegen seiner kommerziellen Arbeit gerügt wurde) und den wunderbaren Hector Mauré, der uns in der “Post-D’Arienzo”-Ära viele Alben hinterliess mit zahllosen wunderbaren Aufnahmen. Evtl Tangomusik zum Lockdown und einsamen Wintertagen aber mitnichten langweilig.
Wenn ich tanzen will, dann zu Musik, die direkt in den Körper geht (wie z.B. von D`Arienzo und Pugliese) und nicht den Umweg über das Gehirn braucht. Diese Musik höre ich dann lieber auf dem Sofa als auf einer Milonga.
Tänzern vorzuschreiben zu wollen, zu welcher Musik sie tanzen “dürfen” ist so was von übergriffig, ich hoffe Robert ist kein Tango DJ oder Lehrer.
Thomas, danke nochmal für die Würdigung von Juan D`Arienzo`s Werk, welches auch heute noch Musiker inspiriert und von so gut wie jedem zeitgenössischen Ensemble gespielt wird.
Vielen Dank für Deinen Zuspruch, lieber Leo. Schön, dass Du D´Àrienzo u n d Pugliese magst. Das ist ja nicht selbstverständlich. Als Fan des “Don” hab ich den “King” erst spät zu schätzen gelernt – “auf dem Sofa”, als ich ganz viel seiner Musik für diesen Artikel gehört habe. Besonders schön finde ich es immer wieder, wenn jemand auf einen älteren Beitrag stößt, für den ich schon lange nicht mehr auf Facebook geworben habe. Ich wünsche uns allen, dass wir bald wieder vom Sofa runter und zum Tanzen kommen. i