Sie zählen zu den Pionieren des Elektro-Tango: Die Gruppen “Narcotango” und “Otros Aires”. Ihre Gründer Miguel Di Genova und Carlos Libedinsky sind unterschiedliche Wege gegangen. Der eine tritt weiter gemeinsam mit “Otros Aires” auf; der andere hat “Narcotango” aufgelöst und spielt solo in verschiedenen Kombinationen. In Berlin trafen sich die beiden zu einem ebenso überraschenden wie begeisternden Konzert gemeinsam mit dem Pianisten Diego Ramos. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um ein Gespräch mit ihnen zu führen – über Tango, Tradition und Zukunft, über Sicherheitsstreben und Experimentierfreude – und darüber, wie es weitergehen könnte mit den beiden.
Was habt Ihr als erstes gedacht, Carlos und Miguel, als Mona Isabelle vom Berliner “Tangoloft” euch gefragt hat, ob Ihr Lust habt, gemeinsam bei ihr aufzutreten?
Miguel: Meine Antwort war ein spontanes Ja, denn wir hatten schon vorher eine bestimmte Art von Zusammenarbeit. Zwei Wochen, bevor Mona uns gefragt hat, habe ich begonnen, Visuals für eins von Carlos’ Konzerten zu kreieren. Davor sind wir schon auf denselben Festivals gespielt. Deshalb fand ich es ziemlich natürlich – aber sicher fanden das nicht viele Leute. Vorher hatte sicher niemand die Idee für diese Verbindung.
Carlos: Ich fand’s sehr gut. Denn es ist nicht so üblich für Miguel, Visuals für andere Künstler zu gestalten. Aber wir wollten mit einander experimentieren. Ich habe ein Studio in Buenos Aires, wo etwa 30 Leute hineinpassen. Also hatten wir Platz für unsere Arbeit.
Aber das war doch etwas anderes, weil ihr unterschiedliche Rollen hattet – hier der Musiker, dort der Lichtkünstler. Jetzt arbeitet Ihr als Musiker zusammen – nicht wie einige der Großen der Epoca d´Oro als Mitglieder im Orchester eines anderen Bandleaders, sondern gleichberechtigt…
Carlos: Für uns war das alles ziemlich einfach und natürlich. Also, Mona hat immer gern etwas Neues im “Tangoloft”. Nachdem sie uns ihre Idee mitgeteilt hat, haben wir Mails ausgetauscht. Aber das wichtigste war, das wir Diego haben…
Diego Ramos ist der Pianist – der Mann in der Mitte. Er verbindet eure unterschiedlichen, vielleicht sogar gegensätzlichenStilrichtungen. Mit seiner linke und seiner rechten Hand auf den schwarzen und weißen Tasten hat er euch am Zügel.
Miguel: Wenn Du magst, kannst Du es so ausdrücken. Carlos kommt von der Melodie und den Harmonien her. Ich komme vom Rhythmus.
Das ist ein wenig als wenn Paul McCartney “Sympathy for the Devil” spielen sollte und Keith Richards “Let it be”…
(Beide lachen) Miguel: Danke für die Blumen!
Auf jeden Fall mussten zwei verschiedene Stilrichtungen zusammen gebracht werden. Und das gelang mit Diegos Hilfe und eurer geistigen Offenheit.
Miguel: Das hätte nicht jeder Pianist gekonnt. Diego war der richtige, weil er nicht nur den Tango kennt, sondern auch Rock und Jazz und Blues.
Was war das größte Problem bei dieser Stilmixtur?
Miguel: Für mich war es der Gitarren-Part. Denn meine Harmonien, die Harmonien von “Otros Aires”, sind sehr einfach. Carlos ist an sehr viel kompliziertere Harmonien gewöhnt.
Du musstest also ein bisschen arbeiten, MIguel. Hast Du manchmal bereut, dich auf die Idee eingelassen zu haben?
Miguel: Nein, ich war ja vorbereitet.
Carlos: Er hat mir seine Playlist geschickt. Ich hab’ ihm meine gemailt. Zunächst haben wir die Songs herausgesucht, die wir getrennt von einander, und dann diejenigen, die wir gemeinsam spielen wollten.
