Caroline Roling und Jürgen Kühne präsentieren eine neue Zusammenstellung ihrer Bilder aus der Welt des Tango an einem ebenso eindrucksvollen wie ungewöhnlichen Ort: In der Kulturkirche St. Blasii in Quedlinburg. Hier sind sie noch bis zum 14. Juni zu sehen. Die beiden hatten mich gebeten, auf der Vernissage am 3. Mai eine doppelte Einführung zu halten – in ihre Kunst, aber auch in den Tango. Die beiden Texte richten sich an ein Publikum, das normalerweise wenig bis nichts mit unserem Tanz zu tun hat. Ich dokumentiere sie hier in gekürzter und geringfügig überarbeiteter Fassung. Dazu eine bewegte Bilderschau mit Musik, die Jürgen Kühne montiert hat.
Malen und Tanzen haben vieles gemeinsam
Als Maler sind Caroline Roling und Jürgen Kühne es gewöhnt, unsere dreidimensionale Welt in ihren zweidimensionalen Bildern festzuhalten. Wenn es um Tanz geht, kommt eine dritte Dimension hinzu: Bewegung. Auch große Maler sind, ich sag mal vorsichtig: oft nicht besonders gut darin, Bewegung zu dazustellen. Von Emil Nolde, über den gerade aus anderem Grunde debattiert wird, gibt es einen Zyklus aus dem Berliner Nachtleben. Mit vielen Tanz-Szenen. Schöne noldesche Farben. Nur eins fehlt: Bewegung. Die Bilder wirken statisch.
Ich hoffe, mein (zugegeben) sehr hoch gegriffener Vergleich ist kein Danaer-Geschenk für Caroline und Jürgen. Aber diese beiden können Bewegung. Als Tänzer auf dem Parkett und mit Pinsel und Farben auf der Leinwand. Für mich hängt ihre Darstellungsfähigkeit damit zusammen, dass sie tanzen. Sie kennen die Bewegung nicht nur von außen, wie Emil Nolde oder andere Maler. Sie wissen, wie der Tango sich anfühlt. Von innen. Das hilft bei der äußerlichen Darstellung tanzender Körper.
Aber der argentinische Tango ist ein ganz besonderer Tanz. Deshalb geht es den beiden nicht nur um die Bewegung auf dem Parkett. Genauso wichtig ist die Atmosphäre. Die kann in einem intensiv ein- oder durchgetanzten Schuh nach zu empfinden sein. Oder in den über einander geschlagenen Beinen einer Frau, die auf den nächsten Tänzer wartet.
Die beiden malen zwar jeder auf seine oder ihre Weise gegenständlich. Aber nach meinem Verständnis ist es kein klassischer Realismus, den wir zu sehen bekommen. Caroline Roling und Jürgen Kühne zeigen uns stilisierte, typische Situationen von der Tanzfläche und ihrer Umgebung. Sie nehmen uns mit auf eine Reise ins Tango-Land.
Malerei und Tanz, so wie sie sie verstehen, haben übrigens mehr gemeinsam als Laien sich das zunächst vorstellen. Ich kann das nicht besser ausdrücken, als Jürgen Kühne das im Gespräch mit mir getan hat:
„Du stehst vor der leeren Leinwand. Du hast Dein Handwerkzeug: Pinsel, Farben. Du hast Deine Phantasie und einen Plan. Wenn’s gut geht. Aber der Pinsel will nicht immer so, wie Du willst. Mal saugen die Borsten mehr Farbe auf, mal weniger. Mal wird ihre Mischung zu dick, mal zu dünn. Dann tropft plötzlich etwas dorthin, wo es nicht sollte. Das kann Deinen Plan verändern. Wenn Du Glück hast: Zum Besseren. “
Die TänzerInnen haben normalerweise nicht Freiheit, wie Caroline und Jürgen gleich bei ihren Tango-Vorführungen haben. Ihre Freiheit wird durch die Freiheit der anderen Tanzenden eingeschränkt. Und so müssen alle Kompromisse eingehen zwischen ihren Empfindungen und den äußeren Möglichkeiten. Wie die Maler durch die Besonderheiten ihres Materials.
