Dies ist der letzte Teil meiner Reise durch die Berliner Milongas, die für mich wichtig waren. Das kleine Stück Zahlenmagie, das hier zur Sprache kommt, entspringt reinem Zufall. In diesem Jahr wird das Mala Junta 18 Jahre alt. Eine der drei großen Berliner Tango-Schulen. Vor 18 Jahren haben ich mit dem Paartanz angefangen – Standard und Latein. Damals hatte ich mit Tango Argentino noch nichts im Sinn. Im Jahr dieses Jubiläums werde ich 70 Jahre alt und begehe den zehnten Hochzeitstag meiner zweiten (und so mein Plan: letzten) Ehe. Die Feier ihres Beginns fand im Mala Junta statt. Warum ich diesem Text dennoch nicht den gleichnamigen Tango von Julio de Caro vorangestellt habe https://youtu.be/giQFq0Xl6Q4 – verrate ich am Schluss dieses Beitrags.
Ich bin einige Male umgezogen, seit mich mein Job als politischer Korrespondent in Sachen Regierung und Parlament vor mehr als 20 Jahren nach Berlin verschlagen hat. Einer dieser Binnen-Ortswechsel führte mich in die Nähe des “Mala Junta”. So bin ich für eine Weile zum Stamm-Gast geworden, ohne dass ich je zum “Inner Circle”) der schlechten Gesellschaft gehört hätte. Neben der örtlichen Nähe fand ich die Anfangs- und Schlusszeitzeit der wöchentlichen Milonga: Von 20 bis ein Uhr. Das ließ sich mit meinem Berufsleben vereinbaren, obwohl die Veranstaltung mitten in der Woche Stattfindet.
Die “Vielfalt des Tangos”, mit der diese Schule im Untertitel wirbt, habe ich hier allerdings nicht erlebt. Dafür habe ich samstags das Kreuzberger “Bebop” http://kroestango.de/aktuelles/immer-wieder-samstags-bei-thomas-k-im-bebop/ , sonntags das “Tangoloft” im Wedding besucht http://kroestango.de/aktuelles/adios-tangoloft-hasta-luego/ . Im “Mala Junta” wechselten zwar wöchentlich die DJs, aber nicht die grundsätzliche Stilrichtung. Alle durchaus wahrnehmbaren Nuancen beweg(t)en sich im Rahmen dessen, was ich “klassischen Tango” nenne – also Musik, die in den goldigen Zeiten vor dem Ende der 1950er Jahre aufgenommen wurde. Wer eine ausführliche Erörterung des Begriffs der “”Epoca d’ Oro” sucht, schlage im Blog von Klaus Wendel nach. https://www.tangocompas.co/epoca-de-oro-welche/
Die geläufige Art der Aufforderung im Mala Junta ist, wie kaum anders zu erwarten, der “Cabeceo” – es sei denn, man wendet sich an seine Sitznachbarin oder gesellt sich zu einer der Damen, die ihre Tanzpausen an der Theke verbringen. “Gesichtsbekannt” zu sein, erhöht die Chancen zu tanzen. Für Frauen, aber auch für Männer. Dennoch würde ich die Atmosphäre als eher locker bezeichnen. Selten, aber immerhin, konnte es vorkommen, dass ich von einer Frau aufgefordert wurde. Verbal.
Mein Lieblingsevent war die “Milonga que faltaba”, benannt nach einem Stück von Edgardo Donato: “Die Milonga, die gefehlt hat”. Daran haben mich weniger die kostenlosen Snacks, die Verlosung oder die Auftritte meist örtlicher Tanzlehrer interessiert. Meinen Geschmack trafen vor allem die Auftritte zum Teil hochkarätiger Musiker. Ohne Aufpreis. Sie haben keinen kompletten Abend bestritten, aber ihre Visitenkarte hinterlassen – wenn sie auf der Durchreise waren und/oder für eine neue CD werben wollten.
So habe ich den amerikanischen Mundharmonika-Virtuosen Joe Powers erlebt. https://www.joepowers.com Der Schweizer Robert Schmidt hat allein am Piano eine Milonga zum Schweigen und Tanzen verzaubert. https://robert-schmidt.de Am Beginn seiner internationalen Karriere füllte das polnische Quartett “Bandonegro” die Pista. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob alle begeisterten Besucher wussten, dass sie sich da (unter anderem) zu Musik des angeblich untanzbaren Astor Piazzolla bewegten. https://bandonegro.com/de/Nach derlei Auftritten gab es immer noch Tango aus der Konserve. Für mich war jedes Mal Schluss. Besser als live geht’s nicht, fand ich. Nach einer kurzen Verschnaufpause hab ich in aller Regel das Weite gesucht.