Miguel: Wir mussten den Eindruck und die Energie der Stücke beider Gruppen verändern, um sie im Konzert zusammen zu bringen.
Bei dem Konzert in Berlin hab’ ich etliche Leute gesehen, von denen ich mich nicht erinnern kann, sie jemals im “Tangoloft” getroffen zu haben. Glaubt Ihr, dass es Euch gelungen ist, die unterschiedlichen Tango-Szenen zusammen zu bringen?
Miguel: Wir hoffen es – weil es notwendig ist. Wenn wir wollen, dass de Tangoszene wächst, brauchen wir beides: Die Tradition und die neuen Sachen. Sonst wird der Tango sterben. Beide Richtungen sind wichtig für seine Zukunft.
Carlos: Aber wir beanspruchen auch, ein Teil der Tradition zu sein. “Otros Aires” und “Narcotango” sind vor rund einem Vierteljahrhundert gegründet worden. Viele unserer Songs sind inzwischen Klassiker. Vor Kurzem habe ich zusammen mit Marino Castro in Italien gespielt – vor allem Stücke aus dem Repertoire von “Narcotango”, weniger aus meinem Solo-Projekt “Fueye”. Mit “Narcotango” haben wir fünf Alben aufgenommen. Die meisten Leute tanzten vor allem zu Stücken aus den ersten beiden. Bei weniger bekannten Titeln, blieben viele sitzen. Das ist gerade in der traditionellen Szene so: Wenn die Leute die Titel nicht kennen, bleiben sie sitze. Ich kann das nicht verstehen.
Nun, die Fans der traditionellen Tango sagen für gewöhnlich: Ich muss ein Stück erst sehr oft gehört haben, ehe ich frei bin, zu dieser Musik tänzerisch zu improvisieren.
Miguel: Seien wir fair: Das Problem sind die Männer! Frauen tanzen zu jeder Musik. Ihnen ist egal, ob sie einen Titel kennen oder nicht – Hauptsache, er gefällt ihnen. Männer gehen auf Nummer sicher. Die meisten müssen ein Stück erst sehr gut kennen, ehe sie sich trauen, darauf zu tanzen.
Carlos: Bei meinem letzten Besuch in Buenos Aires, habe ich auf Veranstaltungen gespielt, in denen Tango und Kontaktimprovisation gemischt wurden. Dort habe ich mich frei gefühlt, alles zu spielen, was ich wollte. Die Tänzerinnen und Tänzer lassen sich unmittelbar ein auf die Musik, die sie gerade hören. Sie erwarten nichts Bestimmtes von den Musikern Sie sagen: Gebt uns Eure Musik, dann kriegt Ihr unseren Tanz!
Miguel: Manche Menschen, die Sache einfach zu ernst. Es geht doch nicht darum, ein Flugzeug zu steuern. Ihr müsst bloß tanzen!
Berühmte Maestros in der internationalen Tango-Show-Szene tanzen sogar zu Musik klassischer Komponisten wie Claude Debussy. Man kann das auf Youtube sehen. Aber selbst ein Nuevo-Tänzer wie Chicho Frumboli meidet den Electrotango.
Miguel: Früher hat er dazu getanzt. Heute nicht mehr.
Könnt Ihr mir diese Abstinenz erklären?
Carlos: Keine Ahnung. Es ist mir ein Rätsel. Um es zu lösen, musst Du die Maestros fragen.
Vielleicht tanzen sie auf Musik, von der sie annehmen, dass sie ihrem Publikum gefällt.
Miguel: Ich für mein Teil kann nicht verstehen, warum Menschen immer zu derselben alten Musik tanzen möchten. Aber ich vermute: Es geht um Sicherheit. Und was die Profis angeht: Vielleicht müssen wir auf eine neue, jüngere Generation warten.
Carlos: Nach meiner Beobachtung stößt der Traditionalismus an eine Grenze. In den Milongas gibt es gibt es inzwischen so viele Menschen, die außerordentlich verschiedene Musik mischen. Es gibt mehr und mehr Neolongas – einige sogar in Buenos Aires.