Als Tänzer wie als Maler haben die beiden gelernt, die Unzulänglichkeiten der Improvisation nicht als Manko zu beklagen, sondern als Chance zu begreifen. Als Betrachter wissen wir ja – zum Glück nicht, ob und wenn ja was sie an einem Bild lieber anders gehabt hätten. Das macht auch aus meiner Sicht den Charme ihrer Arbeiten aus. Vielleicht bietet es auch ein Stück weit die Erklärung, warum ihre Bilder so lebendig wirken. Nach dem Ausschnitt aus dem Geschehen, den sie festhalten, könnte es weitergehen.
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Der Tango – ein ganz besonderer Tanz
Faszination und Umarmung – so lauten die beiden Leitbegriffe dieser Ausstellung. Aus meiner Sicht beschreiben sie zwei verschiedene Perspektiven, das Thema zu betrachten. Die eine nähert sich ihm von außen. Von der Seite der Zuschauer. Die andere kommt von innen. Von den beiden malenden Tänzern oder vielleicht besser: Tanzenden Malern. Denn sie bearbeiten ja auch noch andere Sujets.
Es gibt wohl keinen Gesellschaftstanz, der faszinierender wäre als der argentinische Tango. Er kann akrobatisch sein wie Rock n’ Roll oder innig wie der Pas de deux aus Schwanensee – auch wenn wir nicht auf der Spitze tanzen. Tangueras, die auf sich halten, tragen allerdings Stilettos, die ihre Füße fast so hoch strecken, die die Ballerinen.
Manche ganz genauen Aficioados sprechen auch vom Tanz von Rio de la Plata, um den Anteil Uruguays nicht zu unterschlagen. “La Cumparsita”, einer der bekanntesten Tangos, stammt zum Beispiel von einem uruguayischen Komponisten: Gerardo Herna´n Matos Rodriguez. Traditionell wird er als letztes Stück einer Milonga, einer Tango-Tanzveranstaltung gespielt. Das Wort heißt übrigens “Kleiner Straßenumzug” und war ein Marsch, ehe der argentinische Orchesterleiter Roberto Firpo ihn durch die Tango-Mangel gedreht hat.
Beigetragen haben dazu jedoch viele Nationalitäten. Argentinien war ein Einwanderungsland. Der besondere Meltingpot: Seine Hauptstadt Buenos Aires. Ein geflügeltes Wort lautet: “Die Mexikaner stammen von den Azteken, die Peruaner von den Inkas, – die Argentinier kommen aus den Schiffen”. Experten werden alle möglichen musikalischen Einflüsse m Tango identifizieren. Ein Grund meiner Meinung nach, der seine Faszination in aller Welt befördert.
Nicht zu unterschätzen ist übrigens deutsche Beitrag. Denn das charakteristische Instrument des Tango ist im tiefsten Sachsen erfunden, später in Krefeld am Niederrhein zur Vollendung gebracht: Das Bandoneon. Man nannte es einst die Bergmannsorgel. Die Kumpel, ob in Schlesien oder im Ruhrgebiet, begleiteten damit ihre Lieder. Die religiösen wie die weltlichen. Aber die letzte Zeche im Ruhrgebiet ist gerade dicht gemacht worden, Bergmannslieder waren schon vorher aus der größeren Öffentlichkeit verschwunden.
Wenn Sie heute ein grummelig bis quäkiges Geräusch mit leicht asthmatischen Nebentönen und seltsamem Geklapper hören, liegen sie fast nie daneben mit der Vermutung: Hier wird Tango gespielt. Manche Menschen finden es kaum weniger nervig als einen Dudelsack. Aber sein Klang hat doch eine erheblich größere Variationsbreite. Den Tango charakterisiert eine spezifische Mischung von Wucht und Wehmut. Die meisten Tangos handeln eher von unerfüllter oder gescheiterter Liebe als von geglückten Beziehungen. Der emotionale, auch sexuelle Überdruck, der sich in den knappen Geschlechterverhältnissen früher Tangozeiten angestaut hat – in der außergewöhnlichen Intensität der Musik kommt er wieder zum Vorschein.