Eine andere Spezialität des Mala Junta ist die “Tipsy Tanda”. Zum Anwärmen und besseren Kennenlernen vor Bällen gibt es eine Stunde lang Kurz-Tandas mit jeweils zwei Titeln, danach Partnerwechsel. Die hiesige Variante der “Tauschtanda” des “Tangotanzen macht schön”, in der fünf bis sechs Tangos lang nach jedem Stück gewechselt wird. http://kroestango.de/aktuelles/tango-und-wurst-2/
Die Besitzerin Judith Preuss wollte, dass alle Lehrerinnen und Lehrer ihres Teams an diesem Akt der Gemeinschaftsbildung teilnehmen. Nach meiner unvollständigen Wahrnehmung konnten sich etliche von ihnen jedoch Lustigeres vorstellen, als – ich sag Mal – mit Hinz und Kunz zu tanzen. Sie tauchten nicht vor Ballbeginn auf. Andere gar nicht.
Einmal hatte ich im Rahmen einer “Tipsy Tanda” mit einer Lehrkraft zu tun, die zwar mit mir tanzte, aber fast die ganze Zeit gleichzeitig über meine rechte Schulter hinweg mit allen möglichen Menschen parlierte, die sie interessanter fand als mich. Wir waren beide froh, auseinander zu kommen. Eine andere Lehrerin fragte mich dagegen nach unseren beiden Tänzen: Möchtest Du ein Feedback? Ich wollte. Derart zugewandt und unarrogant geht’s also auch.
Damit ist meine kleine Milonga-Ronda zu Ende. Der Vollständigkeit halber will ich noch an die Villa Kreuzberg erinnern, in der ich begonnen habe, allein das Parkett unsicher zu machen. http://kroestango.de/aktuelles/recuerdo-de-la-villa-k/
Mit dem Schluss dieser kleinen Serie nimmt der “tangotanzende Flaneur” seinen Hut. 149 Beiträge habe ich seit November 2017 veröffentlicht. Wie viele davon “Reissues” waren, habe ich nicht gezählt. Die Zahl der Kommentare ist wenig repräsentativ, weil die meisten nicht an dieser Stelle, sondern auf Facebook veröffentlich wurden. Die Bilanz dieses Blogs… überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern. Von mir nur so viel: Wer ein Forum wie dieses gestaltet, braucht nicht nur Interesse für das Thema, Engagement, Fleiß und Ideenreichtum. Er kommt auch nicht ohne veritable Portionen an Eitelkeit, missionarischem Eifer und Dickfelligkeit aus. An allem, besonders aber an den letzten drei Zutaten hat es mir im Lauf der Zeit immer mehr gemangelt.
Vor allem jedoch ist mir die wichtigste Zutat abhanden gekommen: Spaß an der Sache. Stattdessen überfiel mich eine bleierne Langeweile – an den immer gleichen Debatten im Netz, aber auch an meinen eigenen Beiträgen dazu. Deshalb sind die Pausen zwischen den Artikeln immer größer geworden.
Mein Schluss aus dieser Entwicklung: Schluss! Selbst dass die “Epoca Corona” sich gerade ihrem Ende zuzuneigen scheint, gibt mir keinen neuen Motivationsschub. Ich kann nicht ausschließen, dass der Mitteilungsdrang den berenteten Journalisten in mir doch noch einmal befällt. Doch da ich die Schreiberei schon mit 16 begonnen habe, verspüre ich keinen sonderlichen Nachholbedarf in mir aufkeimen. Anders als viele Ex-Kollegen träume ich auch nicht davon, ein Buch zu verfassen. Ich kenne meine Grenzen. Sollte es mich jedoch noch einmal nach der eher kurzen Form eines Blogs gelüsten, wird er auf keinen Fall wieder monothematisch sein, sondern eher wie einst eine beliebte Fernseh-Sendung in dem Teil unseres Landes hieß, auf dessen Boden ich inzwischen lebe: Ein “Kessel Buntes”. Vielleicht schwimmt irgendwann sogar ein Bröckchen Tango in der Brühe.
Ich hoffe, Euch wenigstens ab und an ganz gut unterhalten und/oder informiert zu haben. Zum Abschied – in altersgerechtem Tempo – ein gänzlich ungegenderter musikalischer Gruß:
13 Comments
Ach Thomas, wie schade! Zurzeit scheinen Rücktritte angesagt…
Auf jeden Fall aber Respekt, Anerkennung und Dank für Deine Beiträge, mit denen ich nicht immer übereinstimmte, die ich aber stets informativ, oft witzig und meistens spannend fand.
Im Gegensatz zu Dir macht mir die derzeitige Entwicklung im Tango sehr großen Spaß. Ich meine, da kommt einiges in Bewegung.
Aber ich schätze Dich so ernsthaft ein, dass ich gar nicht den Versuch mache, Dir den Entschluss auszureden. Na gut, dann muss Pörnbach halt allein weitermachen. Ich hätte es mir anders gewünscht.
Nochmal herzlichen Dank für alles und eine gute Zeit!
Gerhard
Danke Gerhard, ich bin sicher, Du wirst es schaffen.
Ach wie schade lieber Thomas !!!