Aber ich sehe viele jungen Tänzerinnen und Tänzer, die ausschließlich Musik des Goldenen Zeitalters bevorzugen.
Miguel: Vielleicht liegt das an ihren Lehrern. Was die sagen, halten ihre Schülerinnen und Schüler für Tango.
Carlos: Aber manchmal sind es Musiker wie wir, die sie beim Tango halten – weil sie nicht dauern dieselbe alte Musik hören wollen, oft auch in schlechter technischer Qualität. Ich höre immer wieder: Ich konnte nur wegen Deiner Musik mit dem Tango weitermachen. Das lässt mich hoffen.
Vor einigen Jahren war es üblich, dass aufgeschlossene Menschen in ihren Milongas zwischen Tango und Non-Tango unterschieden. Heute sagt Elio Astor, der König der Neo-Szene: Neo-Tango ist jede Art von zeitgenössischer Musik, zu der sich in Tango-Umarmung tanzen lässt. Was denkt Ihr?
Miguel: Nun ja, wenn die Leute experimentieren wollen, ist das erst einmal okay für mich. Ich finde es gut, weil es die Tänzerinnen und Tänzer freier macht. Musik, die kein Tango ist , in einer Milonga ist für mich okay – solange sie hat, was ich das “Tangogefühl” nennen würde. Aber ich persönlich unterscheide lieber klar: Das ist Tango. Das ist kein Tango.
Reden wir über die Kluft in der internationalen Tangoszene zwischen Traditionalisten und “Neos” – ist sie größer oder kleiner geworden?
Carlos: Dazu kann ich nichts sagen, da ich mit der traditionellen Szene nichts zu tun habe. Wenn ich in so eine Milonga komme, dann macht mich das so… (zögert)
Miguel: … depressiv.
Carlos: Genau!
Wer sind Eure Lieblingsmusiker aus den alten Zeiten?
Miguel: Viele. Denn ich mag es, wenn es in einer Milonga gemischte Musik gibt – alte und neue. Wenn du Namen wissen willst: Osvaldo Pugliese und Astor Piazzolla. Aber am liebsten mag ich die Sänger – an der Spitze: Alberto Castillo und Roberto Goyeneche.
Carlos: Ich fühle mich besonders Anibal Troilo verbunden, dem Bandoneonisten. Von den Orchestern mag ich am liebsten jene, die in einen langsameren Tempo spielen wie Osvaldo Pugliese und Carlos Di Sarli. Die romantischen. Und dann gibt es einen Bandoneonisten, der noch lebt: Dino Saluzzi….
Jetzt hast Du mich bei einer Bildungslücke erwischt.
Carlos: Er kommt von der Folklore und spielt moderne Stücke mit vielen Jazzmusikern.
Aber lass’ mich etwas hinzufügen: Ich möchte mich nicht so lange mit der Vergangenheit aufhalten. Am meisten mag ich, dass wir beide zusammen arbeiten: Miguel und ich. Unsere Musik hat Energien – aber genau das ist ein Vorteil. So haben die Menschen, die uns zuhören…
Miguel: … eine größere Vielfalt.
Carlos: Als Miguel mir seine Playlist für unser Berliner Konzert geschickt hat schnell, habe ich gleich begonnen, mit seinen Stücken zu improvisieren. Ich habe mich ganz umgehend heimisch gefühlt in diesem Material und vor allem: Ich hatte ganz schnell das Gefühl, dass dies kein einmaliges Ereignis bleiben wird. Vor 25 Jahren haben wir eine Revolution losgetreten in unserem Tango – nach 50 Jahren, in denen es keine wirklich neue Musik gab in den Milongas. Jetzt bin ich fest davon überzeugt, dass dieser Tag ein historischer Tag war für unsere Szene.
Vielleicht… aber zunächst könnte man auch sagen: Da schmeißen zwei alte Männer, die schon bessere Zeiten gesehen haben, ihr Zeug zusammen. Wann wir es ein neues Projekt geben – mehr als eine “Top of the pops” von”Narco” und “Otros”?