Die Männer, die ihn einst in La Boca, dem Hafenviertel von Buenos Aires (und der entsprechenden Gegend von Montevideo) erfunden haben, waren keine Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer oder Sozialarbeiter, wie die heutigen Tangueros, jedenfalls in Deutschland. Es waren raue, eher ungebildete Gesellen, die ihren Diskurs, wie wir heute sagen würden, schon mal mit dem Messer ausfochten. Manche Experten behaupten, die ein oder andere Tangofigur sei dem Messerkampf entlehnt. Wir dürfen vermuten, dass gerade jene akrobatischen Einlagen, die in Tangoshows das Publikum am meisten beeindrucken, auf diesen Ursprung zurück gehen. In die bessere Gesellschaft von Buenos Aires hielt der Tango erst nach einem kleinen Umweg über Paris Einzug.
Weil Frauen Mangelware waren, nutzten die Herren, die keine waren, häufig jene Damen, die keine waren, und ihren Körper als Ware anboten. Aber nur mit ihnen zu tanzen, wäre für die meist armen Schlucker zu teuer geworden. Deshalb übten sie den Tanz erst einmal unter einander. Von Mann zu Mann. Das hatte den Vorteil, dass die Herren dereinst auch die Damenschritte beherrschten und sie deshalb besonders gut zu führen wussten.
Die Herkunft aus einem gesellschaftlichen Subsystem, in dem ein horrender Frauenmangel herrschte, mag zu einer Zutat führen, die Zuschauer mindestens so beeindruckt wie die Akrobatik. Es ist die Erotik. Das fängt mit der Rollendefinition an: Im Tango ist der Mann noch ein Kerl, die Frau ist ein Weib. In den einschlägigen Filmen und Shows schaut er grimmig entschlossen, sie dagegen verführerisch dahinschmelzend. Das Idealbild der Tanguera erinnerte ein wenig an die – wegen des politisch inkorrekten Wortes – Zigeunerinnen, die bis heute auf schlechten Ölbildern in Trödelläden zu finden sind. Das Bild der Männer erinnert mich an die Toreros auf den Stierkampf-Plakaten früherer Spanien-Urlaube. In Zeiten von “me too” ein politisch höchst unkorrekter Eskapismus – aber womöglich auch ein Grund für die Popularität des Tango in besseren Kreisen. Bis heute.
Womit ich bei der Binnensicht wäre. Tangotänzerinnen und Tangotänzer suchen die Nähe des anderen Geschlechts, oder, falls sie ihm zugeneigt sind, die des eigenen. Als Schweiß treibender Fett verbrennender Ausgleichsport sind Salsa oder die herkömmlichen Standard- und Lateintänze besser geeignet. Tango wird heute meist in enger bis sehr enger Umarmung getanzt. Das war nicht immer so.
Erst hatten die miteinander übenden Jungs keinen Bock, als schwul zu gelten. Später, als der Tango aus den verrufenen Vierteln in die bessere Gesellschaft von Buenos Aires (und Montevideo) vordrang, begleiteten Mütter oder ältere Schwestern die Tänzerinnen in die Milongas. Da tanzten die Paare in halboffener Salon-Haltung. Erst als die Mädels ohne die Mamas zum Schwofen gingen, rückten Männer und Frauen auf dem Parkett enger zusammen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie aufregend ich es fand, als ich zum ersten Mal mit einer fremden Frau in engster Tango-Tuchfühlung tanzte.
Im Lauf der Zeit entwickelten sich soziale Mechanismen, um das erotische Potential des Tango auch in Abwesenheit der Mütter einzuhegen. Dazu gehört unter anderem die Regel, nicht mehr als drei bis vier Tänze am Stück mit demselben Partner zu tanzen. Das ist wohl auch gut so. Denn mit der entsprechend schwülstigen Musik – und davon gibt es viel im Tango – können sich ziemlich schwülstige Gefühle entwickeln. Meine Tanzpartnerin von damals ist übrigens heute meine Frau.
(*) Im vergangenen Jahr hatte ich Caroline und Jürgen ausführlich mit vielen Bildbeispielen in diesem Blog vorgestellt: http://kroestango.de/aktuelles/malen-tanzen-caroline-roling-und-juergen-kuehne/ Wie immer bei der Eröffnung ihrer Ausstellungen haben sie auch in Quedlinburg eine kleine Demonstration des Tango vorgeführt. Die Kirche in Quedlinburg ist übrigens nicht nur wegen der Bilder einen Besuch wert, sondern auch wegen der außergewöhnlichen hölzernen Einbauten.
