Lange nichts mehr von meinem Kurztrip nach Buenos Aires erzählt… einer der bleibenden Eindrücke ist die Lautstärke in den Milongas. Und die Stimmung. Nichts von jener Weihe-Atmosphäre, die hierzulande immer wieder zu erleben ist, besonders auf Veranstaltungen, wo man sich um Ronda und Codigos nach transatlantischem Vorbild sorgt. Das alles war beim Auftakt des EMBRACE-Festivals in Berlin nicht der Fall (*). Dafür heizte einer der bekanntesten Tango-Mullahs aus Mekka dem überfüllten Saal ein, was das Zeug hielt: Horacio Godoy – Tänzer und Lehrer, DJ und Entertainer. Er betreibt die legendäre Milonga „La Viruta“ in Buenos Aires.
Einer meiner Tanzlehrer berichtete einmal von einer Wallfahrt, dass der DJ einer Salsa-Party, die nebenan stattfand, um Drosselung der Lautstärke gebeten habe. Horacio machte auch in Berlin seinem Ruf alle Ehre. Dagegen hatte selbst die Haus-DJane einen schweren Stand, die eine zweite Pista mit Electrobeats bespielte. Die heimische Tangoszene und ihre Gäste aus dem In-und Ausland konnten sich also über eine authentische „La Viruta“-Plus-Party freuen. Mein Ding ist das eher nicht.
Ich weiß nicht, ob die Tangomas und -opas, die ich in den Nachmittagsmilongas von Buenos Aires angetroffen habe, des Nachts auch mal bei Horacio reinschauen. In Berlin hab ich jedenfalls noch vor dem ersten Tanzschritt mein Hörgerät deaktiviert. Zu laut war’s für meine Begriffe immer noch. Und zu rummelig. Aber der Maestro liebt das. Er stachelt die Stimmung zusätzlich mit ausholenden Armbewegungen und lateinamerikanischen Nontango-Rhythmen an. Ich werde zwar erst 67 in diesem Jahr. Aber ich hab’s lieber etwas ruhiger.
Das heißt nicht, dass mein Ideal jene „Silent Milongas“ wären, die ich gelegentlich besuche. Dort sind Gespräche verboten. Hier sind sie unmöglich. Irgendwo mittendrin wär’ schön (**). Aber das ist schwer, wenn es um angesagte „Have-to-be-seen“-Veranstaltungen geht. Da schaukeln sich Publikumsgemurmel und Musik gegenseitig hoch zum akustischen Inferno. Ich hab deshalb nur noch eine der größeren Milongas des Festivals besucht – weil mich die in diesem Jahr eher rare Livemusik interessierte.
Beim alljährlichen Musiker-Workshop erarbeitete sich ein international zusammengesetztes Orchesta Tipica diesmal einige Titel von Alfredo Gobbi (***). Selten gespielte, weil komplizierte Musik in heftiger Partystimmung zu betanzen, war eine Herausforderung. Sie anzunehmen hat sich trotz gelohnt, zumal meine nichtberliner Tanzpartnerin mir die Bewältigung auf das Vergnüglichste erleichtert hat. Danach war für mich – wie oft nach beeindruckender Live-Musik – Schluss.
Meine Lieblingsveranstaltungen fanden dennoch abseits des hautstädtischen Tangocircuit statt: Eine halb private Wohnzimmermilonga mit dem Duo Nola der Sängerin Angelika Laitenberger und des PianistenUwe Nowag nebst Texten der Tango-Kolumnistin Lea Martin sowie ein Mini-Flashmob de Luxe, der in einem Oldtimer durch den grünen Südwesten Berlins führte. Drinnen wie draußen gab’s eine sommerlich entspannte Atmosphäre zu genießen – ohne Lärmexzesse und Gesehenwerden- oder Rempelstress. (****) Alle tanzten miteinander – zu Musik, die über klassische und Neotangos hinaus reichte bis zu einem Musette Vals von Georges Brassens und der „Habanera“ aus George Bizets Oper „Carmen“.
Ich weiß, dass die Tangoszene einer Großstadt, zumal im Rahmen eines für sie repräsentativen Festivals, nicht ohne die großen Hotspots auskommt. Sie ziehen schließlich die Gäste von außerhalb an. Ich mache ja auch – schon aus nicht bloß Blog-bedingter Neugierde – meine Stippvisiten, erst recht, wenn eins der großen aktuellen Live-Orchester spielt. Aber mein Tango-Glück erwarte ich eher in dem kleine(re)n Milongas. Davon berichte ich dann gerne allen, die mal wieder dort gewesen sind, wo man/frau gewesen sein muss.
(*) embrace-berlin.de
(**) Ich bin da nicht ganz so streng wie der Münchener DJJochen Lüders – http://www.jochenlueders.de. Dazu gibt es auch eine kleine Diskussion in seiner Facebookchronik.
(***) http://www.todotango.com/english/history/chronicle/484/Orquesta-Tipica-Alfredo-Gobbi/
(****) Die Wohnzimmermilonga „Eat & Read – in Tangofieber“ und der „TangoBus“ sind auf Facebook zu finden. Letzterer gehört auch zum offiziellen EMBRACEprogramm. Drinnen legte übrigens Fridolin Lützelschwab auf, draußen Jens Stuller.
3 Comments
Es hat wohl etwas mit der Himmelsrichtung zu tun. 🙂 Selbst innerhalb Europas wird es Richtung Süden immer lauter. Ich halte es da ganz lapidar mit den entsprechenden Arbeitsschutz-Richtlinien: Bei 80 dB (A) ist Schluss mit lustig – ab diesem (Dauer-)Wert muss Gehörschutz getragen werden. Meine Beobachtung: Gute DJs überzeugen inhaltlich und nicht durch Lautstärke.
Es gab mal in Berlin einen TangoDJ, der reagierte auf zu große Nebengeräusche mit der Drosselung der Musik-Lautstärke. Zunächst war er erfolgreich, aber: Es war einmal. Heute suchen, jedenfalls hier in Berlin, die Musicalisadores ihr Heil eher im Versuch, das Gebrabbel etc zu übertönen. Wieviel 80 dB (A) sind, weiß ich nicht. “Argentinidad” äußert sich nach meiner Erfahrung jedenfalls auch in L a u t stärke. Ich würde allerdings nicht so streng sein. Ich hab schon DJs erlebt, die mir trotz ihrer Lautstärke gefallen. Ansonsten geb’ ich Dir recht, Cassiel, auch wenn ich nicht sicher bin, ob wir dieselbe Musik mögen.
Zumindest Fluglärm ist in Berlinos Aires bis auf weiteres kein Problem. Studie: Sprengung von Flughafen BER würde Bauarbeiten enorm beschleunigen http://www.der-postillon.com/2013/05/studie-sprengung-von-flughafen-ber.html