Miguel: (lacht) Es wäre zunächst mal sehr unhöflich, so etwas zu sagen. Aber zweitens: Wenn Du Dir die Musik in unserem Konzert wirklich genau angehört hast, dann konntest Du etwas mehr entdecken als das “alte Zeug”, bloß in einer neuen Kombination gespielt. Wir haben sogar selber viel Neues in unserer eigenen Musik entdeckt.
Carlos: Unser Konzert hat viel Spaß gemacht. Es war ein großer gemeinsamer Fluss. Es ist uns gelungen, eine Reihe von Songs mit großer Energie zu spielen. Wir suchen immer etwas Neues, das uns frisch hält, wenn wir auf Tour gehen. Unser Konzert war eine Botschaft an die Tangoszene: Da gibt es etwas Neues zu engagieren! Wir haben schon einige Gespräche mit Leuten geführt, die diese Show in ihrem Programm haben wollen.
Miguel: Eine neue Pflanze braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Und vergiss bitte nicht: Carlos und ich spielen verschiedene Instrumente. Wir sind nicht einfach zwei Sänger, Gitarristen oder Bandoneonspieler. Ich schreibe viele Texte… es ist also eine Menge möglich. Als “Otros Aires” mit dem Projekt “Balkan Airs” begann, haben wir unsere Partner nicht einmal persönlich gekannt. Alles ging per E-Mail, und es hat drei Jahre gedauert.
Aber Carlos und Du – ihr kennt Euch doch und habt bereits begonnen, live miteinander zu arbeiten.
Miguel: Ja, aber Carlos lebt immer noch die meiste Zeit in Berlin. Und wir sind in Buenos Aires. Außerdem haben wir beide unterschiedliche Tournee-Pläne. Doch wir müssen ja nicht gleich mit einem kompletten gemeinsamen Album beginnen. Zunächst könnten wir ja mal einen gemeinsamen Song produzieren. Auch große Dinge fangen klein an.
(*) Ich habe zwei Videos bei dem Konzert im Berliner Tangoloft am aufgenommen. Dazu hab ich Youtube-Clips von Künstlern gestellt, die Carlos und Miguel in diesem Gespräch erwähnen. Diego Ramos begleitet regelmäßig den großen Sänger Omar Mollo.
6 Comments
DANKE für das Erschließen dieser vertiefenden Eindrücke von zwei so unterschiedlichen und beide in ihrer Art genialen Musikern, die auf den fruchtbaren Böden von Monas TangoLoft ganz im Sinne von deren floraler Leidenschaft in neuer Kreativität erblühen! Ich habe das als großer Fan beider ja selber ausführlich genießen und ‘vertanzen’ können.
An anderer Stelle beschrieb ich meine spontanen Eindrücke schon als ‘Woodstock-Feeling”, weil es mir vorkam, als würden da plötzlich John Lennon und Mick Jagger im kleinen Kreis zur Hochform auflaufen! Einfach wunderbar, wenn sich “Klassiker” immer wieder neu erfinden und uns schöne Ausblicke schenken auf die neuen Horizonte, die da im Gewell ihres eigenen kreativen Flusses sichtbar werden!
Toll, dass du uns das so anschaulich erschließt !!!
Und aber auch noch als kleines kritisches PS nachgeschoben:
Du bist als jounalistischer Profi an Korrektoren und Redakteure gewöhnt, die verlässlich die kleinen Fehlerteufelchen zum Schweigen bringen, die sich bei all den inhaltsverliebten Schreibern verkleckern. Ich stolpere da in deinen Texten (auch hier und nicht nur im fbKurzgeschreibe) immer wieder und fühle dann ein bisschen ‘Aua’. Wäre toll, wenn du oder eine/r mit Liebe zur Sprachkunst deine Geschenke an uns kurz vor dem Abschicken noch Korrektur lesen würde/st, damit auch die Verpackung stimmig harmoniert mit den Leckerbissen, die du uns servierst! 😘
Ich denke nicht das die Männer ein Problem sind sondern das Sie eines haben und zwar mit dem eigenen Anspruch an Perfektion zum Einen und zum Anderen mit der Angst aus dem Rahmen zu fallen und zum Gegenstand des allgegenwärtigen Gossip und seiner Konsequenzen zu werden….