4 Comments
Merci lieber Thomas Kröter, dein Bericht ist toll geschrieben und enthält für mich interessante Bemerkungen und Ergänzungen vom Tango, den ich seit ein paar Jahren näher kennenzulernen durfte und sehr gerne tanzen mag!
Hier ein Link zu der Cumparsita Interpretation von Chicho Frumboli und Lucia Macer, für mich nach wie vor die Beste, die ich kenne.
http://tango-kurs.com/tangovideo-chicho-frumboli-und-lucia-macer-tanzen-la-cumparsita-die-wahrscheinlich-beste-interpretation-des-wohl-bekanntesten-tangos/
Es erstaunt mich immer wieder, was man aus so einem Karnevalsmarsch machen kann.
Stellt Euch nur mal vor, wie sehr Humbahumba Täterä oder der Narhalla Marsch durch eine Tango-Transformation gewinnen würden : – )
In der jetzigen Zeit bleiben uns vielfach nur noch die Erinnerungen an bessere Zeiten, um sich trotz aller Be- und Einschränkungen einigermaßen zu motivieren und bei Laune zu halten. Das zieht sich durch alle Lebenslagen, die normalerweise dazu dienen sollen, unser Wohlbefinden, wie auch die körperliche und seelische Verfassung zu stimulieren und zu erhalten. Da nimmt es nicht wunder, wenn vergangene Veranstaltungen schmerzlich schon allmählich im Bewusstsein verblassen. Wann war eigentlich die letzte Ausstellung, der letzte Theaterbesuch, die letzte Tangoveranstaltung? Die Blogbeiträge von Thomas Kröter sind dabei eine gute Hilfe, ehemalige Ereignisse im Geiste erneut vorüberziehen zu lassen, auch wenn man schließlich seufzend feststellen muss, wieviel Zeit seitdem schon wieder vergangen ist. Und so bin ich beim Rückblättern auch auf seine einführenden Vorträge zu einer Ausstellung gemeinsam mit Caroline Roling in Quedlinburg gestoßen. Im Rahmen des sog. Festjahres 2019, in dem die Welterbestadt mit einem großen Programm 1100 Jahre Königserhebung von Heinrich I., sowie den 25 jährigen Welterbestatus feiern konnte, mit einer Ausstellung beteiligt zu sein und dann auch noch mit durchaus weltlich-sinnlichen Bildern zum Weltkulturerbe Tango Argentino in den (nicht mehr ganz so) heiligen Hallen einer Kirche, nämlich der zur Kulturkirche umgewidmeten Basilika St. Blasii haben wir als einmalige Gelegenheit empfunden. Als dann Thomas auch noch spontan bereit war, die Eröffnung zu übernehmen, stand dem größen Ereignis nichts mehr im Wege. Die Vorträge zur “doppelten Einführung”, wie er es im Beitrag nennt, sind hier in Vollständigkeit zu genießen und bedürfen keiner weiteren Ergänzung. Nur soviel sei angemerkt, selten habe ich auf einer Vernissage so aufmerksam lauschende Besucher beobachtet, selbst die mehrheitlich anwesenden Tangolaien waren gebannt von den Vorträgen, die die Sachkenntnis eines Tango-Afficionados, kombiniert mit der Wortgewaltigkeit eines Journalisten kurzweilig und mit humorvollen Spitzen reichlich gespickt, aufblitzen ließen. Sein Vortrag wehte, wie von einer Kanzel herab, durch das alte Kirchenschiff und hallte wider als Tango, Tango, Tango von seinen Wänden, um zu beweisen, dass der Tango Argentino noch lange nichts von seiner Faszination verloren hat. Und voraussschauend möchte ich gern sagen, gedenke seiner Worte! Danke Thomas!
Vielen Dank für deine zweifach würdigenden Worte, lieber Jürgen. Aber jetzt bitte Schluss mit der Lobhudelei. Ich möchte auch mal wieder ohne roten Kopf an meinen PC. Eure Bilder helfen immer wieder, die Erinnerung an unseren Tanz wach zu halten.