DANKE für deine vielen guten Beiträge zur Gesprächswelt über den Tango, die mich jedenfalls immer wunderbar bereichert haben! Du hast mit deinem undogmatisch offenen Blick das Geschehen immer wieder interessant neu beleuchtet, hinterfragt und beworben. Für vieles, was ich ähnlich empfand hast du mit deinem professionellen Fundament die richtigen Worte gefunden, in denen auch mich spiegeln und die eigene Wahrnehmung und Verarbeitung vertiefen könnte. Auch mit dem Einwerben interessanter GastBeiträge hast du dich um die Vielfalt n der tangotischen Diskussion verdient gemacht.
Schade, dass du diesen bereichernd schönen Tempel des Tangoredens zum Schweigen bringst !!!
Er wird vielen von uns sehr fehlen !!!
Ich kann natürlich verstehen, dass so ein Blog auch so etwas wie einen inneren Druck zum Schreiben erzeugt, dem man sich durch das Beenden entziehen mag.
Und auch wenn in einem zukünftigen “Kessel Buntes” auf den Flammen deiner Schreiblust vielleicht noch schöne TangoHappen schwimmen, ist uns allen nun doch eine wunderbar offene und freizügige Bühne genommen auf der wir anschaulich Ansichten beobachten und azch selber zur Schau stellen konnten! Ich bin wirklich traurig!
Warum machst du nicht einfach mal ganz locker weiter Pause mit dem Schreiben und wartest bis es wieder in den Fingern juckt? Cassiel kann das doch auch! Und ob Klaus Wendel nun zum Dauerschreiber wird, auch wenn er wieder unterrichtet – ich zweifele.
UND: Die sind ja nun wirklich ganz anders als Du, nicht ganz so open minded…
Du und Das werden sicher nicht nur mir sehr fehlen!
Lass es dir doch noch mal durch Kopf und vor allem durchs Herz gehen:
Vielleicht gibt es ja auch erweiternde Ideen. Wie wäre es mit kleinen Gesprächsrunden zur Themfindung, mit mehr Gastbeiträgen und evtl. auch Hilfen fürs Herausgeben?
MyLonga sollte es einfach weiter geben! Egal mit wie vielen Pausen zwischen den Beiträgen.
Für alltägliches Futter zum Thema sorgen doch schon andere!
Zum Schluss noch mal
D A N K E !!!
Abrazo tomoso
lieber thomas,
sehr schade, dass du nun aufhören möchtest! aus meiner sicht der einzige blog mit differenzierten betrachtungen und entsprechenden diskussionen.
ich wünsche dir alles gute und das es bald die möglichkeit gibt sich mal wieder auf einer veranstaltung zu begegnen.
andreas
Gute Idee!
Danke, liebe Marlies, diese Freundlichkeit und Toleranz mag ich so sehr an der Tangogemeinde.
Vielen Dank, Thomas, auch für den Mangel an missionarischem Eifer. Ein klares Ende zu setzen ist professionell, ich spare mir laienhafte Versuche Dich umzustimmen.
Wünsche Dir guten Tango!
JUDITH PREUSS hat diesen text auf FACEBOOK kommentiert. ich gebe ihre zeilen hier unverändert wieder. ihrem wunsch nach korrekter schreibung ihre namens bin ich sofort nachgekommen: “Meine Eitelkeit spricht folgendes: würdest du mich nach all der Zeit bitte mit Doppel ss schreiben – deine Beobachtungen zum Mala Junta stimmen wie immer zum Teil – für Arroganz oder weniger charmanten Umgang meiner Mitarbeiter entschuldige ich mich gern, kann ich auch nicht leiden – mangelnde Vielfalt ist durchaus immer wieder ein Problem – bleibt aber weiterhin mein Anliegen und ich gebe mein Bestes, diese unter alle den ökonomischen Widrigkeiten auf gutem Niveau umzusetzen. In diesem Sinn alles Gute – ich habe schöne Erinnerungen an eure Feier und deine Besuche im Mala Junta, viel schönere als an deine Texte. lg Judith Preuss”
Da würde ich Judith Preuss schon gerne zwei Fragen stellen:
Wo liegt das große Problem, für musikalische Vielfalt zu sorgen – zumal, wenn man diese Verheißung schon im Untertitel des Studios verwendet?
Was beabsichtigt sie zu unternehmen, um ihren Laden so in den Griff zu kriegen, dass die Mitarbeiter ihren Direktiven folgen?
Hallo Gerhard
Die erste Frage ist leicht beantwortet. Auf der Tanzfläche für klassischen Tango tummeln sich 20 Tanzpaare, auf der parallel statt findenden Tanzfläche mit anderer Musik sind 2 Tanzpaare. …. leider
Oskar
Na prima, dann hat man wenigstens Platz zum Tanzen!
Vielen Dank für die Teilhabe an Deinem Blog und die posts auf facebook. Schade, empfinde ich Deinen Entschluss.
Mich haben immer die Parallelen zu Standard und Latin interessiert, was den psychischen Anteil der Tangotänzer an ihrem Tun betrifft.
Alles Gute!
Sehr schade!