Die Konsequenz ist doch das nur sehr robuste Naturen sich das trauen… und das gilt auch für DJs…
Auf lange Sicht besteht die Gefahr das der Tango endet weil er sich nicht mehr entwickelt und junge Menschen darin nur noch eine Rückwärts gewandte Lebenseinstellung sehen:
Der Tango endet aber auch wenn auf Neolongas nur noch Non-Tangos aufgelegt werden und das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird.
Jedenfalls wünsche den Beiden allen nur erdenklichen Erfolg mit ihrem Projekt und erwarte spannende Interpretationen vielleicht sogar eine neue Richtung.
J.L:
Genau. Diese Gefahr besteht tatsächlich. Aber als freche Entgegenstellung hänge ich einen Link zum berühmtesten Russischen Ballett an, das just im letzten Winter Tango del Plata in ihr Programm aufgenommen haben (mit Unterstützung einer Argent. Choreographin). Dabei hören wir Musik von Astor Piazzolla, Raúl Garello… Unsere kultur-sensitiven Freunde aus Russland, Japan und China machen es uns vor…
https://www.youtube.com/watch?v=36rDYZ3LQvI
Ich denke auch, die Männer machen’s.
Es gibt ein Buch von Oliver Kent, “Enjoy Getting the Dances You Want”. Der Autor definiert darin vier Kategorien von Tango-Communities. Natürlich sind solche Kategorien nur die Achsen eines Koordinatensystems, die „reinen“ Punkte am Ende der Skala wird man wohl selten finden, sondern eher analoge Werte. Solange man im Kopf behält, daß es viele solcher Koordinatensysteme gibt und es von daher wenig Sinn macht, sich im Klein-Klein über genaue Attributelisten der einzelnen Typen zu verlieren, ist ein solches System nicht nur unterhaltsam, sondern durchaus nützlich, um schnell Informationen auszutauschen.
Wie gut eine Theorie ist, zeigt sich in ihrer Fähigkeit, zutreffende Vorhersagen zu machen. Eine der Kategorien ist „Competetive“, hier geht es um Status, der sich teils aus echter Leistung, teils aus entsprechenden Strukturen und Verhaltensweisen ergibt. In der Summe von selbst Erlebtem, Gelesenem und außer-Tango-Wahrnehmungen wäre Baalin wohl eine Hochburg dieser Spezies. Der Umgang mit „neuer“ Musik, im Sinne von vorher noch nicht eine Million mal gehört, wäre wohl ein recht charakteristisches Unterscheidungsmerkmal von Community-Typen. Status-orientierte High-End-Führende haben statustechnisch gesehen in einer Welt, in der sie quasi in Echtzeit auf unbekannte Musik reagieren müssen, wenig zu gewinnen und einiges zu verlieren. Nicht nur, daß der/die Folgende Schwächen in der Fähigkeit zur echten Improvisation oder bei der Musikalität unmittelbar wahrnimmt – hier könnte man noch auf ein interessengeleitetes Schweigen hoffen. Nur ist das Ganze eben gut von außen sichtbar. Es gibt kaum etwas optisch Peinlicheres als Figurenjockeys, deren Moves sichtbar aus der Musik sind. Auf Basis „no risk, no fun“, können sich wunderbare Momente und sogar, man höre, so etwas wie Lachen auf der Tanzfläche ergeben – das ist aber eher nicht die Welt der Competetives.
Danke für diesen besonderen Beitrag. Da läuft das Brain-Storming in alle Richtungen, weshalb ich evtl. später etwas mehr dazu schreibe. Genial auch das YT von Mariano “Ciccio” und Eugenia aus 2004. Musste zweimal angucken und mein Herz blutetet, hätte ich doch schon viel früher anfangen sollen.
“Wenn die Leute die Titel nicht kennen, bleiben sie sitze. Ich kann das nicht verstehen.” Das kann ich auch nicht verstehen. Vermutlich liegt es an unserem “Professionalisierungswahn”. Die Leute glauben für alles ein “Papier” besitzen zu müssen. Das war in den 40ern, 50ern und 50ern mitnichten der Fall, ob als “Unterhaltungsmusiker”, sonstiger Künstler, TV- oder Radio”macher” oder/und in vielen anderen Branchen. Auch dies wäre ein Thema für sich.
Ich kann die Musik der Autoren mögen oder weniger mögen, aber ich verstehe ihr Ansinnen, dass Veränderung stattfinden muss. Wieder einmal geht leider unter, dass der Tango sich schon seit der späten 50er sich ändert (und nicht erst seit 25 Jahren). Hier vermisse ich just die musikalische Bildung in der Tanzszene, so dass ich gleich zur Frage übergehe:
“Ist Tango (nur) Tanz?”
Persönlich würd ich es verneinen und anders herum formulieren. “Man kann zum Tango tanzen!” Und ich leg noch was drauf: “Man kann zu jedem Tango tanzen!”
Das Zitat, man könne zu fast aller Musik tanzen, will ich nicht in Abrede stellen, jedoch darauf hinweisen, dass Tango eben nicht alle Musik ist. Das ist eine Beleidigung für diese Kultur. Soll sie sterben oder nur noch Folklore sein? Hoffentlich nicht.
Noch lebt ein Atilio Stampone, zu welchem ich unlängst auf FB geschwärmt habe. Noch lebt ein José Colangelo…und noch haben wir Aufnahmen aus den letzten fünf Jahrzehnten und viele junge Musiker aus Argentinien und aller Welt, die den Tango tragen. Geben wir ihnen eine Zukunft. UNO-Weltkulturerbe? Wie bewahrt man eine Kultur? Indem man sie ins Gefrierfach legt?
Wir brauchen nicht andere Musik zum “Tango tanzen”. Wir brauchen Tango, zu welchem wir gerne Tanzen. Wir lieben Tango, genauso wie wir Jazz, Bossa Nova oder Bulgarische Volksmusik lieben. Ich möchte in Rom nicht Moussaka essen, noch in Athen eine Curry-Wurst und auch nicht in Rostock eine Pizza 🙂 Vielfalt ist nicht ubiquitärer Einheitsbrei.
https://www.youtube.com/watch?v=8sfGgIJCl7k&list=OLAK5uy_lABMsfullAt1cRUbFO6AFmWMI52HfjGyI&index=6
https://www.youtube.com/watch?v=vN0A66k3_JE&list=PLCcdnnkEBmJ0b4nZkzI73n1kzKE-oXTvd
Tolles Interview, wirklich! Da könnte man einen ganzen Roman dazu schreiben. Ich tanze zwanzig Jahre und versuche mich von dem Figurenworkshop-Wahn fern zu halten, denn das bestätigt nur das hier erwähnte, dass wir Tango als Ausdruck der Leistungsgesellschaft verstehen, dabei soll es doch den Ausbruch gewährleisten. Und dann noch insbesondere die Berliner Szene, in der man sich gerne selbst feiert – wofür denn?
Eine Anmerkung zur Qualität der alten Aufnahmen: Hier sehr klar dargestellt, dass sie häufig von mieser Qualität sind. Neulich in der Strandbar: DJ einer der Urgesteine der Berliner Tangoszene. Die Qualität der Clips? Unterirdisch! Das interessiert den Mann aber nicht, immer schön weiter spielen, wie wenn das dazu gehören würde!
Dagegen in München bei einem befreundeten DJ: Immer der Versuch, die Klangqualität auf das bestmögliche Niveau zu heben. So muss es sein, denn…Tango wird nicht dadurch traditionell und legendär, dass man es in miserabler Klangqualität wiedergibt! Auf dem Grammophon!
Im Goldenen Zeitalter waren da Live-Orchester. Da war der Klang ein völlig anderer. Da war ein einmaliges Ereignis von Musik, Tanze, Klang an einem Ort. Man muss nicht so weit wie Celibidache gehen, der verboten hat, seine Musik zu konservieren aber man muss verstehen, dass das man als DJ auch eine Verpflichtung der Musik gegenüber hat, in einer Milonga den Klang zu optimieren. Zu glauben, nur weil etwas knisternd aus der Anlage gespuckt wird, es sei die Tradition, das ist in meinen Augen ignorant!